Augsburger Allgemeine (Land West)
Reif für die Insel
Klassik Die Bayerische Kammerphilharmonie beschreitet bei ihrem Konzert an diesem Samstag ungewohnte Pfade
Schräg fällt an diesem eiskalten Spätvormittag die Sonne in den Kleinen Goldenen Saal, legt Lichtschneisen über die Wände und lässt das Rankendekor, das dem Raum seinen Namen gibt, in schönstem Edelmetallglanz leuchten. Ein Maler des 18. Jahrhunderts hätte dieses Rokoko-Juwel nicht idyllischer ins Bild setzen können. Und der pittoreske Eindruck wird vollends perfekt, wenn man vernimmt, was eben hier und jetzt erklingt: Joseph Haydns „L’isola disabitata“aus dem Jahr 1779. Zum Raum wird hier Musik und umgekehrt.
Die Bayerische Kammerphilharmonie hat die Bühne belegt zu Proben für eine Aufführung der Oper des Komponisten. Das Besondere an dieser Einstudierung ist, dass die in Augsburg ansässigen Kammerphilharmoniker sich wieder einmal mit dem Deutschen Musikrat zusammengetan haben, um in einem Workshop jungen Nachwuchsdirigenten die Möglichkeit zur Arbeit mit einem Orchester zu ermöglichen. Sonst steht bei diesem „Dirigentenforum“in Augsburg stets Konzertantes auf dem Programm; diesmal ist es eine kleine, nichtszenisch dargebotene Oper, weshalb auch ein Quartett junger Sängerinnen und Sänger der Musikhochschule München mit dabei ist. Der verantwortliche Dirigent, unter dessen wachsamem Auge Nachwuchskünstler und Orchester zusammengeführt werden (und der am Ende auch die konzertante Aufführung leiten wird), ist ein international renommierter Spezialist für Alte Musik: der Italiener Alessandro de Marchi, Leiter der Academia Montis Regalis und Chef der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik.
Jetzt aber, zu Beginn der Probe, steht Johannes Braun am Dirigentenpult der Kammerphilharmonie und gibt den Einsatz zur Ouvertüre der „Isola disabitata“. Braun, wie der zweite Workshop-Stipendiat Gábor Hontvári Student der Musikhochschule in Weimar, lässt es eine ganze Weile lang laufen, bis er den 20 Musikern Zeichen zum Abbruch gibt. „Es gibt da ein paar Stellen, die ein bisschen undurchsichtig sind ...“hebt er an und weist auf die entsprechenden Takte hin. Auch Maestro de Marchi, der mit Blick in die Partitur das Geschehen auf der Bühne von der ersten Zuschauerreihe aus verfolgt, schaltet sich ein. „Deutlich durchsichtiger!“, bekräftigt er und schickt in eloquentem Deutsch noch weitere Anmerkungen hinterher.
De Marchi hat nicht nur eine genaue Vorstellung davon, wie die Musik einer vergangenen Zeit zu erklingen hat, er kennt auch die Kniffe und Tricks, mit denen Instrumentalisten und Dirigenten dies realisieren können. Später, als Gábor Hontvári, der zweite Stipendiat, am Pult steht, wird er ihm den Rat geben: Wenn du Musikern vermitteln willst, dass sie leise spielen sollen, gehst du am besten auch mit deinen Zeichen gebenden Armen nach unten. Kein Zweifel auch, dass Alessandro de Marchi ein intimer Kenner von Haydns Partitur ist. Lange schon ist er vertraut mit der „Unbewohnten Insel“(so der Operntitel auf Deutsch), bereits vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten hat er das Werk auf CD eingespielt.
Die Musik ist typischer Haydn. Voller Wärme, Licht und Frische, übrigens mit durchwegs Orchesterbegleiteten Rezitativen. Man kann gar nicht anders, als sich wohlig an die Hand genommen zu fühlen von all den seelenvollen Melodien und Harmonien und mitzuempfinden mit den Gemütsbewegungen der Figuren. Auch die jungen Gesangssolisten – neben Carmen Artaza, Shimon Yoshida und Manuel Adt auch Samantha Gaul, 2014/15 Elevin am Theater Augsburg – werden spürbar davongetragen von der Musik und schmachten sich schon während der Probe an Knotenpunkten des Geschehens gestisch und mimisch an.
Denn natürlich folgt auch diese Oper den Rätselwegen der Liebe. Das Libretto stammt von keinem Geringerem als dem großen Pietro Metastasio, dem Schöpfer von Operntexten im 18. Jahrhundert. Der Meister selbst hat „L’isola disabitata“als eines seiner gelungensten Libretti angesehen, bündele es doch „alle Begegnungen und Leidenschaften, die sonst ein langes Drama füllen“, auf knappem Raum. Die Handlung dürfte von Daniel Defoes „Robinson“-Roman inspiriert gewesen sein: Gernando, seine Angetraute Costanza und deren kleine Schwester Silvia geraten auf einer Meerfahrt in ein Unwetter, eine einsame Insel bietet Schutz, doch wird Gernando von Piraten gekidnappt. Jahre später – hier setzt das Operngeschehen ein – hat Costanza jegliche Hoffnung auf Rückkehr in die Zivilisation verloren, doch eben da landet Gernando, mit Enrico aus der Sklaverei entflohen, wieder auf der Insel. Was Silvia, zwischenzeitlich zur jungen Frau gereift, erst einmal in Verwirrung stürzt, da sie noch nie bewusst einem Mann begegnet ist ... Metastasios Libretto machte seinerzeit derart Furore, dass an die 30 Vertonungen des Stoffes erfolgten. Eine der Uraufführungen, die Wiedergabe der Oper von Pietro Pompeo Sales, fand 1758 sogar in Augsburg statt.
Nach eineinhalb Stunden Feilen am musikalischen Detail ist im Kleinen Goldenen Saal Verschnaufpause angesagt. Die Sänger klappen ihre Noten zu, die Musiker legen die Instrumente zur Seite. Alessandro de Marchi öffnet eine Tasche, angelt eine Thermoskanne hervor und gießt sich Warmes in einen Becher. Zufriedene Miene. Es läuft. So kann es weitergehen. O
Aufführung Alessandro de Marchi wird die Aufführung von „L’isola disabi tata“an diesem Samstag, 21. Januar, im Kleinen Goldenen Saal leiten (20 Uhr). Karten gibt es an der Abendkasse.