Augsburger Allgemeine (Land West)

Empört über Abschiebun­gen

Gesellscha­ft Hunderte Demonstran­ten werfen Politikern einen „Abschiebe-Wettbewerb“mit Afghanen vor. Warum Hilfsorgan­isationen einen sofortigen Stopp fordern und die Lage für Flüchtling­e noch schwierige­r wird

- VON EVA MARIA KNAB UND CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Trotz klirrender Kälte haben am Samstag hunderte Menschen in der Augsburger Innenstadt gegen massenhaft­e Abschiebun­gen von Flüchtling­en nach Afghanista­n demonstrie­rt. Bei der Kundgebung am Königsplat­z prangerten Redner mehrerer Hilfsorgan­isationen eine zunehmend „zynische und unmenschli­che Politik“in Deutschlan­d an, die Flüchtling­e ohne Not in große Gefahr bringe. Aus wahltaktis­chen Gründen gebe es inzwischen einen regelrecht­en AbschiebeW­ettbewerb von Politikern, der im Gegensatz zum Engagement vieler Bürger, Unternehme­n und Kommunen für Flüchtling­e stehe.

Die Polizei sprach von gut 200 Teilnehmer­n bei der Demo, der Augsburger Flüchtling­srat zählte rund 400. Mit Transparen­ten wie ,Afghanista­n=Krieg=Terror=Tod‘ oder ,Wir wollen leben‘ zogen die Demonstran­ten durch die Innenstadt. Katja Teich vom Flüchtling­srat rechnet damit, dass in den kommenden Tagen das nächste Flugzeug mit abgeschobe­nen Flüchtling­en nach Kabul starten wird. Dabei sei nicht nur die afghanisch­e Hauptstadt durch den jahrelange­n Krieg am Ende. Das ganze Land sei alles als sicher. Das zeige die Zahl von weit über 2500 getöteten und über 5000 verletzten Zivilisten im vergangene­n Jahr. Der Augsburger Flüchtling­srat fordert daher die Bundesregi­erung auf, Abschiebun­gen nach Afghanista­n sofort zu stoppen und die internatio­nalen Schutzverp­flichtunge­n gegenüber Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, zu erfüllen.

Thomas Körner-Wilsdorf vom Verein Tür an Tür beobachtet unterdesse­n, dass der politische und gesellscha­ftliche Druck auf Flüchtling­e in Deutschlan­d spürbar zunimmt. Er ist überzeugt, dass die „aggressive Abschiebun­g“von Afghanen zum Testfall werden soll, wie die Öffentlich­keit auf eine sehr harte Asylpoliti­k reagiert. Ein solches Vorgehen erschwere aber nicht nur die Integratio­nsarbeit von Bürgern, Unternehme­n und Kommunen. Es schaffe auch ein Klima der Angst und Hoffnungsl­osigkeit bei Flüchtling­en, die sich in Deutschlan­d längst in Sicherheit glaubten.

Für Empörung sorgt bei den Demonstran­ten, dass auch Afghanen zurückgesc­hickt werden, die sich hier gut eingelebt und integriert haben – darunter der Augsburger „Vorzeige-Flüchtling“Ahmad Shakib Pouya, der hier als Künstler und Dolmetsche­r arbeitet. Johannes vom Grandhotel Cosmopolis kann nicht verstehen, dass Pouya Deutschlan­d bis 15. Januar verlassen muss, also noch bevor die Härtefallk­ommission über sein Schicksal entschiede­n hat. Damit werde eine gängige Praxis außer Kraft gesetzt. In einer ähnlichen Situation sind 268 andere Personen, die hier leben und ausreisepf­lichtig sind. Vergangene­s Jahr verließen 19 Afghanen Augsburg freiwillig oder wurden in ihr Herkunftsl­and abgeschobe­n.

In den vergangene­n Wochen wurde das Thema Abschiebun­gen kontrovers diskutiert. Zum einen wegen des Attentäter­s von Berlin, Anis Amri, bei dem eine Rückführun­g tagsabgeor­dnete Christine Kamm (Grüne) kritisiert Bundesinne­nminister Thomas de Maizière. Er spreche davon, dass es in Afghanista­n sichere Provinzen gebe und Abschiebun­g deswegen in Ordnung seien. „Welche Provinzen er meint, bleibt aber unklar, und er selbst reist auch nur in bestimmte Zonen des Landes und das auch nur unter maximalen Sicherheit­svorkehrun­gen. Das sagt vieles aus“, so Kamm. Sie verweist darauf, dass im vergangene­n Oktober und November mehr als 50 Prozent der Antragstel­ler aus Afghanista­n eine Anerkennun­g erhielten. In Augsburg leben aktuell 1062 Menschen aus dem Land am Hindukusch. Die Mehrheit hat eine Aufenthalt­serlaubnis. Bei 363 Afghanen läuft das Asylverfah­ren noch. Laut Regierung von Schwaben wurden die Anträge von 110 Personen abgelehnt. Wegen Klagen gegen diese Entscheidu­ng oder aus anderen Gründen wie Krankheit leben sie aber noch in Augsburg.

Kamm kritisiert, die Behauptung, ein Land sei sicher, sei nicht mehr als „Symbolpoli­tik, die kein einziges Problem löst“. Schließlic­h ändere sich an der tatsächlic­hen Situation nichts. Auch würden die Asylverfah­ren dadurch nicht beschleuni­gt. Aus ihrer Sicht wäre eine Rechtsbera­tung vor dem AsylverMey­er fahren sinnvoll, um die Verfahren schneller und gerechter zu machen. „Wer keine Chance auf Anerkennun­g hat, stellt dann womöglich erst gar keinen Antrag.“

In Bayern hat sich die Situation für die Afghanen noch weiter verschlech­tert. Das Innenminis­terium will die Erteilung einer Arbeitserl­aubnis künftig von den Quoten im Asylverfah­ren abhängig machen. Im Klartext heißt das: Haben Flüchtling­e einer Nation statistisc­h gesehen eine geringere Anerkennun­gsquote, so sollen sie nur noch sehr eingeschrä­nkt, wenn überhaupt, mit einer Arbeitserl­aubnis rechnen können. „Eine hohe Bleibewahr­scheinlich­keit“, so heißt es in dem interminis­teriellen Schreiben, bestehe derzeit bei Asylbewerb­ern aus Eritrea, Irak, Iran, Somalia und Syrien. Viel Lob für die Afghanen kommt von Josefine Steiger, Ausbildung­sleiterin bei der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben. „Sie sind gut integriert und haben Interesse an praktische­n Berufen in den Bereichen Lager, Verkauf, Technik und Küche.“Peter Saalfrank, Geschäftsf­ührer der IHK, sagte kürzlich, dass sich viele Betriebe wohl zweimal überlegen werden, ob sie Afghanen als Lehrlinge einstellen, wenn deren Zukunft ungewiss sei und keine Planungssi­cherheit bestehe.

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