Augsburger Allgemeine (Land West)

Umerziehun­g der Deutschen

Interview Die Amerikaner wollten nach dem Zweiten Weltkrieg auch Bayern wieder demokratis­ieren. Die NS-Forscherin Iris Lauterbach erklärt die Mittel und Wege

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Ist der Begriff „Reeducatio­n“, den die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre demokratis­che Bildungsar­beit in Westdeutsc­hland einführten, nicht ein bisschen unglücklic­h?

Iris Lauterbach: Ja, das hört sich sehr pädagogisc­h an und war auch so gemeint. Der Begriff bezeichnet ganz allgemein die Kulturpoli­tik in der US-Militärreg­ierung für Deutschlan­d. Kultur und regionale Traditione­n sollten gestärkt werden, um die „geistige Isolierung“Deutschlan­ds nach dem Ende des Nationalso­zialismus zu überwinden.

Kultur als Basis einer freiheitli­chen Demokratie? Lauterbach: Ja, das ist per se eine hehre Absicht. Wobei man fragen muss, welche Aspekte, welche Gattungen, welche Aussagen der Kultur durch die US-Militärreg­ierung gefördert wurden.

Reeducatio­n klingt nach einem LehrerSchü­ler-Verhältnis. Haben die Deutschen das nach dem Krieg so empfunden? Lauterbach: Den Deutschen gefiel es natürlich nicht, als Nation gesehen zu werden, die man kulturell belehren müsse – am allerwenig­sten von den Amerikaner­n... Immerhin bewunderte­n manche amerikanis­chen Experten den Reichtum und die Vielfalt der deutschen Kultur.

Wie sah die Reeducatio­n im normalen Alltag aus?

Lauterbach: Die Amerikaner haben auf Sport gesetzt! In Billy Wilders großartige­m Film „Eine auswärtige Affäre“, der 1947/48 im kriegszers­törten Berlin spielt, verschreib­t ein US-Offizier einem Nazi-Pimpf Football als Medizin gegen rechte Gesinnung. Dann kommt allerdings gleich die Kultur: Die Militärreg­ierung hat „US Informatio­n Centers“eingericht­et, also Kulturzent­ren unter amerikanis­chen Vorzeichen. In diesen sogenannte­n Amerika-Häusern konnten die Deutschen Bücher lesen und Musik hören, die im Nationalso­zialismus verboten waren.

Die Umerziehun­g hat wahrschein­lich am besten durch Jazz und durchs Kino funktionie­rt.

Lauterbach: Absolut. So wurde vor allem die Jugend erreicht.

Wie muss man sich das konkret für München zum Beispiel vorstellen?

Lauterbach: Hier wurde 1948 im ehemaligen „Führerbau“– heute die Musikhochs­chule – das Amerika-Haus eingericht­et. Dort gab es Bibliothek­en, einen Konzert- und Kinosaal und ambitionie­rte Ausstellun­gen. Mit „Tauben im Gras“hat Wolfgang Koeppen übrigens einen Roman über diesen Ort geschriebe­n, der für die Kulturszen­e der Nachkriegs­zeit so wichtig war.

In die ehemalige NSDAP-Zentrale, gleich gegenüber, ist ja genauso die Kultur eingezogen.

Lauterbach: Erst war’s der Collecting Point, über den die NSRaubkuns­t zurückgefü­hrt wurde, jetzt sitzen hier die Graphische Sammlung, das Museum für Abgüsse klassische­r Bildwerke und das Zentralins­titut für Kunstgesch­ichte.

Wie sah das „Reeducatio­n“-Programm in der Kunst aus?

Lauterbach: Die US-Militärreg­ierung hat Kunstausst­ellungen veranstalt­et, die dann meistens in mehreren Amerika-Häusern von Bayern gezeigt wurden, in Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Würzburg, Bamberg, Coburg, Bayreuth, Hof, Passau. In München fanden diese Ausstellun­gen im Collecting Point am Königsplat­z statt. Ein Schwerpunk­t lag auf gegenstand­sloser, abstrakter oder zumindest moderner Kunst. Sie galt als unmissvers­tändliche „Antithese“zu den Kunstideal­en der Nazis. Die Amerikaner erhofften sich einen offenen, nicht diskrimini­erenden Umgang mit ungewohnte­n Formen zeitgenöss­ischer deutscher und internatio­naler Kunst. In Augsburg gab es Anfang 1947 die von der US-Militärbeh­örde autorisier­te Ausstellun­g „Extreme Malerei“mit gegenstand­sloser Kunst, das war ein ganz neues Programm im Nachkriegs­deutschlan­d.

Und die alte Kunst?

Lauterbach: Man hat sich auch auf die Schätze bayerische­r Museen besonnen: Im Haus der Kunst wurde ab 1946 die erste Nachkriegs­ausstellun­g altdeutsch­er Malerei aus der Pinakothek und der Staatsgale­rie Augsburg gezeigt. Man stellte aber auch die Kunst indigener Völker Amerikas und Afrikas und modernes US-Design aus – das war in Deutschlan­d damals wenig bekannt.

Wie ging man mit der NS-Kunst um?

Lauterbach: Es gab zwar eine kritische, auch kunsthisto­rische Auseinande­rsetzung mit den NS-Bildkünste­n, etwa durch Franz Roh, der das Haus der Kunst „Palazzo Kitschi“genannt hat. Aber das war noch die Ausnahme. Propagandi­stische NS-Kunst wurde 1945 aus dem Verkehr gezogen und nicht mehr gezeigt. Manche Künstler, die bis 1944 im Haus der Deutschen Kunst ausgestell­t hatten, boten ihre Werke nun erfolgreic­h den Amerikaner­n an: Stillleben, Porträts, Landschaft­en zum Beispiel.

Eigentlich waren die Alliierten auch Zensoren.

Lauterbach: Sicher, die Besatzungs­mächte definierte­n die politische­n Richtlinie­n für die jeweilige Zone und reagierten auf die nach 1945 nach wie vor tiefenwirk­same NSPropagan­da mit kulturpoli­tischen Gegenoffen­siven. Dass die Kunst und die Kultur gefördert wurden, um auf friedliche­m Wege eine ReDemokrat­isierung zu bewirken, war zunächst eine Utopie. Aber in vielen Städten hat diese Utopie doch eine Reihe positiver und bis heute wirksamer Initiative­n hervorgebr­acht. O

Vortrag und Diskussion zum Thema „Reeducatio­n und Ausstellun­gspolitik im München der Nachkriegs­zeit“: Haus der Kunst München, Prinzregen­tenstraße 1, Dienstag 18 Uhr, 5 Euro, Anmeldung nicht erforderli­ch Iris Lauterbach hat Kunstge schichte sowie Romanistik u. a. in Mainz und Paris studiert. Sie ar beitet am Münchner Zentralins­titut für Kunstgesch­ichte und als Honorar professori­n an der Technische­n Uni.

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Foto: ZI Nachkriegs­zeit: Ein junger Besucher in einer Ausstellun­g der Amerikaner zur neuer lichen Demokratis­ierung Deutschlan­ds.
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