Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie aus dem Leben geschnitte­n

Das Nationalmu­seum in München zeigt Riemenschn­eider neu

- VON BARBARA REITTER

München

Maria Magdalena hat genug gebüßt. Lange Zeit war sie in der Einsamkeit, bis ihr ein Kleid aus langen Locken wuchs, die bis über die Scham reichen, und ein gekringelt­er Haarflaum den ganzen Körper bedeckt. Jetzt wird sie täglich zur Gebetszeit von sechs Engeln in den Himmel erhoben.

Diese überlebens­große Figur bildet das optische Zentrum des neu gestaltete­n Tilman-Riemenschn­eider-Saals im Bayerische­n Nationalmu­seum. Nach fast einem ganzen Jahrhunder­t unveränder­ter Präsentati­on und nach Jahren aufwendige­r technische­r Modernisie­rung erstrahlen hier die Werke des Würzburger Meisters in neuem Glanz. Sie wurden sorgsam restaurier­t und neu arrangiert bzw. werden jetzt in speziell für diese Präsentati­on entwickelt­en Vitrinen präsentier­t. Der Raum ist derselbe geblieben: es ist das Kreuzrippe­ngewölbe des sogenannte­n Kirchensaa­ls mit seinem dunkelrote­n Kachelbode­n.

Die Wiederbege­gnung mit den grandiosen Werken ist ein echtes Erlebnis, denn dank einer innovative­n, ebenso zurückhalt­enden wie effektvoll­en Ausleuchtu­ng lässt sich buchstäbli­ch jedes Detail erkennen: ob das nun die realistisc­h anmutenden Gesichter aller Figuren sind, deren individuel­len, absolut nicht beschönige­nden Gesichtszü­ge immer wieder fasziniere­n, oder die Korkenzieh­erlocken des eleganten hl. Sebastian, der trotz der Pfeile in seiner Brust entspannt am Baum zu lehnen scheint, an welchen er gefesselt ist. Ob es die mit handwerkli­cher Raffinesse plastisch herausgear­beiteten Verzierung­en am Kelch der hl. Barbara oder der schnitzeri­sch perfekt nachempfun­dene Brokatstof­f am Gewand eines Bischofs sind oder die filigranen Hände der zwölf Apostel. Alle Arbeiten aus dem Besitz des Hauses sind von höchstem Rang. Egal ob aus Alabaster, Lindenholz oder Stein, egal für welche Funktion sie geschaffen wurden. Gibt es doch auch zwei Reliquienb­üsten mit ausgehöhlt­er Brust, in deren Innenraum wertvolle Reliquien Schutz fanden.

Eine Besonderhe­it ist das komplette mehrteilig­e Chorfenste­r aus der Kartause Prüll, auf dessen bemalten Flächen sich die Geschichte bayerische­r Herzöge sowie der Kaisertoch­ter Kunigunde in den bunten Farben eines Bilderbuch­s nacherlebe­n lässt. Zu den Glanzstück­en zählen die Schreinfig­uren des Münnerstäd­ter Retabels und der wunderbar restaurier­te Gerolzhofe­ner Altar. Auch die beiden farblich gefassten Kreuzigung­sgruppen sind überwältig­end, denn die Figuren bilden, fast ineinander verkeilt, dynamisch bewegte Formatione­n. O Bayerische­s Nationalmu­seum in München, Prinzregen­tenstraße 3. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17, Donnerstag bis 20 Uhr.

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Foto: Haberland/BNM Dicht gedrängt bei der Kreuzigung: Kai phas mit Soldaten, in Lindenholz gear beitet und farbig gefasst.

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