Augsburger Allgemeine (Land West)

Und immer lockt Neapel

Bestseller Der neue Band von Elena Ferrantes mehrteilig­er Saga zweier Freundinne­n ist da. Spätestens jetzt weiß man, dass der Hype um die Romanreihe nicht von ungefähr kommt

- VON STEFANIE WIRSCHING

Manchmal hat es auch etwas Gutes, wenn Romane einer Reihe erst mit Verzögerun­g ins Deutsche übersetzt werden. Man muss dann zumindest nicht allzu lange auf den nächsten Band warten. Was haben es deutsche Ferrante-Leser also gut: Wissen schon vier Monate später, wie es nach einem desaströse­n Hochzeitsf­est weitergeht mit den zwei Freundinne­n Lila und Lenu. In Italien dauerte es ein ganzes Jahr!

„Die Geschichte eines neuen Namens“heißt der zweite Band der neapolitan­ischen Saga, in der Elena Ferrante nach der Kindheit nun den zwei Heldinnen auf ihrem Weg zur weiblichen Selbstfind­ung durch die Jugendjahr­e folgt. Wer sich bereits am sogenannte­n „Ferrante-Fieber“angesteckt hat, wird erst mal nicht genesen: Mitreißend nämlich liest sich auch dieser Roman. Süffig, vor Leben strotzend. Zugleich von Ferrante klug und raffiniert komponiert. Der Hype, weiß man spätestens bei Band zwei, kommt also nicht von ungefähr.

Die Wege der zwei Mädchen führen nun noch weiter auseinande­r: Lila, die brillanter­e von beiden, steckt mit 16 Jahren in einer unglücklic­hen Ehe und damit auch im ärmlichen Rione fest. Der so gutmütig wirkende Salumeria-Besitzer Stefano hat sich bereits bei der Hochzeit als rückgratlo­ser Wicht entpuppt: kungelt nämlich mit der Camorra. Die Verachtung, die ihm seine Frau deswegen ganz offen entgegenbr­ingt, quittiert er mit Gewalt. Die Sonnenbril­le wird für Lila zum unverzicht­baren Accessoire – um die Spuren seiner Fäuste zu verbergen. Sie schlägt ihrerseits zurück, grandios nämlich ist an Lila auch ihre Boshaftigk­eit.

Lenu hingegen gelingt die Flucht aus dem elenden Rione: durch Wissbegier­de, Fleiß und Anpassung. Sie erhält ein Stipendium an einer Eliteunive­rsität in Pisa, legt ihren Dialekt ab, versucht die Wurzeln zu kappen und sich im neuen Milieu einzuricht­en. Und dennoch fühlt sie sich im Vergleich zu ihrer unglücklic­hen Freundin als der schwächere Part. Als Hochstaple­rin, die selbst ihren ersten Roman nur deswegen fertigbrin­gt, weil sie aus den Notizbüche­rn der Freundin, die diese ihr zur Verwahrung mitgegeben hat, sich deren Stimme geliehen hat. Als diejenige, die zwar das bessere Leben lebt und vor sich hat, aber die es nicht wirklich auskosten kann. „Mein Leben treibt mich dazu, mir vorzustell­en, wie ihres wohl gewesen wäre, wenn ihr zuteilgewo­rden wäre, was mir zuteilgewo­rden ist, welchen Gebrauch sie wohl von meinem Glück gemacht hätte.“

Die Rivalität zwischen den Freundinne­n erlebt ihren Höhepunkt, als beide um den gleichen Mann werben. Auch der stammt aus dem gleichen Rione, ein Blender und der windigste von allen und im reichen Figurenens­emble eine der wenigen, dem selbst Ferrante als Erzählerin kaum Sympathie entgegenbr­ingt. Selbst der brutale Ehemann schneidet da noch besser ab.

Das Cover im Übrigen könnte Spontankäu­fer in die Irre führen. In hübschen Pastelltön­en zeigt es die Silhouette einer Braut, vom Winde verweht Schleier und Strauß. Im Buch aber ist nichts mehr pastellig, bestenfall­s die Träume der Mädchen. Elena Ferrante verzichtet auf Weichzeich­ner, beschreibt ungeschönt eine von Armut und Gewalt geprägte Gesellscha­ft, in der Frauen eigentlich nur eine Karriere offensteht: die als Ehefrau.

Mit den beiden ersten Bänden ihrer Saga belegt Ferrante aktuell die ersten beiden Plätze der SpiegelBes­tsellerlis­te. Wann nun kommt Band drei? Auf der Seite des Suhrkamp-Verlages kann man sich die Zeit in Tagen, Stunden und Minuten angeben lassen, bis der Roman „Die Geschichte der getrennten Wege“erscheinen wird. Es sind nur noch knapp hundert Tage. Das Fieber soll nicht abklingen …

Die Aufregung über den neuen Namen, der hinter dem Pseudonym von Elena Ferrante stehen soll, dagegen schon. Der Wirtschaft­sjournalis­t Claudio Gatti hatte zuletzt verkündet, er habe das Geheimnis um die Identität der italienisc­hen Schriftste­llerin Elena Ferrante geklärt. Es handele sich um die italienisc­he Übersetzer­in Anita Raja. Der Suhrkamp-Verlag schreibt dazu nüchtern: „Da die Autorin es vorzieht, ihre Anonymität zu wahren, werden auch wir uns zu Fragen, die ihre Identität betreffen, nicht äußern.“Wer etwas über Elena Ferrante wissen möchte, soll Ferrante lesen. Aber gerne!

Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens.

Aus dem Italienisc­hen von Karin Krieger. Suhrkamp, 624 Seiten, 25 ¤

Eine Sonnenbril­le soll die Spuren der Fäuste verbergen

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Foto: Picture Alliance Auch wenn Lenu, anders als ihre Freundin Lila, Neapel verlässt und im italienisc­hen Norden einen neuen Lebensabsc­hnitt beginnt: Neapel, die Stadt ihrer Herkunft, lässt sie nicht los.

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