Augsburger Allgemeine (Land West)
Mit dem Fall Höcke demaskiert sich die AfD
Debatte Obwohl der Thüringer Fraktionschef in einer kruden Rede Positionen vertrat, die sonst von der NPD besetzt werden, wird er nicht ausgeschlossen. Das ist kein Zufall, die Partei hofft auch auf rechtsextreme Wähler
Sicher, es kam Widerspruch aus dem AfD-Vorstand, nachdem die etwas unscharfen Bilder der kruden Dresdner Rede von Björn Höcke in der Welt waren. Doch die Reaktionen waren auffällig kraftlos. Sogar Parteichefin Frauke Petry kritisierte öffentlich eher lustlos, dass der Thüringer AfD-Fraktionschef, mit dem sie eine intensive gegenseitige Abneigung verbindet, eine „Belastung“darstelle. Andere, wie der vermeintlich gemäßigte Jörg Meuthen, sagten sinngemäß nur: Das macht man nicht, aber damit muss es auch wieder gut sein.
Fast überraschend dann gestern die Meldung, dass der Parteivorstand über ein Ausschlussverfahren beraten werde. Doch die Aufregung fiel gegen Mittag lautlos in sich zusammen. Von Ausschluss war nicht mehr die Rede. Dabei hatte Höcke eine Rede gehalten, die an Niederträchtigkeit kaum zu über- war. Infam sein Versuch, den Holocaust zu relativieren. Dass er sich dafür auch noch von einer aufgeputschten Menge im Saal feiern ließ, rundete das gespenstische Gesamtbild ab. Höcke erweckte den Eindruck, dass das „dämliche“Gedenken an die Nazi-Verbrechen Deutschland schleichend vergifte und die Deutschen in den Gemütszustand eines „total besiegten Volkes“hinabstoße. Entgleisungen, die ein Ausschlussverfahren zweifellos gerechtfertigt hätten.
Was der Geschichtslehrer Höcke, der seine Worte ganz genau wählt, mit solchen Sprüchen erreichen will, liegt auf der Hand. Er will die Partei – und letztlich auch das ganze Land – weiter nach rechts führen. Ist Höcke also ein Nazi? Viel eher ist er ein Nationalkonservativer mit völkischen Überzeugungen. Das Volk als Schicksalsgemeinschaft, von innen gefährdet durch liberale Einflüsse und das „Altparteienkartell“, von außen bedroht durch Einwanderung. Die Freiheit des Ein- zelnen, eine offene Gesellschaft und eben die Aufarbeitung der dunklen Punkte der deutschen Geschichte sind ihm ein Gräuel. Geeignet, Deutschland zu spalten und zu schwächen. „Eliten“, die dieser Ideologie entgegenstehen, will der Demagoge „entsorgen“. Das ist – inhaltlich und begrifflich – menschenverachtend. Kurz: Björn Höcke will ein anderes Deutschland.
Die AfD hat sich im Umgang mit dem Fall erneut demaskiert. Tabubrüche, sind die auch noch so geschmacklos, werden toleriert, um rechtsextreme Wähler zu binden. Gleichzeitig ist ihren Spitzenfunktionären bewusst, dass die Partei Gefahr läuft, Anhänger aus dem bürgerlichen Milieu vor den Kopf zu stoßen. Im konkreten Fall bedeutet das: Gegen Höcke wird zwar kein Ausschlussverfahren eingeleitet, der Vorstand kündigt aber Ordnungsmaßnahmen an.
Höcke ist Wiederholungstäter. Parteigründer Bernd Lucke versuchte ihn im Mai 2015 aus der Parbieten tei zu drängen. Damals hatte der gebürtige Westfale Teile der NPD gegen den Vorwurf in Schutz genommen, rechtsextrem zu sein. Wenige Monate später stand erneut ein Ausschlussverfahren zur Debatte. Diesmal hatte der heute 49-Jährige – hart an der Grenze zur Rassenideologie – über den „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“sowie den „europäischen Platzhalter“doziert und sich über das „Reproduktionsverhalten der Afrikaner“ausgelassen. In der Parteiführung setzte sich am Ende immer die Linie durch: Tadeln und weiter zündeln lassen.
Das ist knallharte Strategie, die aus Sicht der AfD bestens funktioniert. Doch es gibt einen Faktor, der dieses Konzept gefährdet. Tiefe persönliche Abneigungen und Fehden zwischen den Spitzenpolitikern brachten die Partei bisweilen an den Rand des Untergangs. Dauerhaft ließen sich die Wähler davon bisher nicht abschrecken. Aber das kann sich ändern.