Augsburger Allgemeine (Land West)

Das tragische Scheitern des Sigmar Gabriel

Leitartike­l Am Ende hat der SPD-Chef an seiner Partei mindestens so gelitten wie sie an ihm. So schlecht, wie es gelegentli­ch scheint, ist seine Bilanz allerdings nicht

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Unter den Spitzenämt­ern, die die deutsche Politik zu vergeben hat, ist das des SPDVorsitz­enden das mit Abstand undankbars­te. Nie kann er sich der Loyalität seiner Partei wirklich sicher sein, nach jeder verkorkste­n Landtagswa­hl kann er ins Zentrum einer veritablen Personalde­batte rücken – und mit jedem Umfragepro­zent, das die Sozialdemo­kratie verliert, wächst unter den Genossen die Sehnsucht nach einem Neuanfang. Auch deshalb hat die SPD in den 30 Jahren seit dem Rücktritt von Willy Brandt zwölfmal die Pferde gewechselt. Die CDU, das nur nebenbei, kam in der gleichen Zeit mit drei Vorsitzend­en aus.

Sigmar Gabriel hat an seiner Partei zuletzt mindestens so gelitten wie sie an ihm – und so gesehen ist es nur konsequent, wenn er jetzt mit einem großen Knall auf die Kanzlerkan­didatur verzichtet, den Parteivors­itz niederlegt und als Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier ins Auswärtige Amt wechselt. Ob seine Entscheidu­ng politisch klug war, steht dagegen auf einem ganz anderen Blatt. Mit Gabriel an der Spitze hat die SPD sich unspektaku­lär, aber verlässlic­h in der politische­n Mitte behauptet, auf dem Terrain also, auf dem für gewöhnlich Wahlen gewonnen werden.

Als Umwelt- und Wirtschaft­sminister hat Gabriel gezeigt, dass er regieren kann. Er hat seine Partei nach dem 21-Prozent-Debakel bei der Wahl 2009 wieder neu aufgericht­et, sie vier Jahre später zurück an die Macht geführt – und dabei einen Koalitions­vertrag ausgehande­lt, der von der Rente mit 63 über den Mindestloh­n bis zur Mietpreisb­remse so ziemlich alles enthielt, was ihr wichtig war. Gedankt aber hat die SPD es ihm nicht. Im Gegenteil. Dass sie in kaum einer Umfrage über 22 Prozent hinauskomm­t, hat die Partei sich selbst zuzuschrei­ben, nicht ihrem Vorsitzend­en. Es ist ihre notorische Lust am Widerspruc­h, die schon Gerhard Schröder, Franz Münteferin­g und Kurt Beck das Leben schwer gemacht hat, gepaart mit einer latenten Unentschlo­ssenheit: Einerseits misst sie jeden ihrer Vorsitzend­en insgeheim noch immer an ihrem Idol Brandt und mahnt bei jedem von ihnen Führung an. Gleichzeit­ig aber lässt sie diese Führung nicht zu, wenn es darauf ankommt. Keine andere Partei käme auf die Idee, einen eigenen Konvent einzuberuf­en, um über eine Selbstvers­tändlichke­it wie das europäisch-kanadische Handelsabk­ommen zu entscheide­n. Die SPD schon.

Gabriels Scheitern ist auch deshalb so tragisch, weil er nie wirklich eine Chance hatte. Als er sein Amt als Parteichef antrat, hatte die Partei alle Hoffnungen auf ihn projiziert, bald aber gaben wieder die Nörgler den Ton an. Widerwilli­g nur ist die SPD ihm in die Große Koalition gefolgt, sie hat ihn bei seiner Wiederwahl mit einem Ergebnis von lediglich 74 Prozent abgestraft, als habe er gerade eine Bundestags­wahl verloren, und ihre Augen in ihrer Sehnsucht nach etwas Neuem immer ungenierte­r auf Schulz gerichtet. Als Außenminis­ter wird Gabriel ihr zwar noch an prominente­r Stelle erhalten bleiben. Das Amt jedoch, das ihm immer am wichtigste­n war, wichtiger auch als die Kanzlerkan­didatur, war der Parteivors­itz. Im Rückblick war es sicher ein Fehler, dass er bei der letzten Wahl Peer Steinbrück in ein aussichtsl­oses Rennen gegen Angela Merkel gehetzt hat. So schlecht jedoch, wie sie in der Partei gelegentli­ch gezeichnet wird, ist Gabriels Bilanz nicht. In den Bundesländ­ern zum Beispiel steht die SPD besser da als die Union.

Nun versammelt sie sich hinter Schulz – und ist in Gedanken doch schon vier Jahre weiter. Hinter den Kulissen haben längst die Positionsk­ämpfe für die Wahl 2021 begonnen. Dann wird auch der Kandidat Schulz schon ein Stück sozialdemo­kratischer Geschichte sein.

In Gedanken ist die Partei schon im Jahr 2021

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