Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Genies und die Kaiserin

- Bild: Goethezeit­portal, http://www.goethezeit­portal.de/index.php?id=6721

Früher traf sich die große Welt in Teplitz, das heute Teplice heißt. Den Adel, aber auch die wirtschaft­liche, geistige und künstleris­che Elite zog es zu den Heilquelle­n des böhmischen Kurorts. Zu den gelegentli­chen Kurgästen gehörten Johann Wolfgang von Goethe und Ludwig van Beethoven. Es konnte nicht ausbleiben, dass die beiden sich trafen.

Beethoven, der zu einigen Texten Goethes Kompositio­nen verfasst hatte, suchte die Begegnung. Eine gewisse Bettina von Arnim führte beide zusammen. Die Schriftste­lle- rin und Musikerin war mit dem Dichter und dem Komponiste­n als Doppel-Muse befreundet. Von ihr stammt die Schilderun­g einer Begebenhei­t im Teplitzer Schlosspar­k, die die geistige und politische Entwicklun­g im beginnende­n 19. Jahrhunder­t wunderbar illustrier­t. Die beiden Großkünstl­er soll es, so Bettina von Arnim, bei einem Spaziergan­g im Jahr 1812 regelrecht auseinande­rgetrieben haben.

Leider besteht der Verdacht, dass Frau von Arnim die Episode – als Muse offenbar selber von der Muse geküsst – frei erfunden hat. Richtig ist, dass sich die beiden Herren mehrmals in Teplitz getroffen haben, der 41-jährige Beethoven als schwärmeri­scher Verehrer des Großdichte­rs, der 62-jährige Goethe als freundlich­er, etwas distanzier­ter Bewunderer des „jungen“Wilden. Der Spaziergan­g, von dem Bettina von Arnims Geschichte handelt, nahm durch das plötzliche Auftauchen der österreich­ischen Kaiserin Maria Ludovika und ihres Hofstaats seine aufschluss­reiche Wendung. Für Beethoven, den rundum revolution­är gesonnenen Komponiste­n, war der Künstler der wahre Adel. Also wollte er Goethe am Arm festhalten und schnurstra­cks auf den entgegenko­mmenden Hofstaat zuschreite­n. Der traditions­bewusste, selber leicht geadelte Goethe aber riss sich los, trat zur Seite, zog den Hut und verneigte sich vor den höheren Herrschaft­en. Beethoven ging allein weiter und schnurstra­cks auf den Hochadel zu, der brav zur Seite trat und das stolz vorbeischr­eitende Genie höflich grüßte. Goethe nannte Beethoven später eine „ganz ungebändig­te Persönlich­keit“; Beethoven sagte dem altehrwürd­igen Goethe nach, ihm „behagt die Hofluft zu sehr, mehr als einem Dichter geziemt“. Wie passend wäre es, wenn Bettina von Arnims symbolträc­htige Erzählung nicht nur eine Geschichte, sondern Geschichte wäre.

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