Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie aus dem Leben geschnitten
Das Nationalmuseum in München zeigt Riemenschneider neu
München
Maria Magdalena hat genug gebüßt. Lange Zeit war sie in der Einsamkeit, bis ihr ein Kleid aus langen Locken wuchs, die bis über die Scham reichen, und ein gekringelter Haarflaum den ganzen Körper bedeckt. Jetzt wird sie täglich zur Gebetszeit von sechs Engeln in den Himmel erhoben.
Diese überlebensgroße Figur bildet das optische Zentrum des neu gestalteten Tilman-Riemenschneider-Saals im Bayerischen Nationalmuseum. Nach fast einem ganzen Jahrhundert unveränderter Präsentation und nach Jahren aufwendiger technischer Modernisierung erstrahlen hier die Werke des Würzburger Meisters in neuem Glanz. Sie wurden sorgsam restauriert und neu arrangiert bzw. werden jetzt in speziell für diese Präsentation entwickelten Vitrinen präsentiert. Der Raum ist derselbe geblieben: es ist das Kreuzrippengewölbe des sogenannten Kirchensaals mit seinem dunkelroten Kachelboden.
Die Wiederbegegnung mit den grandiosen Werken ist ein echtes Erlebnis, denn dank einer innovativen, ebenso zurückhaltenden wie effektvollen Ausleuchtung lässt sich buchstäblich jedes Detail erkennen: ob das nun die realistisch anmutenden Gesichter aller Figuren sind, deren individuellen, absolut nicht beschönigenden Gesichtszüge immer wieder faszinieren, oder die Korkenzieherlocken des eleganten hl. Sebastian, der trotz der Pfeile in seiner Brust entspannt am Baum zu lehnen scheint, an welchen er gefesselt ist. Ob es die mit handwerklicher Raffinesse plastisch herausgearbeiteten Verzierungen am Kelch der hl. Barbara oder der schnitzerisch perfekt nachempfundene Brokatstoff am Gewand eines Bischofs sind oder die filigranen Hände der zwölf Apostel. Alle Arbeiten aus dem Besitz des Hauses sind von höchstem Rang. Egal ob aus Alabaster, Lindenholz oder Stein, egal für welche Funktion sie geschaffen wurden. Gibt es doch auch zwei Reliquienbüsten mit ausgehöhlter Brust, in deren Innenraum wertvolle Reliquien Schutz fanden.
Eine Besonderheit ist das komplette mehrteilige Chorfenster aus der Kartause Prüll, auf dessen bemalten Flächen sich die Geschichte bayerischer Herzöge sowie der Kaisertochter Kunigunde in den bunten Farben eines Bilderbuchs nacherleben lässt. Zu den Glanzstücken zählen die Schreinfiguren des Münnerstädter Retabels und der wunderbar restaurierte Gerolzhofener Altar. Auch die beiden farblich gefassten Kreuzigungsgruppen sind überwältigend, denn die Figuren bilden, fast ineinander verkeilt, dynamisch bewegte Formationen. O Bayerisches Nationalmuseum in München, Prinzregentenstraße 3. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17, Donnerstag bis 20 Uhr.