Augsburger Allgemeine (Land West)
Ist Winnetou ein Western von gestern?
Mythos Die deutsche Neuverfilmung der Abenteuer belebt eine Diskussion um das Vermächtnis Karl Mays. Wie die Indianerikone heute betrachtet und welche Zukunft ihr prophezeit wird
Der Mythos lebt. Das zumindest versprach RTL zwischen Weihnachten und Silvester. In diesen Tagen strahlte der Privatsender eine dreiteilige deutsche Neuverfilmung aus, um die Indianerikone aus der Feder Karl Mays wieder neues Leben einzuhauchen. Gesagt, getan. Der Wilde Westen war wieder im Gespräch, wenn auch nicht durchweg positiv.
„Cowboys und Indianer sind ein alter Schinken“, findet Schülerin Jana Baumann. Die 17-Jährige hat mit dem Mythos um ApachenHäuptling Winnetou dementsprechend wenig am Hut. „Altbacken“, denkt sie.
Das Ehepaar Schmidtbauer aus Augsburg ist da anderer Meinung: „Die Bewunderung für das MayUniversum ist auch heute noch vorhanden.“Ihre Generation sei damit aufgewachsen, erzählt die 58-jährige Erika Schmidtbauer. „Winnetou und Old Shatterhand waren die Helden unserer Zeit.“Sei man nicht in den einen verliebt gewesen, dann sicherlich in den anderen. Ehemann Hans-Jürgen nickt bestärkend. Selbst als Mann habe man die beiden verehrt, so der 63-Jährige. „Die Geschichten weckten innere Sehnsüchte.“Dabei habe es keine Rolle gespielt, ob Film oder Buch. „Man kannte schließlich beides.“
Der Kult um den ApachenHäuptling reicht lange zurück: Die literarische Vorlage gab Karl May im Jahr 1893 mit einer Romantrilogie. Seit damals wurden die Bücher immer wieder Gegenstand cineastischer Darstellungen. Eine Vielzahl an Regisseuren und Schauspielern wagten sich an die Verfilmung des Mythos. Das heutige Ideal geprägt hat vor allem der im Jahr 2015 verstorbene Schauspieler Pierre Brice, der die Rolle des Winnetou übernahm und damit den Grundstein für eine neue Schwärmerei legte. Nun versuchte sich auch RTL an einer Inszenierung. Zunächst mit Erfolg, wie die Einschaltquoten bestätigten. Am ersten Weihnachtsfeiertag verfolgten über fünf Millionen Zuschauer die Abenteuer von Wotan Wilke Möhring in der Rolle des Old Shatterhand und Nik Xhelilaj alias Winnetou. Bereits am darauffolgenden Ausstrahlungstermin zeigte sich jedoch eine im Vergleich verhaltene Zuschauerkulisse. „Das Geheimnis vom Silbersee“sahen nur noch 4,33 Millionen Menschen. Für Erika Schmidtbauer ist diese Tendenz begründet: „Die Neuinterpretation traf in keiner Weise die Essenz seiner Vorgänger“, so die Augsburgerin. „Von den Originalgeschichten ganz zu schweigen.“
Wie auch die Filme der 1960er Jahre erzählt die jüngste Inszenierung „frei nach May“. In der Tat wohl etwas freier als seine Vorgänger, was von Experten des Metiers zum Teil mit Skepsis beäugt wird. So auch von der Besatzung der Dasinger Karl-May-Festspiele, die im Rahmen einer Podiumsdiskussion ihre Sicht auf die aktuelle Version darstellen. Festspielregisseur Peter Görlach etwa zeigt sich angesichts der Rat-Pack-Produktion geteilter Meinung: Es sei gut, dass die Men- schen wieder den Weg zu den Blutsbrüdern finden. Gleichzeitig übt er Kritik: „Es gibt literarische Vorgaben, die eingehalten werden sollten“, so die Ansicht des May-Experten. Obwohl besagter Schriftsteller zu den meist gelesenen deutschen Autoren zählt, greife aber vor allem die Jugend vorzugsweise zu anderen Themen, sagt Silke Pfitzner, Tontechnikerin der Festspiele. „Die Neuverfilmung war daher ein guter Schachzug von RTL, um junge Generationen anzusprechen, den Buchverkauf anzukurbeln und den Mythos wieder ins Gedächtnis zu rufen“, urteilt Winnetou-Darsteller Michael M. Dennoch sieht er für seine Figur keine rosige Zukunft: „Der Nachwuchs mit Interesse an Karl May wird aussterben.“Eine Prognose mit betrübtem Subtext.
Ist der Mythos Winnetou also ein verstaubtes Relikt aus anderer Zeit? Nein, betont Peter Görlach. Seiner Ansicht nach habe die Neuverfilmung den Mythos sogar bestärkt. „Insbesondere die Jugend wird wieder mit der Saga konfrontiert.“Karl May könne so wieder in die Köpfe der Menschen gelangen. Und was denkt Familie Schmidtbauer? „Wir haben unseren Kindern vorgelesen, später haben sie uns vorgelesen und heute lesen sie ihren Kindern vor.“Buch wie Film seien inzwischen ein kulturelles Gut, das im Ansatz auch in der Neuverfilmung zu betrachten ist. Für die Familie bleibt der Mythos May eben zeitlos.