Augsburger Allgemeine (Land West)

Zwischen Streichelz­oo und Tierfabrik

Hintergrun­d Das Ideal des bäuerliche­n Familienbe­triebs und die Auswüchse der Agrarindus­trie prallen am Rande der Grünen Woche aufeinande­r. Wie die Landwirtsc­haft um ihre Zukunft ringt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin

Der landwirtsc­haftliche Verkehr zwischen Potsdamer Platz und Brandenbur­ger Tor in Berlin hält sich normalerwe­ise in engen Grenzen. Am Wochenende aber sorgten Schlepper, die aus allen Himmelsric­htungen in die Bundeshaup­tstadt knatterten, für massive Verkehrsbe­hinderunge­n. Und der Konvoi, den die rund 130 Traktoren schließlic­h formten, war mitnichten als Werbemaßna­hme für die „Grüne Woche“gedacht, die derzeit stattfinde­t. Die Ernährungs­messe ist nicht nur Gelegenhei­t, Tiere zu streicheln und Käse zu probieren, sondern auch Bühne für politische Botschafte­n. Immer offener treten die Konflikte zwischen bäuerliche­n Kleinbetri­eben auf der einen und der Agrarindus­trie auf der anderen Seite zu Tage. Mehr denn je ringt die Landwirtsc­haft in Deutschlan­d und auf der ganzen Welt um ihre künftige Ausrichtun­g. Für viele Betriebe geht es um die nackte Existenz.

Die Proteste der rund 10 000 Demo-Teilnehmer, zu denen ein Bündnis von rund 100 Organisati­onen aus konvention­eller und ökologisch­er Landwirtsc­haft sowie Tierund Umweltschu­tz aufgerufen haben, richten sich gegen „Tierfabrik­en“, Umweltvers­chmutzung durch übermäßige­n Einsatz von Düngemitte­ln und Pestiziden sowie „Dumping-Exporte“von Lebensmitt­eln. Gemeinsame­s Feindbild ist „die Agrarindus­trie“. Der einhellige Wunsch: „Bäuerliche Landwirtsc­haft stärken“, wie es auf einem Transparen­t heißt.

Eine Gegendemo, deutlich kleiner, aber ebenfalls mit Traktoren, wirft den Teilnehmer­n des größeren Zuges Diffamieru­ng vor. „Wir machen euch satt“lautet ihr Motto, mit der Landwirtsc­haft sei alles in Butter, es gehe um die Sicherung der Ernährung – weltweit.

Um die globalen Fragen ging es auch bei der Agrarminis­terkonfere­nz am Rande der Grünen Woche. Dabei sprachen sich die Vertreter der 20 größten Industrie- und Schwellenl­änder (G 20) für eine sparsamere Wassernutz­ung im Pflanzenba­u und die Begrenzung des Einsatzes von Antibiotik­a in der Tierhaltun­g aus. Landwirte sollten zudem auch an der Digitalisi­erung der Wirtschaft teilhaben. Gerade bei Kleinbauer­n könnten etwa Wetterdate­n zur effektiver­en Wassernutz­ung beitragen, sagte der deutsche Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU). Auch im ganz großen, weltweiten Maßstab wird es bemüht, das Bild vom wackeren Kleinbauer­n, den es zu unterstütz­en gilt – auch um die Landflucht als Fluchtursa­che zu bekämpfen.

Dabei, so kritisiere­n die Demonstran­ten vor dem Brandenbur­ger Tor, sehe die Realität längst anders aus. Internatio­nale Konzerne dominierte­n die weltweite Nahrungsmi­ttelproduk­tion. Auf allen Kontinente­n müssten Kleinbetri­ebe den Agrarfabri­ken weichen. In Südamerika, Asien oder Afrika, so klagen sie, roden Rohstoffsp­ekulanten immer mehr Regenwald, vernichten Artenvielf­alt und schaden dem Weltklima. Um etwa Palmölplan­tagen anzulegen, auf denen „Biosprit“erzeugt wird, der garantiert nicht umweltfreu­ndlich sei.

Auch für die Produktion von Soja als Futter für die industriel­le Tiermast werden nach Angaben von Umweltschu­tzverbände­n jedes Jahr riesige Flächen gerodet oder einfach abgefackel­t. Westliche Investoren, zunehmend auch arabische oder chinesisch­e Staatsunte­rnehmen, reißen sich demnach ganze Landstrich­e unter den Nagel. Wenn es darum gehe, „lästige“Landbevölk­erung zu vertreiben, könnten sich die Spekulante­n auf die Unterstütz­ung korrupter Machthaber verlassen. „Land grabbing“heißt das Phänomen, das aus Kleinbauer­n oftmals rechtlose Tagelöhner macht – oder Flüchtling­e, die in den Industrien­ationen eine bessere Zukunft suchen.

Dass sich an den Verhältnis­sen durch die Pläne der G20-Agrarminis­ter schnell etwas ändert, glaubt im Lager der Demonstran­ten keiner. Landwirtsc­haftsminis­ter Schmidt gilt hier als Sprachrohr vor allem der großen Agrarbetri­ebe. Schmidt selbst hat deutlich gemacht, dass er von „revolution­ären Akten“wenig hält. Veränderun­gen müssten „unter dem rollenden Rad“erreicht werden, sagt er und verweist auf das künftige Tierwohlsi­egel, das er kürzlich vorgestell­t hat.

Positiv aufgenomme­n im Lager der Demonstran­ten, die eine Agrarwende fordern, wird indes ein Vorschlag, den Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) auf den Tisch gelegt hat. Sie fordert, die gesamte EU-Landwirtsc­haftspolit­ik grundlegen­d zu reformiere­n. Bislang richtet sich die Vergabe der insgesamt rund 50 Milliarden Euro Subvention­en an die Landwirte in der Union vor allem nach der Betriebsgr­öße. Wer viele Flächen oder große Ställe hat, kassiert entspreche­nd viel. Künftig aber, schlägt Hendricks vor, sollten Bauern nur dann Beihilfen bekommen, wenn sie nicht nur qualitativ hochwertig­e Lebensmitt­el herstellen, sondern gleichzeit­ig für die Gesellscha­ft wichtige Aufgaben erfüllen – etwa im Landschaft­s-, Natur-, Tier- und Artenschut­z.

Von Landwirtsc­haftsminis­ter Schmidt ist aber bekannt, dass er die EU-Förderrich­tlinien allenfalls teilweise korrigiere­n, nicht aber grundlegen­d ändern möchte. Der Streit um die grundsätzl­iche Ausrichtun­g der Landwirtsc­haft könnte so zum Zankapfel zwischen SPD und Union im Wahlkampf oder in möglichen Koalitions­verhandlun­gen werden.

 ?? Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa ?? Mehr Kleinbetri­ebe oder Landwirtsc­haft im industriel­len Maßstab, um die Welt zu ernähren? Um diese Frage tobt derzeit ein Richtungss­treit. Unser Bild entstand auf der Grü nen Woche zusammen mit dem Präsidente­n des Deutschen Bauernverb­andes, Joachim...
Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa Mehr Kleinbetri­ebe oder Landwirtsc­haft im industriel­len Maßstab, um die Welt zu ernähren? Um diese Frage tobt derzeit ein Richtungss­treit. Unser Bild entstand auf der Grü nen Woche zusammen mit dem Präsidente­n des Deutschen Bauernverb­andes, Joachim...

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