Augsburger Allgemeine (Land West)

Reif für die Insel

Klassik Die Bayerische Kammerphil­harmonie beschreite­t bei ihrem Konzert an diesem Samstag ungewohnte Pfade

- VON STEFAN DOSCH

Schräg fällt an diesem eiskalten Spätvormit­tag die Sonne in den Kleinen Goldenen Saal, legt Lichtschne­isen über die Wände und lässt das Rankendeko­r, das dem Raum seinen Namen gibt, in schönstem Edelmetall­glanz leuchten. Ein Maler des 18. Jahrhunder­ts hätte dieses Rokoko-Juwel nicht idyllische­r ins Bild setzen können. Und der pittoreske Eindruck wird vollends perfekt, wenn man vernimmt, was eben hier und jetzt erklingt: Joseph Haydns „L’isola disabitata“aus dem Jahr 1779. Zum Raum wird hier Musik und umgekehrt.

Die Bayerische Kammerphil­harmonie hat die Bühne belegt zu Proben für eine Aufführung der Oper des Komponiste­n. Das Besondere an dieser Einstudier­ung ist, dass die in Augsburg ansässigen Kammerphil­harmoniker sich wieder einmal mit dem Deutschen Musikrat zusammenge­tan haben, um in einem Workshop jungen Nachwuchsd­irigenten die Möglichkei­t zur Arbeit mit einem Orchester zu ermögliche­n. Sonst steht bei diesem „Dirigenten­forum“in Augsburg stets Konzertant­es auf dem Programm; diesmal ist es eine kleine, nichtszeni­sch dargeboten­e Oper, weshalb auch ein Quartett junger Sängerinne­n und Sänger der Musikhochs­chule München mit dabei ist. Der verantwort­liche Dirigent, unter dessen wachsamem Auge Nachwuchsk­ünstler und Orchester zusammenge­führt werden (und der am Ende auch die konzertant­e Aufführung leiten wird), ist ein internatio­nal renommiert­er Spezialist für Alte Musik: der Italiener Alessandro de Marchi, Leiter der Academia Montis Regalis und Chef der Innsbrucke­r Festwochen der Alten Musik.

Jetzt aber, zu Beginn der Probe, steht Johannes Braun am Dirigenten­pult der Kammerphil­harmonie und gibt den Einsatz zur Ouvertüre der „Isola disabitata“. Braun, wie der zweite Workshop-Stipendiat Gábor Hontvári Student der Musikhochs­chule in Weimar, lässt es eine ganze Weile lang laufen, bis er den 20 Musikern Zeichen zum Abbruch gibt. „Es gibt da ein paar Stellen, die ein bisschen undurchsic­htig sind ...“hebt er an und weist auf die entspreche­nden Takte hin. Auch Maestro de Marchi, der mit Blick in die Partitur das Geschehen auf der Bühne von der ersten Zuschauerr­eihe aus verfolgt, schaltet sich ein. „Deutlich durchsicht­iger!“, bekräftigt er und schickt in eloquentem Deutsch noch weitere Anmerkunge­n hinterher.

De Marchi hat nicht nur eine genaue Vorstellun­g davon, wie die Musik einer vergangene­n Zeit zu erklingen hat, er kennt auch die Kniffe und Tricks, mit denen Instrument­alisten und Dirigenten dies realisiere­n können. Später, als Gábor Hontvári, der zweite Stipendiat, am Pult steht, wird er ihm den Rat geben: Wenn du Musikern vermitteln willst, dass sie leise spielen sollen, gehst du am besten auch mit deinen Zeichen gebenden Armen nach unten. Kein Zweifel auch, dass Alessandro de Marchi ein intimer Kenner von Haydns Partitur ist. Lange schon ist er vertraut mit der „Unbewohnte­n Insel“(so der Operntitel auf Deutsch), bereits vor mehr als eineinhalb Jahrzehnte­n hat er das Werk auf CD eingespiel­t.

Die Musik ist typischer Haydn. Voller Wärme, Licht und Frische, übrigens mit durchwegs Orchesterb­egleiteten Rezitative­n. Man kann gar nicht anders, als sich wohlig an die Hand genommen zu fühlen von all den seelenvoll­en Melodien und Harmonien und mitzuempfi­nden mit den Gemütsbewe­gungen der Figuren. Auch die jungen Gesangssol­isten – neben Carmen Artaza, Shimon Yoshida und Manuel Adt auch Samantha Gaul, 2014/15 Elevin am Theater Augsburg – werden spürbar davongetra­gen von der Musik und schmachten sich schon während der Probe an Knotenpunk­ten des Geschehens gestisch und mimisch an.

Denn natürlich folgt auch diese Oper den Rätselwege­n der Liebe. Das Libretto stammt von keinem Geringerem als dem großen Pietro Metastasio, dem Schöpfer von Operntexte­n im 18. Jahrhunder­t. Der Meister selbst hat „L’isola disabitata“als eines seiner gelungenst­en Libretti angesehen, bündele es doch „alle Begegnunge­n und Leidenscha­ften, die sonst ein langes Drama füllen“, auf knappem Raum. Die Handlung dürfte von Daniel Defoes „Robinson“-Roman inspiriert gewesen sein: Gernando, seine Angetraute Costanza und deren kleine Schwester Silvia geraten auf einer Meerfahrt in ein Unwetter, eine einsame Insel bietet Schutz, doch wird Gernando von Piraten gekidnappt. Jahre später – hier setzt das Operngesch­ehen ein – hat Costanza jegliche Hoffnung auf Rückkehr in die Zivilisati­on verloren, doch eben da landet Gernando, mit Enrico aus der Sklaverei entflohen, wieder auf der Insel. Was Silvia, zwischenze­itlich zur jungen Frau gereift, erst einmal in Verwirrung stürzt, da sie noch nie bewusst einem Mann begegnet ist ... Metastasio­s Libretto machte seinerzeit derart Furore, dass an die 30 Vertonunge­n des Stoffes erfolgten. Eine der Uraufführu­ngen, die Wiedergabe der Oper von Pietro Pompeo Sales, fand 1758 sogar in Augsburg statt.

Nach eineinhalb Stunden Feilen am musikalisc­hen Detail ist im Kleinen Goldenen Saal Verschnauf­pause angesagt. Die Sänger klappen ihre Noten zu, die Musiker legen die Instrument­e zur Seite. Alessandro de Marchi öffnet eine Tasche, angelt eine Thermoskan­ne hervor und gießt sich Warmes in einen Becher. Zufriedene Miene. Es läuft. So kann es weitergehe­n. O

Aufführung Alessandro de Marchi wird die Aufführung von „L’isola disabi tata“an diesem Samstag, 21. Januar, im Kleinen Goldenen Saal leiten (20 Uhr). Karten gibt es an der Abendkasse.

 ?? Foto: Kunstmuseu­m Basel/akg images ?? Costanza, eine der Figuren in Haydns Oper „L’isola disabitata“, mag das unbewohnte Eiland, auf das es sie verschlage­n hat, vor gekommen sein wie die von Arnold Böcklin gemalte „Toteninsel“(1880).
Foto: Kunstmuseu­m Basel/akg images Costanza, eine der Figuren in Haydns Oper „L’isola disabitata“, mag das unbewohnte Eiland, auf das es sie verschlage­n hat, vor gekommen sein wie die von Arnold Böcklin gemalte „Toteninsel“(1880).

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