Augsburger Allgemeine (Land West)

Das lange Warten auf eine neue Niere

Interview Das Transplant­ationszent­rum am Augsburger Klinikum besteht seit 15 Jahren. 120 Patienten hoffen auf ein neues Organ. Warum sie auf eine harte Geduldspro­be gestellt werden und wie sich das ändern könnte

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Seit gut 15 Jahren gibt es das Transplant­ationszent­rum am Augsburger Klinikum. Wie vielen Patienten wurden bisher Nieren transplant­iert?

Dr. Horst Weihprecht: Bisher wurden 521 Patienten Nieren transplant­iert. Wir haben im Schnitt um die 35 Transplant­ationen pro Jahr. Seit 2001 sind wir Transplant­ationszent­rum mit allem, was dazugehört, etwa dem Führen von Warteliste­n. Die ersten Transplant­ationen haben wir aber schon 1993 durchgefüh­rt.

Wie viele Patienten haben Sie momentan auf der Warteliste?

Prof. Matthias Anthuber: In Augsburg haben wir 120 Patienten auf der Warteliste. Die Organe werden über die Stiftung Eurotransp­lant mit Sitz in Leiden, Holland, vermittelt. Mittlerwei­le kommen die meisten Organe aus Kroatien, da wir in Deutschlan­d unveränder­t, auch für das Jahr 2016, einen Rückgang in der Organspend­e verzeichne­n müssen. Die Auswirkung­en sind eine weitere Verlängeru­ng der Wartezeit, die derzeit bei etwa sechs Jahren liegt. Wir versuchen, diesem Problem durch die Intensivie­rung der Lebendspen­de zu begegnen. Von den 36 Transplant­ationen im vergangene­n Jahr waren acht Lebendnier­enspenden. Würden wir das nicht tun, könnten wie auch unter die kritische Mindestmen­ge von 25 Transplant­ationen pro Jahr fallen.

Wie hat sich der Vergabeska­ndal, der 2012 im Bereich der Lebertrans­plantation an mehreren Krankenhäu­sern bekannt wurde, am Klinikum auf die Zahl der Transplant­ationen ausgewirkt?

Anthuber: Die Spendenber­eitschaft in Bayern ist runtergega­ngen, und wir haben das bis heute nicht aufgeholt. Man sieht das an der Zahl der tatsächlic­hen Organspend­er: Früher waren es 14 Organspend­er auf eine Million Bürger, heute sind es elf. Das ist die kurzfristi­ge Entwicklun­g, wobei sich interessan­terweise in Umfragen die Bereitscha­ft der Bevölkerun­g zur Organspend­e nicht geändert hat. Insofern kann man den Skandal um die Vergabe wohl nicht als alleinige Ursache sehen. Es liegt auch nicht nur an den Spenden, sondern auch an der Bereitscha­ft des Personals in den Krankenhäu­sern, das Konzept der Organspend­e zu vertreten, oder auch daran, dass potenziell­e Spender nicht rechtzeiti­g als solche identifizi­ert werden. Daran muss man arbeiten. Wenn man es über die letzten 25 Jahre betrachtet, haben wir schon etwas erreicht: In den 1990er Jahren lag der Prozentsat­z derer, die einen Organspend­eausweis hatten, bei drei Prozent, sind es 20 Prozent. Das große Thema sind Informatio­nsdefizite: Die Leute wissen nicht, wie und nach welch strengen Kriterien Organspend­e in Deutschlan­d umgesetzt wird. Ihnen muss man Ängste nehmen, das geht nur durch Kommunikat­ion. Manch einer hat die Angst, verzeihen Sie den Ausdruck, als Organspend­er im Krankenhau­s „ausgeschla­chtet“zu werden.

Was kann das Klinikum tun?

Anthuber: Informatio­nsdefizite abbauen und den Leuten die Ängste nehmen, sonst werden sich die Zahlen nicht erholen. Das ist eine Sisyphusar­beit, aber wir erleben ja auch im eigenen Freundes- und Kollegenkr­eis, wie viele falsche Vorstellun­gen kursieren. Wichtig ist: Wir wissen, was wir tun, und wir entscheide­n auf soliden Grundlagen der deutschen Gesetzgebu­ng und fundierten wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen zum Hirntod. Und um Ängste abzubauen, fangen wir auch schon früh an, etwa indem wir mit Schulklass­en sprechen und Schüler und Lehrer zu uns einladen, um sich zur Organspend­e auszutausc­hen.

Sie haben ja mit den Menschen regelmäßig Kontakt: Wie ist das für einen Nierenpati­enten, auf ein Spenderorg­an zu warten?

Weihprecht: Die sechs Jahre Wartezeit auf ein Spenderorg­an sind ein Durchschni­ttswert. Entschiede­n wird bundesweit nach einem Punktesyst­em, bei dem viele Dinge wie der aktuelle Gesundheit­szustand, die Gewebevert­räglichkei­t zwischen Spender und Empfänger und die Dringlichk­eit berücksich­tigt werden. Darum ist die Wartezeit individuel­l immer unterschie­dlich. Für die Patienten ist dieses Warten tragisch. Die Dialyse ist heute verträglic­her als noch vor einigen Jahren, aber die Lebenquali­tät ist schlechter als nach einer geglückten Transplant­ation. Und natürlich werden Patienten, die über Jahre zur Dialyse müssen, nicht gesünder. Es kommen andere Krankheite­n dazu, und das verschlech­tert dann unter Umständen die Chancen bei einer Transplant­ation.

Anthuber: Bei den chronisch nierenkran­ken Patienten sind wir ja noch in einer glückliche­n Lage, weil es die Dialyse gibt. Aber es gibt ja auch Menschen, die eine neue Leber benötigen, und für diese Patienten gibt es keine Möglichkei­t, die Wartezeit künstlich zu überbrücke­n. Angesichts des Organmange­ls ist man für die Lebertrans­plantation inzwischen so weit, dass nach einem Punktesyst­em nur die kränksten Patienten eine Chance haben, ein Spenderorh­eute gan zu bekommen. Erfahrungs­gemäß ist bei diesen Patienten, bedingt durch die schwierige­n Begleitums­tände, die Transplant­ation nicht so erfolgvers­prechend wie bei jenen Patienten, die in einem vergleichs­weise noch stabilen Zustand in die Operation gehen. Bei denen liegt die Ein-Jahres-Überlebens­wahrschein­lichkeit immerhin bei 95 Prozent.

Wie sehen Sie das Thema Lebendspen­de bei Nieren?

Anthuber: Das ist grundsätzl­ich schon ein Weg. In anderen Ländern liegt der Anteil der Lebendspen­den bei über 50 Prozent. Für die Patienten bedeutet das, dass der Eingriff planbar ist und auch vor Beginn der ersten Dialyse durchgefüh­rt werden kann. Aber natürlich ist es dann in einer Familie im Einzelfall schon schwierig: Manche Verwandte eines Patienten würden sich sofort zur Verfügung stellen und fragen: Wann machen wir das? Andere bekommen erst mal einen Schreck, weil ihnen klar wird, dass sie selber auch in Frage kommen. Mancher fragt sich, was wäre, wenn er in ein paar Jahren Nierenprob­leme bekommen würde und dann nur noch eine Niere hat. Da muss man sich die familiäre Konstellat­ion genau anschauen. Und letztlich entscheide­t eine Ethikkommi­ssion, ob das machbar ist. Eine Lebendspen­de ist ja mit einer Operation eines gesunden Menschen verbunden.

Welche Folgen hat der Organmange­l für Augsburg?

Anthuber: Falls wir für einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren dauerhaft unter die Zahl von 25 Transplant­ationen pro Jahr fallen, kann es sein, dass die Krankenkas­sen diese Eingriffe an unserem Haus nicht mehr erstatten. Vor einigen Jahren hat die Uniklinik in Ulm dieses Schicksal ereilt. Die dortige Krankenhau­sleitung hat das Programm beendet, weil die Kostenerst­attung ausgesetzt wurde. Mittelfris­tig würden wir für unser Einzugsgeb­iet eine Zahl von 50 Transplant­ationen in Augsburg für sinnvoll halten.

Interview: Stefan Krog

 ?? Symbolfoto: Ulrich Wirth, Klinikum Augsburg ?? 36 Nieren wurden im vergangene­n Jahr am Klinikum verpflanzt. Die Zahl der Patienten auf der Warteliste ist knapp viermal so hoch.
Symbolfoto: Ulrich Wirth, Klinikum Augsburg 36 Nieren wurden im vergangene­n Jahr am Klinikum verpflanzt. Die Zahl der Patienten auf der Warteliste ist knapp viermal so hoch.

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