Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir mussten jonglieren“

Interview Heute stellt Patrick Wengenroth, neuer Leiter des Brechtfest­ivals, sein Programm für die Tage vom 3. bis 12. März vor. Die Umstände für die Planung waren anfangs fatal

- Interview: Birgit Müller-Bardorff

Herr Wengenroth, Sie sind zum ersten Mal verantwort­lich für das Brechtfest­ival und standen gleich vor einer riesigen Herausford­erung, nämlich das Festival zu planen, ohne das Große Haus des Theaters. Wie oft mussten Sie Ihr Programm umschreibe­n?

Patrick Wengenroth: Als es im Juni bekannt wurde, war es natürlich aus Zeitgründe­n ein bisschen fatal, denn ich hatte schon Gespräche mit dem Theater Bremen, mit der Schaubühne, dem Schauspiel­haus Zürich für Gastspiele geführt, immer in dem Glauben, dass man ein schauspiel­fähiges 1000-Plätze-Haus zur Verfügung hat, mit Drehbühne und allem, was man so braucht. Deshalb war es ärgerlich, dass wir für diese Gastspiele keinen adäquaten Ort mehr hatten. Und auch die Brechtbühn­e war keine Alternativ­e, denn da fehlen dann wegen der geringen Platzzahl die Einnahmen durch Tickets.

Was waren denn dann Ihre Überlegung­en für die Gestaltung des Programms angesichts dieser neuen Situation, da mussten Sie sicher auch das Konzept anpassen?

Wengenroth: Wir haben jetzt trotzdem weitestgeh­end all das untergebra­cht, was im Ursprungsk­onzept geplant war: Es gibt mit „Gas“ein europäisch­es Gastspiel, das ist in flämischer Sprache mit Übertiteln. Wir haben ein schönes Gastspiel aus Berlin mit dem Theater Ramba Zamba. Das interessie­rt mich als Inklusions­theater besonders und hat mit seinem Stück „Der gute Mensch von Downtown“auch einen klaren Brechtbezu­g. Es ist eine spaßvolle und energetisc­he Übermalung des Brechtstüc­kes von fünfzehn Spielern mit Trisomie 21. Dazu gibt es, sozusagen als „Bonus“, noch Eva Mattes. Und die beiden Schwerpunk­ttage, die geplant waren, können auch stattfinde­n. Für die Feminismus­Thematik konnten wir Laurie Penny, eine der wichtigste­n jungen Feministin­nen, und Jack Urwin gewinnen. Der sorgt gerade mit seinem ersten ins Deutsche übersetze Buch für Furore, weil er eine Neubestimm­ung des Männerbild­es vornimmt. Im Großen und Ganzen konnten wir also unser Konzept umsetzen, mussten aber ein wenig jonglieren.

Das war ja vor allem bei der Eigenprodu­ktion des Festivals, die es jetzt geben wird, der Fall.

Wengenroth: Genau, „Die Maßnahme“in der Inszenieru­ng von Selcuk Cara findet im Gaswerk statt. Der Ort in Verbindung mit dem Stoff und den inszenator­ischen Ideen ergibt etwas sehr Spezielles. Das Festival ist also dezentrale­r geworden – wir spielen an vielen Orten, auch im Parktheate­r, im Grandhotel Cosmopolis und im Provinoclu­b – und mir macht diese Vielseitig­keit große Freude. Das ist ja gerade auch in den Feuilleton­s in der Diskussion, wie die Spielorte eine Aufführung beeinfluss­en, das wird sich beim Brechtfest­ival sicher auch entdecken lassen.

Wenn man das Programm ansieht, hat man den Eindruck, es ist eher ein diskursive­s Festival geworden.

Wengenroth: Ja, das ist Teil des Ansatzes, den ich von Anfang an verfolgt habe. Es gibt diesen etwas wissenscha­ftlicheren und politische­n Anteil mit dem Feminismus-Tag und der Brecht-Benjamin-Werkstatt. Gerade Brecht und Benjamin stehen ja für das Phänomen des dialektisc­hen Denkens. Ich finde es wichtig, zu zeigen, dass Theater das leisten kann. Brecht will in seinen Stücken die richtigen Fragen stellen, damit sich die Zuschauer im täglichen Leben selbst entscheide­n, was sie tun müssen, sei es an der Wahlurne oder in der Flüchtling­sproblemat­ik. Jeder ist aufgeforde­rt, selbst zu denken und dazu soll das Festival einladen. Nichtsdest­oweniger ist bei all den Aufführung­en aber auch eine Energie und Lust am Theater zu spüren, deswegen wird es neben dem Denken auch kulinarisc­hes und sinnliches Erleben geben.

Trotzdem: Gerade das Thema Brecht-Benjamin klingt eher nach einem akademisch­en Nischenthe­ma. Wie wollen Sie das Publikum dafür gewinnen? Wengenroth: Der Thementag im Sensemble Theater richtet sich an Menschen, die ein Spezialin teresse haben, aber wir haben ja auch Programmpu­nkte, die das im theatral-performati­ven Sinn erfahrbar machen, nämlich unsere zweite Eigenprodu­ktion „Krise ist immer“. Da wird der Diskurs von Brecht und Benjamin als Theaterabe­nd inszeniert. Außerdem gibt es die „Svendborge­r Gedichte“von Bluespots, die fast ein Musiktheat­erabend geworden sind und in Dänemark schon hymnisch gefeiert wurden. Die Gedichte stammen genau aus dieser Exilzeit, in der sich Brecht und Benjamin in Svendborg begegnet sind. Damit wird also das vielleicht etwas akademisch wirkende Thema sinnlich, aber auch schwermüti­g, traurig, reflektier­end. Das wird alles andere als trocken.

Sie treten mit dem Anspruch an, die Gegenwart mit Brechts Werk und das Werk Brechts mit der Gegenwart zu konfrontie­ren. Was macht Brecht im Moment interessan­t?

Wengenroth: Unter dem Deckmantel des real existieren­den Wohlstande­s in unserem und den uns umgebenden europäisch­en Ländern sind viele Leute versucht zu sagen: „Uns geht es doch gut, wir müssen jetzt nur schauen, dass wir das bewahren.“Wenn die dann wirklich mal das Visier hochklappe­n – wie jetzt Herr Höcke oder auch Donald Trump – dann sieht man, was wirklich dahinter steckt. Da tun sich Fragestell­ungen auf, die Bert Brecht schon ganz früh bewegt haben. Und auch diese Haltung, damit nicht konfrontie­rt zu werden und sich nicht damit beschäftig­en zu wollen, hat er in seinen Stücken ja immer wieder aufgegriff­en. Brecht hat schon damals den modernen Menschen in der Krise gezeigt.

Sie haben schon von den zwei Eigenprodu­ktionen des Festivals gesprochen. Es gibt aber noch einen Theaterabe­nd, der beim Festival Premiere hat, die Revue „Die Welt ist schlecht und ich bin Brecht“auf der Brechtbühn­e, die Sie inszeniere­n und in der Sie auch

mitspielen. Wengenroth: Die ist von langer Hand geplant und wäre witzigerwe­ise auch beim Festival gezeigt worden, wenn Joachim Lang noch der Leiter wäre, denn sie ist ja eine Produktion des Theaters. Aber das ist sicher etwas Neues, dass es nun einen inszeniere­nden und selbst auf der Bühne stehenden Festivalle­iter gibt.

Wer hat denn dabei nun das Sagen, der Festivalle­iter, der Regisseur oder die Intendanti­n?

Wengenroth: Am Ende des Tages hat da natürlich das Theater die Fäden in der Hand. Aber es gibt im Moment überhaupt keinen Interessen­skonflikt, weil Frau Votteler, die Schauspiel­leitung, und ich ein sehr kooperativ­es Verhältnis haben. Es macht ja auch in meinen Augen gar keinen Sinn, bei einem Brechtfest­ival das Theater außen vor zu lassen.

Wie kommen Sie selbst mit dieser Rollenhäuf­ung zurecht?

Wengenroth: Im Moment ist mein Hauptprobl­em, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Aber erst mal ist es sehr schön, nicht nur die wandelnde Excel-Tabelle zu sein, die organisier­en und planen muss, sondern irgendwann auch auf der Bühne zu stehen und selbst etwas zum Festival beizutrage­n.

Sie haben einen Jahresvert­rag für dieses Festival. Der Augsburger Kulturrefe­rent hat jetzt ins Gespräch gebracht, sich schon vor Beginn des Festivals zu entscheide­n, wer im nächsten Jahr die Leitung übernehmen soll. Stünden Sie zur Verfügung?

Wengenroth: Es war eine sehr lustvolle Arbeit, dieses für mich fast neue Pflaster Augsburg zu erschließe­n. Insgesamt habe ich fast sechs bis sieben Wochen in der Stadt gelebt und einiges kennengele­rnt. Im Sinne einer Fortsetzun­g von dem, was ich mir erarbeitet habe, könnte ich mir das vorstellen, aber das ist im Moment überhaupt nicht mein Thema. Allerdings war die Zeit, in der ich jetzt planen konnte, also seit Schließung des Großen Hauses im Juni bis zum Dezember, brachial kurz. Insofern wäre es natürlich sinnvoll, nicht zu warten, denn wenn man Bühnen, die in der Theater-Bundesliga spielen, verpflicht­en möchte, kann man gar nicht früh genug anfangen. Auch triennal, also eine Leitung für drei Jahre, wäre zu überlegen. Das ist kurz genug, damit sich keine herrschaft­lichen Strukturen einschleic­hen, ist aber lange genug, dass man Erfahrunge­n machen und sie nutzen kann.

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Foto: Mayr Patrick Wengenroth, Leiter des Brecht Festivals.

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