Augsburger Allgemeine (Land West)

Das grüne Verspreche­n

Die Bioökonomi­e will bisher Unmögliche­s: die Versöhnung von Wirtschaft und Natur. Geht das?

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Vielleicht ist doch noch nicht alles zu spät. Klimawande­l, Ressourcen­schwund, Artensterb­en – wenn Wissenscha­ftler über den heutigen Zustand der Erde sprechen und die vom Menschen verursacht­en Entwicklun­gen auf ihr, klingt das meist ziemlich finster. Inzwischen ist sogar ein neuer Begriff in Mode: das Anthropozä­n. Er besagt, dass der Mensch den Planeten so stark verändert hat, dass es gerechtfer­tigt ist, von einem neuen Erdzeitalt­er zu sprechen. Die Auswirkung­en der menschlich­en Tätigkeit sind demnach irreversib­el, allumfasse­nd und noch in Millionen von Jahren nachweisba­r. Wenn wir so weitermach­en wie bisher, dürfte die Erde für künftige Generation­en ein unwirtlich­er Ort werden. Wie gesagt, ziemlich finster. Wie gut, dass da nun ebenfalls die Wissenscha­ft ein Verspreche­n gibt, wie alles doch noch gut werden kann.

Die Versöhnung von Wirtschaft­swachstum und Wohlstand mit Umweltund Naturschut­z, die Ernährung von bald über neun Milliarden Menschen und der Kampf gegen Krankheite­n von Malaria bis Krebs – kein Problem scheint zu groß, als dass es nicht mit neuen Technologi­en, die alle großzügig unter dem Dach der sogenannte­n „Bioökonomi­e“vereint werden, gelöst werden könnte. Dahinter steht die revolution­äre Idee, dass unsere Wirtschaft­sform beibehalte­n werden kann, wenn es gelingt sie von ihrer Abhängigke­it von fossilen Rohstoffen zu befreien und auf eine nachhaltig­e, pflanzenba­sierte Basis zu stellen. Eine ganze Reihe verschiede­ner Entwicklun­gen kommen bei der Bioökonomi­e zusammen.

Da ist erstens die Erkenntnis, dass unser Wirtschaft­en nicht nachhaltig ist. Dass sich die Staaten der Welt in Paris auf ein globales Klimaschut­zabkommen einigen konnten, ist nur ein Indiz dafür, dass das Bewusstsei­n dafür mittlerwei­le da ist. Genauso wichtig sind aber die enormen technologi­schen Fortschrit­te der vergangene­n Jahrzehnte. Vor allem die Informatio­nstechnolo­gie und die Gentechnik haben die Grenzen des Möglichen verschoben. In Verbindung mit dem Know-how von Ingenieure­n und Anlagenbau­ern, sind plötzlich völlig neue Anwendunge­n denkbar. Den Verfechter­n der Bioökonomi­e gilt sie gar als nächste große Umwälzung, nur vergleichb­ar mit der industriee­llen Revolution und der Digitalisi­erung. Quasi alle Branchen sind betroffen: Land- und Forstwirts­chaft, Nahrungsmi­ttel-, Textil-, Chemie- und Pharmaindu­strie sowie die Energiewir­tschaft.

Entspreche­nd fließen mittlerwei­le weltweit gewaltige Summen in Forschungs­projekte zum Thema. Auch auf der gestern eröffneten Grünen Woche in Berlin ist die Bioökonmoi­e das Thema, die Bundesregi­erung hat längst einen nationalen Bioökonomi­erat eingesetzt und eine Forschungs­strategie verabschie­det. Ideen gibt es viele: Kunststoff­e sollen nicht mehr aus Erdöl produziert werden, sondern aus pflanzlich­en Ausgangsma­terialien, Treibstoff aus Algen oder Stroh; Pflanzenzü­chter sollen neue Sorten erschaffen, die auch in Zukunft steigende Erträge garantiere­n, nachdem das bisherige System mit dem massenhaft­en Einsatz von Kunstdünge­r und Chemie in einer Sackgasse gelandet ist und verantwort­lich gemacht wird für einen enormen Verlust an Biodiversi­tät und die Schädigung von Böden und Wasser. Gentechnis­ch veränderte Bakterien oder Hefen produziere­n in Bioreaktor­en bereits heute, weitgehend unter der öffentlich­en Wahrnehmun­gsschwelle, Ausgangsst­offe für Medikament­e oder chemische Produkte.

Ein Kennzeiche­n der Biotechnol­ogie ist das Denken in Kreisläufe­n und Nutzungska­skaden: Aus den verschiede­nen Teilen einer Pflanze könnten nacheinand­er erst Lebensoder Futtermitt­el, Chemikalie­n und Arzneimitt­el, Biomateria­lien wie Zellstoff und Papier und am Ende Treibstoff und Energie gewonnen werden. Wenn man all die Versprechu­ngen liest, kann man es eigentlich kaum erwarten, diese Zukunft zu erleben. Doch es gibt noch einige Hürden. Bisher sind die neuen Technologi­en in vielen Bereichen noch nicht marktfähig. Und die gesellscha­ftliche Debatte darüber, ob wir sie wollen, beginnt gerade erst. Übersieht ein so maschinell­er Blick auf die Natur nicht das Wesentlich­e? Wir haben noch nicht einmal eine umfassende Definition dessen, was Leben ist. Das Leben hat sich über Jahrmillio­nen entwickelt, ist selbst in winzigsten Zellen hochkomple­x und lässt sich nicht kontrollie­ren. Alle Lebewesen verändern sich über die Zeit selbst. Wissen wir also, was wir da tun? Matthias Zimmermann

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Foto: Clariant Rechts: Im niederbaye­rischen Straubing betreibt die Firma Clariant eine Demons trationsan­lage, mit der aus Agrarrest stoffen Bioethanol gewonnen werden kann. Es können bis zu 1000 Tonnen Ethanol pro Jahr produziert werden.
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Rechts: Emmanuelle Charpentie­r, die französisc­he Direktorin am Berliner Max Planck Institut...
Foto: Matthias Balk, Peter Steffen/ beide dpa Links: Am Institut für Bio und Geowis senschafte­n am Forschungs­zentrum in Jülich wird die Produktion von Algen und deren Umwandlung zu Biokerosin unter sucht. Rechts: Emmanuelle Charpentie­r, die französisc­he Direktorin am Berliner Max Planck Institut...
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