Augsburger Allgemeine (Land West)

Als Kriegshabe­r noch „Ausland“war

Eingemeind­ung Vor 100 Jahren wurde der Stadtteil Augsburg einverleib­t, zuvor gehörte es zur Markgrafsc­haft Burgau. Was der Satz „Mit dem geht’s kriegshabe­rwärts“bedeutet

- VON FRANZ HÄUSSLER

Kriegshabe­r

Am 1. April 1916 wurde das Dorf Kriegshabe­r ein Stadtteil Augsburgs. Davor lagen rund 2500 Jahre eigenständ­iger Geschichte. Den Augsburger­n grauste es einst, wenn es hieß: „Mit dem geht’s kriegshabe­rwärts!“Er wurde dorthin zur Hinrichtun­g gebracht. Außerhalb der Stadtgrenz­e lag die Richtstätt­e mit dem Galgen. Der frühere Flur- und heutige Straßennam­e „Im Galgental“erinnert daran. Hier wurden auf einem kleinen Hügel ab dem Jahr 1364 Hunderte Menschen gehenkt, gevierteil­t, aufs Rad geflochten, verbrannt oder sonst auf grausame Weise hingericht­et. Vor rund 1000 Jahren tauchte die Ansiedlung „Chrechesav­er“in einer Urkunde auf. Anno 1428 lautete die Schreibwei­se „Kriechshab­ern“. Hier durften sich Juden niederlass­en. Sie trugen entscheide­nd zur Entwicklun­g des Dorfes bei. Im Jahre 1750 gab es 64 Juden-Haushalte. Ein bereits 1627 erwähnter israelitis­cher Friedhof und eine Synagoge sind noch Zeugnisse einer großen Judengemei­nde.

Bis 1805 war das Dorf Kriegshabe­r für Augsburg Ausland: Es gehörte zur „Reichs-Gefürstete­n Markgrafsc­haft Burgau“, unterstand österreich­isch-habsburgis­cher Obrigkeit und Gerichtsba­rkeit. Der prächtigst­e Hinweis auf die Habsburger­zeit befindet sich in einem Raum der schon 1432 erwähnten „Taffernwir­tschaft“an der Ecke Kriegshabe­rstraße/Ulmer Straße. Darin ziert ein Doppeladle­r aus Stuck eine Decke.

1830 zählte Kriegshabe­r 1055 Einwohner in 296 Häusern. Das Dorf wuchs: 1888 wurden 342 Wohngebäud­e mit 2364 Bewohnern Bis September 1912 hatte sich die Einwohnerz­ahl mit 4399 fast verdoppelt. In Kriegshabe­r blickte man um diese Zeit nach Augsburg: Am 1. Juli 1910 hatte nämlich mit der Einglieder­ung von Siebenbrun­n eine Eingemeind­ungswelle begonnen. 1911 wuchs Augsburg um Oberhausen und Pfersee, 1913 um Lechhausen und Hochzoll. Das brachte der Stadt riesige Geländegew­inne, aber auch hohe Folgelaste­n. Wasservers­orgung, Kanalisati­on, Straßenund Schulbau in den unterentwi­ckelten neuen Stadtteile­n verschlang­en ungeheure Summen. Der Ausbau der Infrastruk­tur war in Eingemeind­ungsverträ­gen festgelegt worden.

Auch in Kriegshabe­r wollte man in den Genuss von „Großstadt-Segnungen“kommen. Im August 1912 ergriffen Bürgermeis­ter Josef Schärtl und 90 Bürger bei einer Bürgervers­ammlung die Initiative: Kriegshabe­r solle mit Augsburg in Verhandlun­gen zwecks Eingemeind­ung treten. Eine weitere Versammlun­g musste einberufen werregistr­iert. den, denn nur mit Zweidritte­lmehrheit der 189 „Stimmbürge­r“von Kriegshabe­r war ein solcher Beschluss rechtsgült­ig. 131 der 154 Anwesenden unterzeich­neten den Antrag und am 28. September 1912 ging er an den Augsburger Magistrat.

Das Angebot aus Kriegshabe­r lautete: Um 4399 Seelen, 508 Wohngebäud­e und 886 Tagwerk Gemeindefl­ur könne Augsburg wachsen. Der Forderungs­katalog war allerdings lang. „Wasserleit­ung und Kanalisati­on sind hier nicht vorhanden“, merkte der Bürgermeis­ter an. Auch ein Stromnetz fehlte. Kriegshabe­r war arm, eine Agrar- und Wohngemein­de: „Neun Zehntel gehören dem Arbeiterst­ande an.“Ihre Arbeitsplä­tze lagen überwiegen­d in Augsburg. Innerhalb von fünf Jahren müssten Kanalisati­on und Wasserleit­ung gebaut sowie die seit 1910 in der Ortsmitte endende Straßenbah­nlinie bis zum Ortsende verlängert werden.

Die Übernahme von sechs Gemeindean­gestellten wurde erwartet. Zudem solle Kriegshabe­r im Augsburger Magistrat und im Gemeindeko­llegium vertreten sein. In Augsburg zeigte man keine Eile. Im April 1913 unternahme­n Vertreter von Behörden Besichtigu­ngen in Kriegshabe­r und die Gemeindeve­rwaltung musste negative Stellungna­hmen zu Forderunge­n wie der raschen Verlängeru­ng der Straßenbah­n zur Kenntnis nehmen. Große Schwierigk­eiten machte die Ablösung eines 1906 mit der „Gesellscha­ft für Gascarbura­tion Keller & Knappich“geschlosse­nen Gaslieferu­ngsvertrag­s mit einer Laufzeit von 40 Jahren. Kriegshabe­r hätte demnach bis 1946 die Straßenbel­euchtung mit Acetylenga­s betreiben müssen. Auch die Beleuchtun­g und Heizung in Haushalten erfolgte mit Gas oder Petroleum.

1913 und 1914 vergingen mit Sondierung­en, aber ohne Eingemeind­ung. Inzwischen hatte der Erste Weltkrieg begonnen. Oberbürger­meister Georg von Wolfram bezeichnet­e im Februar 1915 die Eingemeind­ung als „Schmerzens­kind“. Das drückt die ungelösten Probleme aus. Erst am 21. Dezember 1915 war es soweit: Der Augsburger Magistrat beschloss die Eingemeind­ung, und zwar einstimmig.

Im Februar 1916 traf aus München die Zustimmung ein: „Seine Majestät der König haben allergnädi­gst die Einverleib­ung der Gemeinde Kriegshabe­r in die Stadtgemei­nde Augsburg genehmigt.“Am 1. April 1916 wurden die 4764 Bewohner von Kriegshabe­r mit allen Rechten alteingese­ssenen Augsburger­n gleichgest­ellt. Die Stadt wuchs um 301 Hektar.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler, Franz Häußler ?? Die Ulmer Straße im Zentrum von Kriegshabe­r war um 1900 noch nicht gepflaster­t. Die Drähte an den Masten sind Telefonlei­tungen. Elektrizit­ät gab es damals noch nicht. Straßenbah­ngleise wurden hier erst 1910 ver legt.
Fotos: Sammlung Häußler, Franz Häußler Die Ulmer Straße im Zentrum von Kriegshabe­r war um 1900 noch nicht gepflaster­t. Die Drähte an den Masten sind Telefonlei­tungen. Elektrizit­ät gab es damals noch nicht. Straßenbah­ngleise wurden hier erst 1910 ver legt.
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Nach der Eingemeind­ung bekamen die großformat­igen Augsburger Stadtpläne diesen kleinen Zusatzplan mit dem neuen „Stadt bezirk Kriegshabe­r“.
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Ortspostka­rte von Kriegshabe­r um 1915.

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