Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Macht der bewegten Bilder
Aufmerksamkeit ist das bewusste und willentliche Wahrnehmen von etwas, für das ein bestimmtes Maß an Interesse besteht. Was sich kompliziert liest, lässt sich leicht erklären: Opernliebhaber saugen Arien auf, Katzenfreunde Videos über die putzigen Tierchen und Sportfans sorgen für Millionenquoten der Fernsehsender. Selbst den Sport zu betreiben, um mitzufiebern, ist unnötig. Wer war schließlich schon mal mit dem Gewehr in einer Loipe oder als Presswurst in einer Eisröhre unterwegs? Über Biathlon und Rodeln wird in den Wintermonaten dennoch stundenlang im TV berichtet. Was zur nächsten Frage führt: Orientiert sich die Nachfrage am Angebot oder das Angebot an der Nachfrage?
Längst ist der Kampf um bewegte Bilder entbrannt, Ziel ist die Position hinter König Fußball. Ohne Fernsehberichterstattung bleiben eine Sportart und deren Leistungstreibende auf der Strecke. Nur so werden sie für potente Großsponsoren reizvoll und lassen sich vermarkten. Andererseits werden Modeerscheinungen wie Darts oder Curling ohne viel eigenes Zutun mit Sendezeit gepusht.
Über welche Wettkämpfe berichtet wird, wirkt mitunter willkürlich. Erfolg kann ein Kriterium sein – nur so schaffen es Rodlerinnen in die Wohnzimmer –, muss er aber nicht. Deutschlands Handballheroen warfen sich im vergangenen Jahr zum EM-Titel, holten darüber hinaus bei Olympia Bronze. Die Sportart ist in der Republik beliebt, ist spektakulär und spannend. Weil der Weltverband die Rechte nach Katar verkaufte, schauen die hiesigen Couchpotatoes trotzdem bei der jetzigen WM in die Röhre.
Der Ärger ist groß. Ein Sponsor ließ sich wenigstens erweichen, die Partien im Internet zu übertragen. Die Politik poltert, die ÖffentlichRechtlichen würden ihren Auftrag nicht erfüllen. Andererseits nehmen die Volksvertreter klaglos hin, wenn das ZDF für hunderte Millionen Euro die Rechte der FußballChampions-League kauft.
Um mit der kickenden Zunft mithalten zu können, werden Vermarktungsstrategen kreativ. Ungewöhnliches erhöht die Aufmerksamkeit, Events mobilisieren Massen. Biathleten ziehen in Fußballarenen ihre Kreise, Skifahrer schlängelten sich schon den Münchner Olympiaberg hinunter und Eishockeyspieler gehen auf einem künstlich angelegten See im Freien ihrem Beruf nach. Beim „Winter Game“harrten am Wochenende rund 25 000 Zuschauer frierend in Hoffenheims Stadion aus. Vor zweieinhalb Jahren traten HandballErstligisten in Frankfurts Fußballarena vor weltrekordträchtigen 44 200 Zuschauern an.
Demnächst könnten Ringer, Schwimmer und Kunstturner in die Freiluftstadien einziehen. Hoffnungen auf Liveübertragungen im TV sollten sie sich allerdings keine machen.