Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie Mexiko von Trump ausgegrenzt wird
Beziehungen Eine 3200 Kilometer lange Mauer, Strafzölle, Massenabschiebungen – der neue US-Präsident hat keinem Land mehr gedroht als dem Nachbarstaat. Geht dort nun die Angst um? Einerseits ja. Aber manche Reaktion überrascht dann doch
San Luis Potosi Das Schild an der Tür zum Café Corazon Santo ist nicht zu übersehen. „Wir stellen ein“, steht darauf. Kein Jahr ist das stilvolle Café im schicken Süden der ehemaligen Bergbau- und Handelsstadt San Luis Potosi alt, und schon boomt das Geschäft. Hausfrauen am Morgen, Geschäftsleute mittags und Jugendliche abends – Oberkellner Pastor Ortiz ist zufrieden. Und lässt sich nicht einmal davon die Laune verderben, dass Donald Trump den Potosinos, wie die Leute in der zentralmexikanischen Region genannt werden, die geplante Großinvestition einer Autofabrik von Ford vereitelt hat und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) neu verhandeln will. „Wir Mexikaner sind Krisen und schlechte Präsidenten gewohnt, wir werden auch mit Trump fertig“, sagt der stämmige Mittdreißiger selbstsicher.
Einen halben Kilometer entfernt, am neuen Sitz des Industrieverbandes, ist die Stimmung trotz des atemberaubenden Blicks auf die Stadt im Abendlicht getrübter. 80 Prozent seines Außenhandels wickelt Mexiko mit den USA ab. Da ist nicht viel Spielraum für Protektionismus. Zumal rund die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts durch den Handel mit den USA erwirtschaftet wird. Umgekehrt sind es für die USA nur drei Prozent. Für Verbandschef Raul Martinez fühlt es sich daher an, als sei er kurz vor dem Sieg beim Monopoly-Spiel auf das Gefängnisfeld geschickt worden.
Fakt ist: Der neue US-Präsident will eine 3200 Kilometer lange Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten. Der Nachbar soll das bezahlen, Trump droht mit Sondersteuern oder Zöllen. Darüber hinaus könnte er einen Handelskonflikt entfachen, in den auch deutsche Autobauer hineingezogen würden, die in Mexiko für den US-Markt produzieren. Solche Firmen sollen künftig mit hohen Strafzöllen belegt werden. Zusammengenommen ein Paket, das ein Exempel statuieren würde, was Trump unter seiner Leitlinie „Amerika zuerst“versteht.
„Es gibt keinen Tag, an dem Donald Trump nicht auf uns eindrischt“, schimpft Wirtschaftsfunktionär Martinez. „Auf die Politiker ist kein Verlass, jetzt müssen wir eben selbst nach Lösungen suchen“, ergänzt Salvador Esparza, dessen Firma Espartec Kontrollsysteme für die Autoindustrie fertigt. Das klingt nicht nach einem Vertrauensbeweis für Präsident Enrique Peña Nieto, dessen Linie vielen Mexikanern zu weich ist – und dessen Zustimmungswerte auch nur noch bei zwölf Prozent liegen. Nieto hat am Wochenende Trump angerufen, einen „offenen Dialog“versprochen und gleich ein Lob eingeheimst. Die Reaktion Mexikos sei „terrific“gewesen – hervorragend, sagt Trump. Am 31. Januar wollen sich die beiden treffen. Morgen fühlt schon mal Außenminister Luis Videgaray Caso in Washington vor.
Eigene Lösungen also. Aber wie sollen die aussehen? In der Wirtschaft steht die Erschließung neuer Absatzmärkte ganz oben auf der Liste. Stellen einsparen und die Produktion herunterfahren wäre die Notlösung. Denn das würde auch die heimische Kaufkraft abwürgen und womöglich eine Rezession heraufbeschwören. Vor allem linke Politiker schlagen nationalistische Töne an. Der Präsident dagegen kämpferische: Mexiko wolle sich von Trumps Drohgebärden nicht einschüchtern lassen, sagt Peña Nieto am Montag in Mexiko-Stadt: „Mexiko glaubt nicht an Mauern, Mexiko glaubt an Brücken.“
Die Debatte steht stellvertretend für die Diskussion in vielen Regierungszentralen weltweit. Soll man in vorauseilendem Gehorsam nachgeben? Oder ihm die Stirn bieten und erbittert verhandeln? Für die Region San Luis Potosi, die in den vergangenen Jahren im Schnitt um fünf Prozent wuchs, ist Trump jedenfalls eine ziemliche Katastrophe. 23 Jahre sind vergangen seit der Nafta-Unterzeichnung, und fast so lange hat San Luis Potosi gebraucht, um von einer staubigen Handelsstadt in der Wüste zum Zentrum eines der fünf am schnellsten wachsenden Bundesstaaten des Landes zu werden.
Das vor allem deshalb, weil die Autoindustrie Mexiko als idealen Standort entdeckt hat mit billigen Arbeitskräften, niedrigen Steuern und Freihandelsverträgen. Investitionen in Milliardenhöhe und 50 000 Arbeitsplätze stehen allein in San Luis Potosi auf dem Spiel, wenn Trump seine Drohungen wahr macht. Allein die ausgebliebene Investition von Ford bedeutet, dass 10 000 Stellen nicht geschaffen werden, rechnet Martinez vor.
Und nicht nur das. Zusätzlich will Trump auch noch massenweise Migranten ausweisen. Der Präsident sei wütend, dass Mexiko eine Drehscheibe für Migranten aus der ganzen Welt auf dem Weg in die USA geworden sei, räumt ein USDiplomat ein. Alle zwölf Millionen in den USA lebenden Mexikaner wird Trumps Zorn zwar nicht treffen, aber zumindest die geschätzten fünf bis sechs Millionen Illegalen zittern um ihre Existenz. Die Stimmung ist deutlich feindseliger geworden, erzählt Juan Mario Cerino, Vizepräsident der Vereinigung potosinischer Auswanderer in Illinois. „Mit Trump haben die Rassisten Auftrieb bekommen. Aber nicht nur die Weißen sind gegen uns, auch die Schwarzen sind aggressiv geworden. Wir werden nun oft in Restaurants oder auf der Straße angefeindet, beschimpft oder angespuckt. Wenn ich mit meiner Tochter einkaufen gehe, spricht sie lieber englisch“, erzählt der inzwischen pensionierte Doppelstaatler und ehemalige Arbeiter eines Atomkraftwerks.
In Ojo de Agua, einem staubigen 1500-Seelen-Dorf eine Dreiviertelstunde von der Provinzhauptstadt entfernt, hat ein Drittel der Dorfbewohner Angehörige in den USA. Darunter auch Manuela Melendez. Der Bruder der 38-Jährigen arbeitet in Dallas in einem Restaurant und unterstützt sie und ihre vier Kinder regelmäßig mit Dollar-Sendungen. Er hat keine Papiere. „Wir sind alle sehr besorgt um ihn“, sagt sie.
Bislang arbeiten die US-Unternehmen gerne mit Illegalen, weil sie billiger sind. Doch Cerino hat gehört, dass Trump fortan die Firmen auf Schwarzarbeiter kontrollieren und horrende Bußgelder verhängen will. „Damit wird der Arbeitsmarkt für Mexikaner ohne Papiere auf einen Schlag verschwinden, und sie werden alle freiwillig zurückgehen, ohne dass Trump Massendeportationen veranstalten muss.“
„Damit würde sich Trump selbst ins Bein schießen“, sagt der Wirtschaftsminister von San Luis Potosi, Gustavo Puente. Die Migranten seien als Arbeitskräfte in der US-WirtTrump schaft nicht so ohne weiteres zu ersetzen. „Wenn ich Trump vor mir hätte, würde ich ihm erklären, dass Nordamerika dank Nafta zu einem Wirtschaftsraum zusammengewachsen ist und dass US-Autobauer vor allem wegen der günstigen mexikanischen Arbeitskräfte weltweit wettbewerbsfähig sind.“Dass Ford aufgrund des Drucks von Trump von der geplanten Fabrik abgesehen hat, sei eine schlechte Nachricht, aber nicht der Weltuntergang. Fünf Interessenten für das Ford-Gelände hätten sich schon gemeldet, dabei sei noch nicht einmal sicher, dass die Firma darauf endgültig verzichtet.
Andere Autobauer wie BMW, dessen Fabrik in San Luis Potosi 2019 die Fertigung der 3er-Limousine aufnehmen will, halten an ihren Investitionen fest. Der Bau verlaufe planmäßig und Änderungen seien nicht vorgesehen, sagt Sprecherin Almut Stollberg. „Das Werk in Mexiko ist Teil unseres globalen Produktionsnetzwerks und adressiert die weltweit steigende Nachfrage nach unseren Fahrzeugen.“
Auch Hersteller wie Nissan, Volkswagen oder Mercedes hoffen, dass der Spuk Trump in vier Jahren vorüber ist, und wollen ihre Investitionspläne nicht aufgeben. Allein das reicht Puente zufolge schon aus, um Zulieferer weiter nach Mexiko zu locken. „Wir hatten bislang jährlich Investitionen in Höhe von 800 Millionen US-Dollar“, sagt der Politiker. „Wir werden weiter wachsen, aber sicher langsamer.“Auch die Chinesen stehen Schlange in den als Freihandelszonen gestalteten Industrieparks. Sie könnten Experten zufolge zu den größten Gewinnern werden, sollten sich die USA hinter Protektionismus verschanzen.
Nicht nur mit neuen Allianzen könnte Mexiko letztlich als Gewinner dastehen. Auch die Absicht Trumps, Nafta neu zu verhandeln, sei eine Chance für das Land, glaubt die auf internationale Beziehungen spezialisierte Politologin Cecilia Costero von der Hochschule Colegio de San Luis. „Im Vertrag fehlen Klauseln zum Technologietransfer, und die Lösung der Kontroversen vor internationalen Schiedsgerichten war sehr nachteilig für Mexiko“, sagt sie. Würden die mexikanischen Unterhändler ein Gesamtpaket schnüren und neben diesen Themen auch noch Migration und Sicherheitsfragen wie den blühenden USWaffenexport nach Mexiko einbringen, könnten sich die Beziehungen ausgeglichener gestalten. Und würde auch nur ein Bruchteil der 1,5 Millionen in den USA lebenden Potosinos zurückkommen, müsste sich die Regierung abseits vom „Getto der Autoindustrie“Gedanken über eine neue Entwicklungsstrategie machen und vielleicht die vernachlässigte Landwirtschaft wiederbeleben, sagt Costero. „Ich sehe Trump deshalb auch als große Chance.“
Ist das realistisch oder nur Zweckoptimismus? Vorschläge, wie Mexiko Profit aus der Neuverhandlung schlagen könnte, gibt es einige. „Sicherheit gegen Handel“könnte eine Verhandlungsformel lauten. „Wenn Trump eine Mauer baut und Nafta kündigt, dann muss er sich allein darum kümmern, Migranten, Drogen und Terroristen zu stoppen, ohne Zutun Mexikos“, schlägt der ehemalige mexikanische Außenminister Jorge Castañeda vor. Um die Massenabschiebungen zu stoppen, könne Mexiko den Betroffenen Anwälte zahlen und das US-Justizsystem zum Kollabieren bringen. Sanfte Töne oder Einknicken bestärkten aggressive Populisten wie Trump nur noch, warnt der in den USA lehrende Politologe. Doch bislang geht Mexikos Regierung mit Samthandschuhen vor. Für morgen hat Trump die erste Verhandlungsrunde angesetzt. Bislang weiß niemand, was Mexiko dabei vorhat.
Morgen fühlt schon mal der Außenminister vor BMW will an seinen Plänen festhalten