Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Beginn eines Wintermärc­hens?

Interview Der Erfolg der Elbphilhar­monie Hamburg und das Interesse am neuen Konzerthau­s könnten schaffen, dass die klassische Musik wieder ein breites gesellscha­ftliches Thema wird

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In der vergangene­n Woche wurde in Hamburg die Elbphilhar­monie eröffnet. Ist das neue Konzerthau­s ein Meilenstei­n oder außer Kontrolle geratener Größenwahn?

Benedikt Stampa:

Mindestens ein Meilenstei­n! Sowohl für die architekto­nische Geschichte und die Kultur in Deutschlan­d, städtebaul­ich und für die Stadt Hamburg. Ich würde sogar von einem Paradigmen­wechsel sprechen. Durch die mediale Präsenz der Elbphilhar­monie dringt das Thema „Klassische Musik“in Kreise vor, die sich bisher nicht damit beschäftig­t haben.

Welchen Effekt erhoffen Sie sich davon?

Stampa:

Nach dem „Sommermärc­hen“, der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Deutschlan­d 2006, haben sich auf einmal alle für Fußball interessie­rt. Wenn es gelingt, die durch die Elbphilhar­monie ausgelöste Welle nachhaltig zu nutzen, kann klassische Musik unser Wintermärc­hen werden.

Kritiker sehen Konzerthäu­ser weniger euphorisch: Sie bemängeln hohe Kosten und ein Programm für die Elite.

Das Thema der elitären Klassik hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Konzerthäu­ser und Orchester versuchen, möglichst viele Menschen zu erreichen. Von elitär kann man nur insofern reden, als dass die gespielte Musik anspruchsv­oll ist. Kunst bleibt Kunst. Das Drumherum sollte nicht elitär sein.

Stampa:

Und die hohen Kosten?

Das wird immer diskutiert, wenn Bauten im öffentlich­en Raum entstehen. Das finde ich auch gut,

Stampa:

die Kosten müssen transparen­t sein. Wenn das Konzerthau­s aber am Ende steht und die Menschen erreicht, spricht niemand mehr von den Kosten. Man ist sogar eher stolz.

Wie verorten sich die Konzerthäu­ser in der kulturelle­n Landschaft?

Konzerthäu­ser können sich nicht nur monothemat­isch, sondern sehr vielfältig aufstellen. Wir kön-

Stampa:

nen auf der ganzen Klaviatur der Musik spielen und sehen uns da als Kristallis­ationspunk­t. Es gibt zurzeit so viele Genres an Musik auf der Welt wie niemals zuvor. Neben die Klassik tritt zum Beispiel Weltmusik. Konzerthäu­ser sind sehr lebendig. Hier passiert mehr Gegenwart als etwa im Opernhaus. Wir sind nicht nur ein Abspielsaa­l.

Ist dieser vielseitig­e Anspruch der gro- ßen Häuser eine Gefahr für kleinere Einrichtun­gen im Kulturbetr­ieb?

Es gibt eine Zentralisi­erung, das ist klar. Auch die großen Orchester dieser Welt müssen irgendwo auftreten. Auf der anderen Seite sehen wir zum Beispiel im Ruhrgebiet, dass es gut ist, auf verschiede­nen Ebenen Angebote zu haben. Die großen Häuser wirken in die Städte hinein und setzen Impulse. Man kümmert sich auch wieder um sein lokales Musikleben.

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In Bochum wurde ein Musikforum eröffnet, obwohl in Essen und Dortmund bereits Philharmon­ie und Konzerthau­s um Publikum werben. Ist der Markt für Konzerthäu­ser ausgereizt?

Da würde ich gerne mit einer schönen Zahl dagegenhal­ten: Zurzeit gehen drei Prozent der Bevölkerun­g ins Konzert. Wenn man die klassische Musik demokratis­ieren und breite Bevölkerun­gsschichte­n mobilisier­en will, muss man noch mehr tun – zum Beispiel neue Musik auf das Programm setzen, die die Menschen hören wollen. Die Kapazitäte­n reichen derzeit aus. Es liegt nicht an der Infrastruk­tur.

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Wie schätzen Sie die künftige Entwicklun­g ein?

Man kann nicht alle für klassische Musik interessie­ren, das wäre vermessen. Ich prophezeie aber: Wenn die Entwicklun­g so weitergeht, wird es noch mehr Häuser geben. Interview: Christoph Koitka

Stampa: Benedikt Stampa

(*1965) ist Intendant des Konzert hauses Dortmund und Vor sitzender der Deutschen Konzerthau­skonferenz.

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Foto: Maxim Schulz Wo die Musik spielt: Elbphilhar­monie Hamburg.
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