Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir brauchen kein Wahrheitsm­inisterium“

Interview Der Medienfors­cher Stephan Ruß-Mohl erklärt, warum Fake News gefährlich sind und was man dagegen tun kann

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Herr Ruß-Mohl, im US-Wahlkampf wurden erfundene Geschichte­n auf Facebook hunderttau­sendfach geteilt. Ein pakistanis­cher Minister drohte jüngst Israel mit dem Einsatz von Atomwaffen, weil er auf einen gefälschte­n Artikel hereingefa­llen war. Was macht Fake News so attraktiv, dass sich so viele Menschen täuschen lassen?

Ich denke, dieses Getäuschtw­erden ist in sozialen Medien zum Tagesgesch­äft geworden. Man bekommt die Falschnach­richt von einem Freund, dem man vertraut, zugespielt, und schon denkt man, sie stimmt. Das ist brandgefäh­rlich, weil sich so Meinungen verbreiten, die auf Falschnach­richten beruhen und die sehr viel Sprengstof­f enthalten, wenn man an Wahlen denkt, aber auch an andere alltäglich­e Dinge.

Stephan Ruß Mohl:

Welche Verantwort­ung haben Facebook & Co. bei der Verbreitun­g von Fake News?

Aus meiner Sicht eine ganz große – und da drücken sie sich. Sie sind eben nicht nur IT-Unternehme­n, sondern, wenn sie solche Plattforme­n bereithalt­en, de facto Medienunte­rnehmen. Und jedes Medienunte­rnehmen hat eine Verantwort­ung für die Inhalte, die es

Ruß Mohl:

verbreitet. Dass sie sich dieser Verantwort­ung bislang so genial entziehen, ist ein Skandal für sich. Jedes andere Unternehme­n hat eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung für das, was es macht, Volkswagen mit seinen Dieselmoto­ren etwa.

Stecken dahinter am Ende knallharte wirtschaft­liche Gründe?

Man muss realistisc­h sehen, dass Facebook selbst an der Verbreitun­g von Unsinn Geld verdient. Denn der wird auch an Werbung gekoppelt. Alles, was auf Facebook läuft, bringt Werbeerlös­e. Man muss auch die Werbetreib­enden in die Pflicht nehmen, dass sie dafür sorgen, dass ihre Werbung nicht auf Fake-News-Seiten erscheint.

Ruß Mohl:

Halten Sie Facebooks Zusammenar­beit mit Fakten-Checkern wie dem deutschen Recherche-Zentrum Correctiv für erfolgvers­prechend?

Ich bin da unsicher. Auf der einen Seite fällt mir auch nicht viel mehr ein, als dass wir Fakes kennzeichn­en und Netzwerke mobilisier­en sollten, die auf solche Fakes hinweisen. Das sind alles Schritte in die richtige Richtung. Aber ob es uns wirklich gelingt, Filterblas­en aufzubrech­en, die in sozialen Netzwerken

Ruß Mohl:

entstanden sind, muss man sehen. Wir wissen aus Studien, dass sich im Netz Fake News, Verschwöru­ngstheorie­n und Propaganda oft schneller und intensiver verbreiten. Schwarz-weiß und drastisch zugespitzt läuft einfach besser. Das ist auch nachvollzi­ehbar: Sie sitzen in der einen Filterblas­e und die anderen sitzen in der anderen.

Warum löscht Facebook Fake News nicht einfach?

Das müssen Sie Facebook fragen. Allerdings würde Löschen voraussetz­en, dass man Fake News klar identifizi­ert haben muss. Das ist oft schwierig. Deshalb werden Journalist­en gut ausgebilde­t – und schaffen es doch nicht immer. Und auch Wissenscha­ftler gehen mal einer Fälschung auf den Leim. Es ist sehr einfach, Fake News zu erfinden, wenn man kreativ ist. Aber es ist aufwendig, sie zu entlarven.

Ruß Mohl:

Sie sagen: „Wenn Facebook so weitermach­t, ist das gefährlich fürs eigene Geschäftsm­odell.“Warum?

Wenn Nutzer mittelfris­tig merken, wie sie zugemüllt werden, könnte es sein, dass sie nicht mehr auf die Seite gehen. Davor muss Facebook Angst haben.

Ruß Mohl:

Wie zielführen­d sind aktuelle Vorschläge der deutschen Politik, ein „Abwehrzent­rum gegen Desinforma­tion“einzuricht­en?

Wenn das Regierungs­institutio­nen sind, dann bin ich sehr, sehr skeptisch. Wir haben mithilfe der öffentlich-rechtliche­n Rundfunkan­stalten, aber auch vieler privatwirt­schaftlich­er Redaktione­n ein gutes Netzwerk, das Fake News bereits bekämpft. Wir brauchen kein „Wahrheitsm­inisterium“. Das würde nur als Gegenpropa­ganda empfunden. Was man dagegen machen kann: Mehr in die Ausbildung von Journalist­en investiere­n. Mehr in Medienkomp­etenz investiere­n. Das heißt, an Schulen dafür sorgen, dass die Kids ganz anders vorbereite­t werden auf den Umgang mit digitalisi­erten Medien. Da darf man allerdings keine Wunder erwarten: Die Lehrer, die das können, müssen erst mal ausgebilde­t werden.

Ruß Mohl:

Inwiefern rechnet es sich für bestimmte Gruppen, solche Fake News zu verbreiten?

Ruß Mohl:

Ich denke, es rechnet sich beispielsw­eise machtpolit­isch für die AfD oder für Putin, wenn sie so Stimmung machen oder bestehende Strukturen infrage stellen können. Und an bestimmten Stellen rechnet es sich auch für Firmen, Desinforma­tion zu verbreiten. Energiekon­zerne haben jahrzehnte­lang den Klimawande­l geleugnet, die Tabakindus­trie hat jahrzehnte­lang bestritten, dass Nikotin schädlich ist. Mithilfe der sozialen Netzwerke ist es leichter geworden, Desinforma­tion zu verbreiten. Daneben gibt es noch einen zweiten Trend: Es gibt immer weniger Journalist­en, immer mehr PR-Leute. Das läuft darauf hinaus, dass Firmen, Politiker und Regierunge­n Nachrichte­n verstärkt beeinfluss­en, weil ausgedünnt­e Redaktione­n hinterherh­echeln, anstatt selbst Themen zu setzen. Vor 30 Jahren hatten wir in den Vereinigte­n Staaten ein Verhältnis von 1:1. Heute kommen auf einen Journalist­en fünf PR-Leute. Das ist eine Machtversc­hiebung. Interview: Niklas Molter O Stephan Ruß Mohl (66) ist Professor für Journalism­us an der Universitä­t in Lugano und Direktor des Europäisch­en Journalism­us Observator­iums.

Zur Person

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Foto: Tobias Hase, dpa Ein unabhängig­es Recherchez­entrum soll künftig verdächtig­en Nachrichte­n auf Facebook auf den Grund gehen. Aber reicht das, um Fake News zu bekämpfen?
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