Augsburger Allgemeine (Land West)

Weshalb TTIP noch nicht tot ist

Interview Alexander Graf Lambsdorff sieht trotz der Skepsis von US-Präsident Donald Trump eine Chance für das Freihandel­sabkommen zwischen Europa und den Amerikaner­n. Für den FDP-Politiker wäre es ein „Treppenwit­z“, wenn der Vertrag nicht zustande kommt

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Die Diskussion um das Freihandel­sabkommen TTIP zwischen Europa und den USA hat es gezeigt: Gerade in Deutschlan­d bestehen enorme Ängste gegenüber dem Thema. Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff ist ein Freihandel­s-Experte. Der Vize-Präsident des Europäisch­en Parlaments war Gastredner des Neujahrsem­pfangs der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft in Schwaben. Aus Anlass der Veranstalt­ung in Augsburg haben wir mit ihm ein Gespräch geführt.

2016 war für Befürworte­r des Freihandel­s ein rabenschwa­rzes Jahr. Das TTIP-Abkommen scheint mausetot zu sein und mit Trump wurde ein AntiFreiha­ndels-Populist zum US-Präsidente­n gewählt. Wie sehr schmerzt das einen Liberalen?

Diese Ereignisse sind unerfreuli­ch, aber nicht nur für Liberale, sondern für die Exportnati­on Deutschlan­d insgesamt. Wenn ich auf 2017 blicke, sehe ich ein Jahr mit riesigen politische­n und wirtschaft­lichen Herausford­erungen vor uns. Und neben dem großen Thema „Innere Sicherheit“geht es in Europa um die Frage, wie wir die wirtschaft­lichen Weichen für die nächsten 20 bis 30 Jahre stellen.

Lambsdorff:

Bei all den Themen kann schon ein gewisser Pessimismu­s in einem aufkeimen. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Ich bleibe als Liberaler

Lambsdorff:

Optimist.

Beim Thema „TTIP“dürfte aber auch Sie der Optimismus verlassen haben. Oder sehen Sie noch eine Chance für das Freihandel­sabkommen?

In seiner jetzigen Form ist TTIP zwar nicht mausetot, muss aber sicher noch einmal in die Garage, um zu sehen, welche Teile funktionie­ren und welche nicht. Aber: Die Öffnung großer Märkte wie Amerika ist aus Sicht der Freien De-

Lambsdorff:

mokraten eine Pflichtauf­gabe für die Politik, denn nur so können sich unsere Unternehme­n im globalen Wettbewerb behaupten. Unser Rang als führende Exportnati­on hängt davon ab und damit zahllose sichere und gute Arbeitsplä­tze.

Also gibt es eine Rest-Chance für ein in der Garage überarbeit­etes TTIP-Modell. Wie sieht ein TTIP light aus?

Ein Abkommen mit den USA könnte den amerikanis­chen Markt für unsere europäisch­en Unternehme­n weiter öffnen. Das ist eine ganz praktische Frage, wie man am Markt für öffentlich­e Aufträge sieht: In vielen deutschen Amtsstuben stehen amerikanis­che Computer mit US-Software von Microsoft. Amerikanis­che Unternehme­n kommen hier zum Zug. Anderersei­ts können sich deutsche Automobil-, Software- oder Schreibtis­chherstell­er bei öffentlich­en Ausschreib­ungen in den USA nicht bewerben. Wenn wir das ändern, schafft das für unsere Unternehme­n bessere Chancen

Lambsdorff:

dem US-Markt. Und das sichert und schafft Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d.

Diese Vorzüge scheinen vielen Bürgern nicht bewusst zu sein. Wie kann man Freihandel­s-Skeptikern die Angst vor einem TTIP-Abkommen nehmen?

Indem man ihnen geduldig die Vorteile eines solchen Abkommens für sie erklärt. Diejenigen, die die Anti-TTIP-Kampagne in Deutschlan­d führen, haben es geschafft, viele Menschen zu verunsiche­rn. Aber all die Schreckges­penster, wie etwa der Fall der deutschen Buchpreisb­indung, der Import von US-Chlorhühnc­hen oder die Entmachtun­g der Parlamente entspreche­n einfach nicht der Wahrheit. Das sind Märchen.

Lambsdorff:

Sie sind wirklich ein Optimist. Was könnte herauskomm­en, wenn TTIP noch einmal in die Garage kommt?

Noch ist unklar, ob dieses Abkommen dann weiter TTIP heißt, welchen Umfang es hat und

Lambsdorff:

ob es schlanker als das aktuelle zur Diskussion stehende TTIP ausfällt. Das hängt alles davon ab, wie sich die Amerikaner jetzt aufstellen.

Deutschlan­d exportiert extrem erfolgreic­h Waren in die Welt. Wozu müssen die Märkte weiter geöffnet werden?

Aus deutscher Sicht gibt es zu mehr Handel in mehr und offeneren Märkten keine Alternativ­e, denn man darf eines nicht vergessen: In den nächsten 20 bis 30 Jahren entstehen 90 Prozent des globalen Nachfragew­achstums außerhalb Europas. Wenn unsere Unternehme­n also eine Chance haben wollen, von diesem Nachfragew­achstum zu profitiere­n, müssen wir als Politiker dafür sorgen, dass unseren Unternehme­n der Zugang zu diesen Märkten erleichter­t wird. Das ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigke­it.

Lambsdorff:

Wie kann man Menschen die Angst vor Freihandel nehmen?

Der Begriff „Freihandel“ist in gewisser Weise irrefühauf

Lambsdorff:

rend. Handel findet in einem Umfeld voller Handelsbar­rieren statt. Es geht darum, dem Handel hier und da das Leben zu erleichter­n durch niedrigere Zölle, etwas höhere Einfuhrquo­ten oder die Vereinfach­ung von Anerkennun­gsverfahre­n. Niemand ruft die totale Freiheit aus, die gibt es nicht.

Aber manche Nationen nutzen die Freiheit in Europa aus, ohne im Gegenzug europäisch­en Firmen in ihren Ländern die gleichen Freiheiten zu gewähren. China ist so ein Fall. Wie sehen Sie die Rolle des Riesen-Reichs?

Sowohl im amerikanis­chen Kongress wie auch in Europa gibt es große Bedenken gegen die Politik der Chinesen. Wir müssen bei manchen Handelspra­ktiken der chinesisch­en Seite viel genauer als bei den Amerikaner­n hinschauen. Denn die USA zeigen sich uns gegenüber nicht als unfairer Handelspar­tner. China tritt zum Teil aber unfair auf, wie sich an der Strategie zeigt, mit Dumpingpre­isen für Stahl weltweit Marktantei­le zu gewinnen – und das zum Leidwesen europäisch­er Erzeuger, was bei uns Arbeitsplä­tze kostet.

Lambsdorff:

Hat gerade Deutschlan­d im Überschwan­g enormer Exporterfo­lge China zu positiv gesehen? Müssen wir hier aufwachen?

Lambsdorff:

Zu einer guten Handelspol­itik gehört auch die Wahrung eigener Interessen. Natürlich hat Deutschlan­d verständli­cherweise von dem enormen Wachstum in China profitiere­n wollen. Unsere Unternehme­n haben dort auch in großem Stil investiert. Das hat aber dazu geführt, dass deutsches Knowhow nach China abgeflosse­n ist. Hier müssen sich unsere Firmen schützen.

Wie kann Europa seine Interessen gegenüber China noch selbstbewu­sster wahren?

Lambsdorff:

Wir müssen unsere Sicherheit­sinteresse­n gegenüber China schützen. Das machen die Amerikaner auch und prüfen entspreche­nd streng, ob der Kauf eines USUnterneh­mens durch einen chinesisch­en Konzern amerikanis­che Sicherheit­sinteresse­n beeinträch­tigt. Auch wir müssen Geschäfte untersagen, wenn sie unsere Sicherheit­sinteresse­n berühren. Zudem verzerrt es den Wettbewerb, wenn chinesisch­e Firmen mit günstigem staatliche­n Geld im Rücken europäisch­e Unternehme­n zu hohen Preisen aufkaufen.

Was erhoffen Sie sich vom Jahr 2017?

Ich wünsche mir, dass unsere Unternehme­n weltweit erfolgreic­h sind. Deswegen verhandeln wir auch über den Abbau von Handelshem­mnissen mit Japanern, Chinesen, Brasiliane­rn, aber auch mit den Amerikaner­n. Es wäre geradezu ein Treppenwit­z, wenn es uns gelänge, mit all diesen Ländern Abkommen abzuschlie­ßen, aber ausgerechn­et nicht mit den USA als dem für uns zentralen Handelspar­tner. Also hoffe ich, dass ein generalübe­rholtes TTIP, unter welchem Namen auch immer, auf der Tagesordnu­ng bleibt.

Lambsdorff:

Interview: Stefan Stahl

O

ist im vergangene­n Jahr 50 Jahre alt gewor den. Der gebürtige Kölner ist ein Neffe des einstigen Bundeswirt­schaftsmin­isters und FDP Politikers Otto Graf Lambsdorff. Auch Alexander Graf Lambsdorff ge hört der liberalen Partei an und ist seit 2014 Vize Präsident des Europäisch­en Parlaments. Der ver heiratete Vater zweier Kinder ist ausgebilde­ter Diplomat. Er will für die FDP bei den Wahlen in diesem Jahr in den Bun destag einziehen.

Alexander Graf Lambsdorff

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Foto: Silas Stein, dpa Deutsche Bürger haben Angst vor Freihandel­sabkommen.
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