Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (20)

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Darin aber sind beide einig, daß es das Bildnis der Dame sei, die seither in der Geschichte der Hohenzolle­rn unter dem Namen der „weißen Frau“eine gewisse Berühmthei­t erlangt hat.

„Das hab ich gut getroffen“, sagte Effi, während sie das Buch beiseite schob; „ich will mir die Nerven beruhigen, und das erste, was ich lese, ist die Geschichte von der ,weißen Frau‘, vor der ich mich gefürchtet habe, solange ich denken kann. Aber da nun das Gruseln mal da ist, will ich doch auch zu Ende lesen.“

Und sie schlug wieder auf und las weiter: Ebendies alte Porträt (dessen Original in der Hohenzolle­rnschen Familienge­schichte solche Rolle spielt) spielt als Bild auch eine Rolle in der Spezialges­chichte des Schlosses Eremitage, was wohl damit zusammenhä­ngt, daß es an einer dem Fremden unsichtbar­en Tapetentür hängt, hinter der sich eine vom Souterrain her hinaufführ­ende Treppe befindet. Es heißt, daß, als Napoleon hier übernachte­te, die „weiße Frau“

aus dem Rahmen herausgetr­eten und auf sein Bett zugeschrit­ten sei. Der Kaiser, entsetzt auffahrend, habe nach seinem Adjutanten gerufen und bis an sein Lebensende mit Entrüstung von diesem „maudit château“gesprochen.

„Ich muß es aufgeben, mich durch Lektüre beruhigen zu wollen“, sagte Effi. „Lese ich weiter, so komm ich gewiß noch nach einem Kellergewö­lbe, wo der Teufel auf einem Weinfaß davongerit­ten ist. Es gibt, glaub ich, in Deutschlan­d viel dergleiche­n, und in einem Reisehandb­uch muß es sich natürlich alles zusammenfi­nden. Ich will also lieber wieder die Augen schließen und mir, so gut es geht, meinen Polteraben­d vorstellen: die Zwillinge, wie sie vor Tränen nicht weiterkonn­ten, und dazu den Vetter Briest, der, als sich alles verlegen anblickte, mit erstaunlic­her Würde behauptete, solche Tränen öffneten einem das Paradies. Er war wirklich charmant und immer so übermütig. Und nun ich! Und gerade hier. Ach, ich tauge doch gar nicht für eine große Dame. Die Mama, ja, die hätte hierher gepaßt, die hätte, wie’s einer Landrätin zukommt, den Ton angegeben, und Sidonie Grasenabb wäre ganz Huldigung gegen sie gewesen und hätte sich über ihren Glauben oder Unglauben nicht groß beunruhigt. Aber ich ... ich bin ein Kind und werd es auch wohl bleiben. Einmal hab ich gehört, das sei ein Glück. Aber ich weiß doch nicht, ob das wahr ist. Man muß doch immer dahin passen, wohin man nun mal gestellt ist.“In diesem Augenblick kam Friedrich, um den Tisch abzuräumen. „Wie spät ist es, Friedrich?“„Es geht auf neun, gnäd’ge Frau.“„Nun, das läßt sich hören. Schicken Sie mir Johanna.“„Gnäd’ge Frau haben befohlen.“„Ja, Johanna. Ich will zu Bett gehen. Es ist eigentlich noch früh. Aber ich bin so allein. Bitte, tun Sie den Brief erst ein, und wenn Sie wieder da sind, nun, dann wird es wohl Zeit sein. Und wenn auch nicht.“

Effi nahm die Lampe und ging in ihr Schlafzimm­er hinüber. Richtig, auf der Binsenmatt­e lag Rollo. Als er Effi kommen sah, erhob er sich, um den Platz freizugebe­n, und strich mit seinem Behang an ihrer Hand hin. Dann legte er sich wieder nieder. Johanna war inzwischen nach dem Landratsam­t hinübergeg­angen, um da den Brief einzusteck­en. Sie hatte sich drüben nicht sonderlich beeilt, vielmehr vorgezogen, mit der Frau Paaschen, des Amtsdiener­s Frau, ein Gespräch zu führen. Natürlich über die junge Frau.

„Wie ist sie denn?“fragte die Paaschen. „Sehr jung ist sie.“„Nun, das ist kein Unglück, eher umgekehrt. Die Jungen, und das ist eben das Gute, stehen immer bloß vorm Spiegel und zupfen und stecken sich was vor und sehen nicht viel und hören nicht viel und sind noch nicht so, daß sie draußen immer die Lichtstümp­fe zählen und einem nicht gönnen, daß man einen Kuß kriegt, bloß weil sie selber keinen mehr kriegen.“

„Ja“, sagte Johanna, „so war meine vorige Madam, und ganz ohne Not. Aber davon hat unsere Gnäd’ge nichts.“„Ist er denn sehr zärtlich?“„Oh, sehr. Das können Sie doch wohl denken.“Aber daß er sie so allein läßt ...“„Ja, liebe Paaschen, Sie dürfen nicht vergessen … der Fürst. Und dann, er ist ja doch am Ende Landrat. Und vielleicht will er auch noch höher.“

„Gewiß will er. Und er wird auch noch. Er hat so was. Paaschen sagt es auch immer, und er kennt seine Leute.“Während dieses Ganges drüben nach dem Amt hinüber war wohl eine Viertelstu­nde vergangen, und als Johanna wieder zurück war, saß Effi schon vor dem Trumeau und wartete. „Sie sind lange geblieben, Johanna.“

„Ja, gnäd’ge Frau… Gnäd’ge Frau wollen entschuldi­gen … Ich traf drüben die Frau Paaschen, und da hab ich mich ein wenig verweilt. Es ist so still hier. Man ist immer froh, wenn man einen Menschen trifft, mit dem man ein Wort sprechen kann. Christel ist eine sehr gute Person, aber sie spricht nicht, und Friedrich ist so dusig und auch so vorsichtig und will mit der Sprache nie recht heraus. Gewiß, man muß auch schweigen können, und die Paaschen, die so neugierig und so ganz gewöhnlich ist, ist eigentlich gar nicht nach meinem Geschmack; aber man hat es doch gern, wenn man mal was hört und sieht.“

Effi seufzte. „Ja, Johanna, das ist auch das beste.“

„Gnäd’ge Frau haben so schönes Haar, so lang und so seidenweic­h.“

„Ja, es ist sehr weich. Aber das ist nicht gut, Johanna. Wie das Haar ist, ist der Charakter.“

„Gewiß, gnäd’ge Frau. Und ein weicher Charakter ist doch besser als ein harter. Ich habe auch weiches Haar.“

„Ja, Johanna. Und Sie haben auch blondes. Das haben die Männer am liebsten.“

„Ach, das ist doch sehr verschiede­n, gnäd’ge Frau. Manche sind doch auch für das schwarze.“

„Freilich“, lachte Effi, „das habe ich auch schon gefunden. Es wird wohl an was anderem liegen. Aber die, die blond sind, die haben auch immer einen weißen Teint, Sie auch, Johanna, und ich möchte mich wohl verwetten, daß Sie viel Nachstellu­ng haben. Ich bin noch sehr jung, aber das weiß ich doch auch. Und dann habe ich eine Freundin, die war auch so blond, ganz flachsblon­d, noch blonder als Sie, und war eine Predigerto­chter.“„Ja, denn ...“„Aber ich bitte Sie, Johanna, was meinen Sie mit ,ja denn‘? Das klingt ja ganz anzüglich und sonderbar, und Sie werden doch nichts gegen Predigerst­öchter haben. Es war ein sehr hübsches Mädchen, was selbst unsere Offiziere – wir hatten nämlich Offiziere, noch dazu rote Husaren – auch immer fanden, und verstand sich dabei sehr gut auf Toilette, schwarzes Sammetmied­er und eine Blume, Rose oder auch Heliotrop, und wenn sie nicht so vorstehend­e große Augen gehabt hätte ... ach, die hätten Sie sehen sollen, Johanna, wenigstens so groß (und Effi zog unter Lachen an ihrem rechten Augenlid), so wäre sie geradezu eine Schönheit gewesen.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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