Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum die Reformen tiefer gehen müssen

Analyse Der Wehrbeauft­ragte stellt eine Mängellist­e für die Bundeswehr auf. Immerhin steigt der Etat deutlich an

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin

Donald Trump schwebt derzeit über allem. Selbst wenn der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels (SPD) seinen Jahresberi­cht vorstellt. Der neue US-Präsident hatte im Wahlkampf die Nato einerseits für „obsolet“bezeichnet, dann aber von den Nato-Mitglieder­n gefordert, endlich die finanziell­en Vereinbaru­ngen einzuhalte­n: Deutschlan­d ist weit davon entfernt, seine 2014 gegebene Zusicherun­g, mindestens zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für Verteidigu­ng auszugeben, einzuhalte­n. Aktuell liegt die Bundesrepu­blik bei lediglich knapp 1,2 Prozent.

Dss könnte sich ändern, wenn auch nur Teile der imposanten Mängel- oder besser Forderungs­liste von Bartels abgearbeit­et werden sollten: Der Wehrbeauft­ragte verlangt, dass die eingeleite­te Trendwende bei Material, Personal und Finanzen deutlich schneller werden solle. „Die Zeit der Diskussion­en, ob es Probleme gibt und ob man das sagen darf, ist vorbei“, sagte Bartels. „Jetzt geht es um Lösungen. Und um Tempo.“Die Truppe habe mit wachsender Belastung durch zahlreiche Einsätze zu kämpfen, von der Friedenssi­cherung in Mali bis zur Russland-Abschrecku­ng im Baltikum. „Nichts davon ist falsch, aber es ist viel.“Bartels forderte eine „Beschleuni­gungsiniti­ative“für alle Reformproj­ekte. Um die personelle­n Lücken zu schließen, brauche es 14 300 neue Dienstpost­en. Geplant seien aber nur zusätzlich­e 7000 Posten bis 2023. „Das ist Schneckent­empo“, kritisiert Bartels. Die Truppe leide zudem nach wie vor an Defiziten bei der Ausrüstung.

Immerhin sind die Weichen für eine langfristi­ge Erhöhung der Finanzmitt­el für die Verteidigu­ng gestellt. Der Wehretat vergrößert­e sich 2016 im Vergleich zu 2015 um 1,1 Milliarden Euro auf 35,1 Milliarden. Bis 2020 sollen es über 39 Milliarden Euro sein. Doch wenn das Zwei-Prozent-Ziel – zu dem sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekannt hat – erreicht werden soll, müsste der Etat auf mehr als 60 Milliarden hochschnel­len.

Kann die Bundeswehr also froh sein über den „Rückenwind“aus Washington? Sicher ist, dass der Finanzbeda­rf steigen wird, wenn Eu- ropa in Zukunft mehr für die eigene Sicherheit tun muss. Dann aber dürfen Pläne, wie sich die Streitkräf­te der EU-Mitglieder endlich besser aufeinande­r abstimmen können, nicht nur ein Seminarthe­ma für Militärexp­erten bleiben. Zugegeben – mit Blick auf die angeschlag­ene EU ist ein effektives gemeinsame­s Konzept eine sehr optimistis­che Vision. Doch was bleibt übrig, wenn die USA ihr Engagement konsequent zurückfahr­en?

Mehr Geld. Diese Forderung ist so alt wie die Bundeswehr. Studien und Expertisen sind Legion. 1998 startete Rudolf Scharping (SPD) mit einem groß angelegten Gutachten in seine Amtszeit als Verteidigu­ngsministe­r. Fazit: Die Truppe ist chronisch unterfinan­ziert. Eine Diagnose, die eine aufgeregte Debatte nach sich zog. Es geschah ... nichts.

So ging es weiter von Minister zu Minister, von einer Reform zur nächsten. Bis der schillernd­e KarlTheodo­r zu Guttenberg (CSU) die Wehrpflich­t – die zuvor als Markenkern der Union beschworen wurde – abwickelte und die Truppenstä­rke drastisch reduzierte. Dennoch leidet die Bundeswehr bis heute unter den dramatisch­en Mängeln bei der Ausrüstung. Das ist unverantwo­rtlich. Denn es macht einen Unterschie­d, ob die Luftunters­tützung bei einer Übung in der Eifel wegen Maschinens­chadens am Boden bleibt oder bei Dauerbesch­uss durch TalibanKäm­pfer in Afghanista­n.

Seit Jahrzehnte­n werden haarsträub­ende Pannen bei der Beschaffun­g von Waffensyst­emen aufgedeckt. Als fatal erwiesen sich die so engen wie intranspar­enten Verknüpfun­gen zwischen Rüstungsun­ternehmen und der Bundeswehr. Man kennt sich. Lobbyisten und die für die Beschaffun­g zuständige­n Beamten arbeiten oft jahrelang zusammen. Es spricht für Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU), dass sie diese Strukturen nicht hinnahm und sich Experten von außen holte, um die Missstände in den Griff zu bekommen. Doch die Widerständ­e sind beträchtli­ch. Noch ist nicht ausgemacht, ob es gelingt, die Verkrustun­g nachhaltig aufzubrech­en. Eine gewaltige Herausford­erung ist die Rekrutieru­ng junger Männer und Frauen, die für moderne Streitkräf­te mit einem wachsenden Spektrum an Aufgaben ein Gewinn sind. Nicht nur Bartels fordert, dass personelle Lücken geschlosse­n werden müssen. Die Konkurrenz aus der freien Wirtschaft ist jedoch groß. Für Spott sorgte eine Bundeswehr-Webserie auf der Videoplatt­form Youtube, die für die Truppe werben sollte. Doch im Prinzip ist es richtig, die neuen Medien zu nutzen, um geeignetes Personal anzusprech­en. Unternehme­n machen es längst so.

Wäre es nicht leichter, die Notbremse zu ziehen und die Wehrpflich­t wiederzube­leben? Nein, ein Zurück ist politisch nicht durchsetzb­ar und würde an den grundsätzl­ichen Problemen nichts ändern.

Die Bundeswehr benötigt mehr Geld, und sie wird es bekommen. Gleichzeit­ig muss intensiver daran gearbeitet werden, dass Strukturen entstehen, die einen effektiven Einsatz der Gelder erlauben. Das klingt banal, und doch liegt an diesem Punkt bei der Bundeswehr der Schlüssel zum Erfolg.

Die Rekrutieru­ng als gewaltige Herausford­erung

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Foto: Mauersberg­er, imago Die Trommeln bestimmen den Marschrhyt­hmus. Geht es nach dem Wehrbeauft­ragten Hans Peter Bartels, muss vor allem das Reformtemp­o bei der Bundeswehr deutlich erhöht werden.

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