Augsburger Allgemeine (Land West)
Und immer lockt Neapel
Bestseller Der neue Band von Elena Ferrantes mehrteiliger Saga zweier Freundinnen ist da. Spätestens jetzt weiß man, dass der Hype um die Romanreihe nicht von ungefähr kommt
Manchmal hat es auch etwas Gutes, wenn Romane einer Reihe erst mit Verzögerung ins Deutsche übersetzt werden. Man muss dann zumindest nicht allzu lange auf den nächsten Band warten. Was haben es deutsche Ferrante-Leser also gut: Wissen schon vier Monate später, wie es nach einem desaströsen Hochzeitsfest weitergeht mit den zwei Freundinnen Lila und Lenu. In Italien dauerte es ein ganzes Jahr!
„Die Geschichte eines neuen Namens“heißt der zweite Band der neapolitanischen Saga, in der Elena Ferrante nach der Kindheit nun den zwei Heldinnen auf ihrem Weg zur weiblichen Selbstfindung durch die Jugendjahre folgt. Wer sich bereits am sogenannten „Ferrante-Fieber“angesteckt hat, wird erst mal nicht genesen: Mitreißend nämlich liest sich auch dieser Roman. Süffig, vor Leben strotzend. Zugleich von Ferrante klug und raffiniert komponiert. Der Hype, weiß man spätestens bei Band zwei, kommt also nicht von ungefähr.
Die Wege der zwei Mädchen führen nun noch weiter auseinander: Lila, die brillantere von beiden, steckt mit 16 Jahren in einer unglücklichen Ehe und damit auch im ärmlichen Rione fest. Der so gutmütig wirkende Salumeria-Besitzer Stefano hat sich bereits bei der Hochzeit als rückgratloser Wicht entpuppt: kungelt nämlich mit der Camorra. Die Verachtung, die ihm seine Frau deswegen ganz offen entgegenbringt, quittiert er mit Gewalt. Die Sonnenbrille wird für Lila zum unverzichtbaren Accessoire – um die Spuren seiner Fäuste zu verbergen. Sie schlägt ihrerseits zurück, grandios nämlich ist an Lila auch ihre Boshaftigkeit.
Lenu hingegen gelingt die Flucht aus dem elenden Rione: durch Wissbegierde, Fleiß und Anpassung. Sie erhält ein Stipendium an einer Eliteuniversität in Pisa, legt ihren Dialekt ab, versucht die Wurzeln zu kappen und sich im neuen Milieu einzurichten. Und dennoch fühlt sie sich im Vergleich zu ihrer unglücklichen Freundin als der schwächere Part. Als Hochstaplerin, die selbst ihren ersten Roman nur deswegen fertigbringt, weil sie aus den Notizbüchern der Freundin, die diese ihr zur Verwahrung mitgegeben hat, sich deren Stimme geliehen hat. Als diejenige, die zwar das bessere Leben lebt und vor sich hat, aber die es nicht wirklich auskosten kann. „Mein Leben treibt mich dazu, mir vorzustellen, wie ihres wohl gewesen wäre, wenn ihr zuteilgeworden wäre, was mir zuteilgeworden ist, welchen Gebrauch sie wohl von meinem Glück gemacht hätte.“
Die Rivalität zwischen den Freundinnen erlebt ihren Höhepunkt, als beide um den gleichen Mann werben. Auch der stammt aus dem gleichen Rione, ein Blender und der windigste von allen und im reichen Figurenensemble eine der wenigen, dem selbst Ferrante als Erzählerin kaum Sympathie entgegenbringt. Selbst der brutale Ehemann schneidet da noch besser ab.
Das Cover im Übrigen könnte Spontankäufer in die Irre führen. In hübschen Pastelltönen zeigt es die Silhouette einer Braut, vom Winde verweht Schleier und Strauß. Im Buch aber ist nichts mehr pastellig, bestenfalls die Träume der Mädchen. Elena Ferrante verzichtet auf Weichzeichner, beschreibt ungeschönt eine von Armut und Gewalt geprägte Gesellschaft, in der Frauen eigentlich nur eine Karriere offensteht: die als Ehefrau.
Mit den beiden ersten Bänden ihrer Saga belegt Ferrante aktuell die ersten beiden Plätze der SpiegelBestsellerliste. Wann nun kommt Band drei? Auf der Seite des Suhrkamp-Verlages kann man sich die Zeit in Tagen, Stunden und Minuten angeben lassen, bis der Roman „Die Geschichte der getrennten Wege“erscheinen wird. Es sind nur noch knapp hundert Tage. Das Fieber soll nicht abklingen …
Die Aufregung über den neuen Namen, der hinter dem Pseudonym von Elena Ferrante stehen soll, dagegen schon. Der Wirtschaftsjournalist Claudio Gatti hatte zuletzt verkündet, er habe das Geheimnis um die Identität der italienischen Schriftstellerin Elena Ferrante geklärt. Es handele sich um die italienische Übersetzerin Anita Raja. Der Suhrkamp-Verlag schreibt dazu nüchtern: „Da die Autorin es vorzieht, ihre Anonymität zu wahren, werden auch wir uns zu Fragen, die ihre Identität betreffen, nicht äußern.“Wer etwas über Elena Ferrante wissen möchte, soll Ferrante lesen. Aber gerne!
Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens.
Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp, 624 Seiten, 25 ¤
Eine Sonnenbrille soll die Spuren der Fäuste verbergen