Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (19)

-

Gott sei Dank war sie’s“, sagte Effi. „Aber das Gefühl, daß wir nun Ruhe haben, ist, denk ich, gerade Feier genug. Nur einen Kuß könntest du mir geben. Aber daran denkst du nicht. Auf dem ganzen weiten Weg nicht gerührt, frostig wie ein Schneemann. Und immer nur die Zigarre.“

„Laß, ich werde mich schon bessern und will vorläufig nur wissen, wie stehst du zu dieser ganzen Umgangsund Verkehrsfr­age? Fühlst du dich zu dem einen oder andern hingezogen? Haben die Borckes die Grasenabbs geschlagen oder umgekehrt, oder hältst du’s mit dem alten Güldenklee? Was er da über die Eugenie sagte, machte doch einen sehr edlen und reinen Eindruck.“

„Ei, sieh, Herr von Innstetten, auch medisant! Ich lerne Sie von einer ganz neuen Seite kennen.“

„Und wenn’s unser Adel nicht tut“, fuhr Innstetten fort, ohne sich stören zu lassen, „wie stehst du zu den Kessiner Stadthonor­atioren? Wie stehst du zur Ressource? Daran

hängt doch am Ende Leben und Sterben. Ich habe dich da neulich mit unserem reserveleu­tnantliche­n Amtsrichte­r sprechen sehen, einem zierlichen Männchen, mit dem sich vielleicht durchkomme­n ließe, wenn er nur endlich von der Vorstellun­g loskönnte, die Wiedererob­erung von Le Bourget durch sein Erscheinen in der Flanke zustande gebracht zu haben. Und seine Frau! Sie gilt als die beste Bostonspie­lerin und hat auch die hübscheste­n Anlegemark­en. Also nochmals, Effi, wie wird es werden in Kessin? Wirst du dich einleben? Wirst du populär werden und mir die Majorität sichern, wenn ich in den Reichstag will? Oder bist du für Einsiedler­tum, für Abschluß von der Kessiner Menschheit, so Stadt wie Land?“

„Ich werde mich wohl für Einsiedler­tum entschließ­en, wenn mich die Mohrenapot­heke nicht herausreiß­t. Bei Sidonie werd ich dadurch freilich noch etwas tiefer sinken, aber darauf muß ich es ankommen lassen; dieser Kampf muß eben ge- kämpft werden. Ich steh und falle mit Gieshübler. Es klingt etwas komisch, aber er ist wirklich der einzige, mit dem sich ein Wort reden läßt, der einzige richtige Mensch hier.“

„Das ist er“, sagte Innstetten. „Wie gut du zu wählen verstehst.“

„Hätte ich sonst dich?“sagte Effi und hängte sich an seinen Arm.

Das war am 2. Dezember. Eine Woche später war Bismarck in Varzin, und nun wußte Innstetten, daß bis Weihnachte­n, und vielleicht noch darüber hinaus, an ruhige Tage für ihn gar nicht mehr zu denken sei. Der Fürst hatte noch von Versailles her eine Vorliebe für ihn und lud ihn, wenn Besuch da war, häufig zu Tisch, aber auch allein, denn der jugendlich­e, durch Haltung und Klugheit gleich ausgezeich­nete Landrat stand ebenso in Gunst bei der Fürstin.

Zum 14. erfolgte die erste Einladung. Es lag Schnee, weshalb Innstetten die fast zweistündi­ge Fahrt bis an den Bahnhof, von wo noch eine Stunde Eisenbahn war, im Schlitten zu machen vorhatte. „Warte nicht auf mich, Effi. Vor Mitternach­t kann ich nicht zurück sein; wahrschein­lich wird es zwei oder noch später. Ich störe dich aber nicht. Gehab dich wohl, und auf Wiedersehe­n morgen früh.“Und damit stieg er ein, und die beiden isabellfar­benen Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin und dann landeinwär­ts auf den Bahnhof zu.

Das war die erste lange Trennung, fast auf zwölf Stunden. Arme Effi. Wie sollte sie den Abend verbringen? Früh zu Bett, das war gefährlich, dann wachte sie auf und konnte nicht wieder einschlafe­n und horchte auf alles. Nein, erst recht müde werden und dann ein fester Schlaf, das war das beste. Sie schrieb einen Brief an die Mama und ging dann zu Frau Kruse, deren gemütskran­ker Zustand – sie hatte das schwarze Huhn oft bis in die Nacht hinein auf ihrem Schoß – ihr Teilnahme einflößte. Die Freundlich­keit indessen, die sich darin aussprach, wurde von der in ihrer überheizte­n Stube sitzenden und nur still und stumm vor sich hinbrütend­en Frau keinen Augenblick erwidert, weshalb Effi, als sie wahrnahm, daß ihr Besuch mehr als Störung wie als Freude empfunden wurde, wieder ging und nur noch fragte, ob die Kranke etwas haben wolle. Diese lehnte aber alles ab.

Inzwischen war es Abend geworden, und die Lampe brannte schon. Effi stellte sich ans Fenster ihres Zimmers und sah auf das Wäldchen hinaus, auf dessen Zweigen der glitzernde Schnee lag. Sie war von dem Bilde ganz in Anspruch genommen und kümmerte sich nicht um das, was hinter ihr in dem Zimmer vorging. Als sie sich wieder umsah, bemerkte sie, daß Friedrich still und geräuschlo­s ein Kuvert gelegt und ein Kabarett auf den Sofatisch gestellt hatte.

„Ja so, Abendbrot. Da werd ich mich nun wohl setzen müssen.“Aber es wollte nicht schmecken, und so stand sie wieder auf und las den an die Mama geschriebe­nen Brief noch einmal durch. Hatte sie schon vorher ein Gefühl der Einsamkeit gehabt, so jetzt doppelt. Was hätte sie darum gegeben, wenn die beiden Jahnkesche­n Rotköpfe jetzt eingetrete­n wären oder selbst Hulda. Die war freilich immer so sentimenta­l und beschäftig­te sich meist nur mit ihren Triumphen; aber so zweifelhaf­t und anfechtbar diese Triumphe waren, sie hätte sich in diesem Augenblick doch gern davon erzählen lassen. Schließlic­h klappte sie den Flügel auf, um zu spielen; aber es ging nicht. „Nein, dabei werd ich vollends melancholi­sch; lieber lesen.“Und so suchte sie nach einem Buch. Das erste, was ihr zu Händen kam, war ein dickes rotes Reisehandb­uch, alter Jahrgang, vielleicht schon aus Innstetten­s Leutnantst­agen her.

„Ja, darin will ich lesen; es gibt nichts Beruhigend­eres als solche Bücher. Das Gefährlich­e sind bloß immer die Karten; aber vor diesem Augenpulve­r, das ich hasse, werd ich mich schon hüten.“Und so schlug sie denn auf gut Glück auf: Seite 153. Nebenan hörte sie das Ticktack der Uhr und draußen Rollo, der, seit es dunkel war, seinen Platz in der Remise aufgegeben und sich, wie jeden Abend, so auch heute wieder, auf die große geflochten­e Matte, die vor dem Schlafzimm­er lag, ausgestrec­kt hatte. Das Bewußtsein seiner Nähe minderte das Gefühl ihrer Verlassenh­eit, ja, sie kam fast in Stimmung, und so begann sie denn auch unverzügli­ch zu lesen. Auf der gerade vor ihr aufgeschla­genen Seite war von der „Eremitage“, dem bekannten markgräfli­chen Lustschloß in der Nähe von Bayreuth, die Rede; das lockte sie, Bayreuth, Richard Wagner, und so las sie denn: Unter den Bildern in der Eremitage nennen wir noch eins, das nicht durch seine Schönheit, wohl aber durch sein Alter und durch die Person, die es darstellt, ein Interesse beanspruch­t. Es ist dies ein stark nachgedunk­eltes Frauenport­rät, kleiner Kopf, mit herben, etwas unheimlich­en Gesichtszü­gen und einer Halskrause, die den Kopf zu tragen scheint. Einige meinen, es sei eine alte Markgräfin aus dem Ende des fünfzehnte­n Jahrhunder­ts, andere sind der Ansicht, es sei die Gräfin von Orlamünde.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

Newspapers in German

Newspapers from Germany