Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Genies und die Kaiserin
Früher traf sich die große Welt in Teplitz, das heute Teplice heißt. Den Adel, aber auch die wirtschaftliche, geistige und künstlerische Elite zog es zu den Heilquellen des böhmischen Kurorts. Zu den gelegentlichen Kurgästen gehörten Johann Wolfgang von Goethe und Ludwig van Beethoven. Es konnte nicht ausbleiben, dass die beiden sich trafen.
Beethoven, der zu einigen Texten Goethes Kompositionen verfasst hatte, suchte die Begegnung. Eine gewisse Bettina von Arnim führte beide zusammen. Die Schriftstelle- rin und Musikerin war mit dem Dichter und dem Komponisten als Doppel-Muse befreundet. Von ihr stammt die Schilderung einer Begebenheit im Teplitzer Schlosspark, die die geistige und politische Entwicklung im beginnenden 19. Jahrhundert wunderbar illustriert. Die beiden Großkünstler soll es, so Bettina von Arnim, bei einem Spaziergang im Jahr 1812 regelrecht auseinandergetrieben haben.
Leider besteht der Verdacht, dass Frau von Arnim die Episode – als Muse offenbar selber von der Muse geküsst – frei erfunden hat. Richtig ist, dass sich die beiden Herren mehrmals in Teplitz getroffen haben, der 41-jährige Beethoven als schwärmerischer Verehrer des Großdichters, der 62-jährige Goethe als freundlicher, etwas distanzierter Bewunderer des „jungen“Wilden. Der Spaziergang, von dem Bettina von Arnims Geschichte handelt, nahm durch das plötzliche Auftauchen der österreichischen Kaiserin Maria Ludovika und ihres Hofstaats seine aufschlussreiche Wendung. Für Beethoven, den rundum revolutionär gesonnenen Komponisten, war der Künstler der wahre Adel. Also wollte er Goethe am Arm festhalten und schnurstracks auf den entgegenkommenden Hofstaat zuschreiten. Der traditionsbewusste, selber leicht geadelte Goethe aber riss sich los, trat zur Seite, zog den Hut und verneigte sich vor den höheren Herrschaften. Beethoven ging allein weiter und schnurstracks auf den Hochadel zu, der brav zur Seite trat und das stolz vorbeischreitende Genie höflich grüßte. Goethe nannte Beethoven später eine „ganz ungebändigte Persönlichkeit“; Beethoven sagte dem altehrwürdigen Goethe nach, ihm „behagt die Hofluft zu sehr, mehr als einem Dichter geziemt“. Wie passend wäre es, wenn Bettina von Arnims symbolträchtige Erzählung nicht nur eine Geschichte, sondern Geschichte wäre.