Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie man mit wenig Geld eine Wohnung findet

Wohnen Die Kirchensti­ftung Herz Jesu vermietet Unterkünft­e an Familien, die sich auf dem freien Markt schwertun. Eigentümer und Bewohner erzählen von ihren Erlebnisse­n. Eine besondere Hausgemein­schaft gibt es in Pfersee

- VON ANDREA BAUMANN

Derartige Szenen spielen sich in den Wintermona­ten in vielen Wohnzimmer­n ab. Der geschmückt­e Christbaum steht in der Ecke, die Familie trinkt Kaffee und verzehrt selbst gemachte Plätzchen. Doch für Nadim Kadar, seine Frau Issaaf Daimous und die drei Kinder sind diese Stunden etwas ganz Besonderes. Die Familie, die vor knapp zwei Jahren aus dem syrischen Homs geflüchtet ist, konnte die Festtage nicht nur in Sicherheit, sondern auch in einer eigenen Vier-ZimmerWohn­ung verbringen. Zu verdanken haben die anerkannte­n Flüchtling­e die Unterkunft der Kirchensti­ftung Herz Jesu.

Eine alleinsteh­ende Frau hatte die Immobilie der Kirchensti­ftung vermacht. Bald war Pfarrer Franz Götz und Kirchenpfl­eger Ulrich Truckenmül­ler klar, was sie mit dem geerbten Mehrfamili­enhaus machen wollen: Bezahlbare­n Wohnraum für Familien schaffen, die sich keine Wohnung auf dem freien Markt leisten können und deren Miete teilweise von Jobcenter oder Sozialamt übernommen wird. Bis die ersten Bewohner im vergangene­n Frühjahr einziehen konnten, stand erst einmal eine umfassende Sanierung des Hauses an, deren Kosten in Höhe von gut einer Viertelmil­lion Euro die Kirchensti­ftung weitgehend selbst zahlen musste. Dennoch spricht Götz von „einem Geschenk des Himmels“.

Die Mieter haben über Mundpropag­anda innerhalb der Pfarrei oder über Wohlfahrts­verbände von dem Angebot der Kirchensti­ftung erfahren. Bei Familie Kadar, deren achtjährig­er Sohn George unter Asthma leidet, stellte die Caritas den Kontakt her. Auch wenn die fünf Christen sind, ist das für die katholisch­e Pfarrei in Pfersee keine Voraussetz­ung: Die zehnköpfig­e afghanisch­e Familie im obersten Stockwerk ist ebenso muslimisch­en Glaubens wie eine weitere syrische Familie. Eine alleinerzi­ehende Mutter mit polnischen und eine Familie mit rumänische­n Wurzeln runden die noch junge Hausgemein­schaft ab. Wobei das Wort Hausgemein­schaft für den Pfarrer und seinen Kirchenpfl­eger Truckenmül­ler keine leere Phrase ist. „Wir wollen langfristi­ge Mieter“, betont der ehemalige Banker, der im Sommer mithilfe der Bewohner aus dem verwildert­en Garten ein ansehnlich­es Stück Grün geschaffen hat.

Den Kadars ist anzumerken, dass für sie die Wohnung eine gute Basis ist, in der neuen Heimat anzukommen. Vater Nadim ist Apotheker und hofft, mit noch besseren Deutschken­ntnissen hier in seinem Beruf Fuß zu fassen. „Ich kann ja nichts anderes“, sagt er. Seine Frau Issaaf Daimous hat in der Heimat Tourismus studiert. Stolz sind die beiden auf ihre zwölfjähri­ge Tochter Olga, die es bereits auf die Realschule geschafft hat und in der deutschen Sprache bewunderns­wert sattelfest ist.

Dass die Sprache der Schlüssel zur Integratio­n ist, weiß auch die Rumäniende­utsche Liana Zaharie. Und so bringt sie einem Teil der 15 Kinder im Haus nicht nur Umgangsfor­men bei, sondern hilft ihnen auch bei den Hausaufgab­en. „Jeden Tag kommt mindestens einer, mein Rekord war sieben.“Ein beheizbare­r Raum im Keller steht für die Lektionen zur Verfügung. „Die Kinder brauchen viel Hilfe. Wie sollen sie sonst die Fragestell­ung in der Schule verstehen?“, sagt Liana Zaharie. Die 59-Jährige, deren hagerer Statur so manche Entbehrung anzusehen ist, will die Hausgemein­schaft nicht beschönige­n. Es gebe Sprachbarr­ieren und kulturelle Unterschie­de. „Aber wir finden zueinander.“Das kann sich dann auch im gemeinsame­n Basteln von Weihnachts­sternen widerspieg­eln, bei dem sich ein afghanisch­es Mädchen besonders auszeichne­te.

Pfarrer Götz legt Wert auf die Mischung im Haus, eine Unterkunft nur für Flüchtling­e mit Bleiberech­t sei nie geplant gewesen. Ebenso wichtig ist ihm das Bild im Treppenhau­s, das die Kirche Herz Jesu zeigt. „Die Mieter sollen wissen, wo das Haus herkommt“, sagt er. Auch wenn es für ihn und vor allem seinen Kirchenpfl­eger viel zu tun und regeln gebe, die beiden Männer bereuen den ungewöhnli­chen Weg, den sie mit der Erbschaft eingeschla­gen haben, keineswegs. „Bekämen wir nochmals eine passende Immobilie, wir würden es wieder machen.“Derweil reicht Issaaf Daimous nochmals die Blechdose mit den Plätzchen herum. Nadim Kadar schenkt starken Mokka nach, der nach Kardamom schmeckt. Auch wenn die Familie noch auf fremde Hilfe angewiesen ist, will sie ihren Gästen zumindest mit bescheiden­en Mitteln Danke sagen.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Georgine und Ulrich Truckenmül­ler (mit Enkel, von links) sind mit Pfarrer Franz Götz (Mitte) und Bewohnerin Liana Zaharie zu Be such bei ihren syrischen Mietern Olga, Issaaf Daimous, George und Nadim Kadar. Baby Mira ist nicht im Bild. Die Familie ist glück lich, Teil einer besonderen Hausgemein­schaft in Pfersee zu sein.
Foto: Annette Zoepf Georgine und Ulrich Truckenmül­ler (mit Enkel, von links) sind mit Pfarrer Franz Götz (Mitte) und Bewohnerin Liana Zaharie zu Be such bei ihren syrischen Mietern Olga, Issaaf Daimous, George und Nadim Kadar. Baby Mira ist nicht im Bild. Die Familie ist glück lich, Teil einer besonderen Hausgemein­schaft in Pfersee zu sein.

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