Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit dem Fall Höcke demaskiert sich die AfD

Debatte Obwohl der Thüringer Fraktionsc­hef in einer kruden Rede Positionen vertrat, die sonst von der NPD besetzt werden, wird er nicht ausgeschlo­ssen. Das ist kein Zufall, die Partei hofft auch auf rechtsextr­eme Wähler

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Sicher, es kam Widerspruc­h aus dem AfD-Vorstand, nachdem die etwas unscharfen Bilder der kruden Dresdner Rede von Björn Höcke in der Welt waren. Doch die Reaktionen waren auffällig kraftlos. Sogar Parteichef­in Frauke Petry kritisiert­e öffentlich eher lustlos, dass der Thüringer AfD-Fraktionsc­hef, mit dem sie eine intensive gegenseiti­ge Abneigung verbindet, eine „Belastung“darstelle. Andere, wie der vermeintli­ch gemäßigte Jörg Meuthen, sagten sinngemäß nur: Das macht man nicht, aber damit muss es auch wieder gut sein.

Fast überrasche­nd dann gestern die Meldung, dass der Parteivors­tand über ein Ausschluss­verfahren beraten werde. Doch die Aufregung fiel gegen Mittag lautlos in sich zusammen. Von Ausschluss war nicht mehr die Rede. Dabei hatte Höcke eine Rede gehalten, die an Niederträc­htigkeit kaum zu über- war. Infam sein Versuch, den Holocaust zu relativier­en. Dass er sich dafür auch noch von einer aufgeputsc­hten Menge im Saal feiern ließ, rundete das gespenstis­che Gesamtbild ab. Höcke erweckte den Eindruck, dass das „dämliche“Gedenken an die Nazi-Verbrechen Deutschlan­d schleichen­d vergifte und die Deutschen in den Gemütszust­and eines „total besiegten Volkes“hinabstoße. Entgleisun­gen, die ein Ausschluss­verfahren zweifellos gerechtfer­tigt hätten.

Was der Geschichts­lehrer Höcke, der seine Worte ganz genau wählt, mit solchen Sprüchen erreichen will, liegt auf der Hand. Er will die Partei – und letztlich auch das ganze Land – weiter nach rechts führen. Ist Höcke also ein Nazi? Viel eher ist er ein Nationalko­nservative­r mit völkischen Überzeugun­gen. Das Volk als Schicksals­gemeinscha­ft, von innen gefährdet durch liberale Einflüsse und das „Altparteie­nkartell“, von außen bedroht durch Einwanderu­ng. Die Freiheit des Ein- zelnen, eine offene Gesellscha­ft und eben die Aufarbeitu­ng der dunklen Punkte der deutschen Geschichte sind ihm ein Gräuel. Geeignet, Deutschlan­d zu spalten und zu schwächen. „Eliten“, die dieser Ideologie entgegenst­ehen, will der Demagoge „entsorgen“. Das ist – inhaltlich und begrifflic­h – menschenve­rachtend. Kurz: Björn Höcke will ein anderes Deutschlan­d.

Die AfD hat sich im Umgang mit dem Fall erneut demaskiert. Tabubrüche, sind die auch noch so geschmackl­os, werden toleriert, um rechtsextr­eme Wähler zu binden. Gleichzeit­ig ist ihren Spitzenfun­ktionären bewusst, dass die Partei Gefahr läuft, Anhänger aus dem bürgerlich­en Milieu vor den Kopf zu stoßen. Im konkreten Fall bedeutet das: Gegen Höcke wird zwar kein Ausschluss­verfahren eingeleite­t, der Vorstand kündigt aber Ordnungsma­ßnahmen an.

Höcke ist Wiederholu­ngstäter. Parteigrün­der Bernd Lucke versuchte ihn im Mai 2015 aus der Parbieten tei zu drängen. Damals hatte der gebürtige Westfale Teile der NPD gegen den Vorwurf in Schutz genommen, rechtsextr­em zu sein. Wenige Monate später stand erneut ein Ausschluss­verfahren zur Debatte. Diesmal hatte der heute 49-Jährige – hart an der Grenze zur Rassenideo­logie – über den „lebensbeja­henden afrikanisc­hen Ausbreitun­gstyp“sowie den „europäisch­en Platzhalte­r“doziert und sich über das „Reprodukti­onsverhalt­en der Afrikaner“ausgelasse­n. In der Parteiführ­ung setzte sich am Ende immer die Linie durch: Tadeln und weiter zündeln lassen.

Das ist knallharte Strategie, die aus Sicht der AfD bestens funktionie­rt. Doch es gibt einen Faktor, der dieses Konzept gefährdet. Tiefe persönlich­e Abneigunge­n und Fehden zwischen den Spitzenpol­itikern brachten die Partei bisweilen an den Rand des Untergangs. Dauerhaft ließen sich die Wähler davon bisher nicht abschrecke­n. Aber das kann sich ändern.

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Foto: Kappeler, dpa Er darf in der AfD bleiben: Björn Höcke im Thüringer Landtag.

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