Augsburger Allgemeine (Land West)
Ist der Bremer Motorrad Raser ein Mörder?
Prozess Der 24-Jährige überfuhr einen Rentner. Vor Gericht hat jetzt ein Gutachter ausgesagt. Was er von dem Angeklagten hält, der seine Touren mit der Helmkamera fürs Internet filmte
Bremen
Er hat ein Menschenleben auf dem Gewissen: das Leben eines 75-jährigen Fußgängers, den er bei einer seiner Motorradtouren überfuhr. Psychiater Konstantin Karyofilis, der am Dienstag im Bremer Mordprozess gegen den Todesraser als Gutachter aussagte, attestierte dem 24-jährigen Angeklagten, er habe keine psychiatrische Erkrankung. Keine „eingeschränkte Schuldfähigkeit“heißt das.
Der Fall, der vor dem Bremer Landgericht verhandelt wird, sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Denn der Lehramtsstudent war mit seinem 200-PS-Motorrad mehrfach mit mörderischem Tempo durch Bremen gebrettert – und hatte die halsbrecherischen Touren per Helmkamera fürs Internet gefilmt.
Sein Youtube-Kanal „Alpi fährt“hatte mehr als 80000 Fans. Bei seiner letzten Fahrt Mitte 2016 überrollte er an einer Ampelkreuzung schließlich den Fußgänger, der bei Rot die Straße überqueren wollte.
Die Anklage lautet nicht wie sonst üblich auf fahrlässige Tötung oder Totschlag, sondern auf Mord „aus niedrigen Beweggründen“.
Doch ob die Staatsanwaltschaft mit dieser Sicht durchkommt, ist spätestens seit dem Gutachten von Karyofilis fraglich. In drei Gesprächen mit dem Untersuchungshäftling gewann der Psychiater nicht den Eindruck, als wären dem Raser Menschenleben egal. Er sei auch nicht einfühlungsarm oder rücksichtslos und gehöre nicht zu jenen Leuten, „die auf der Suche nach dem Thrill, nach dem ultimativen Kick sind“. Auch die Einnahmen aus seinen Youtube-Videos – innerhalb eines Jahres gut 2100 Euro – habe der Angeklagte nur als Nebenverdienst gesehen. Karyofilis: „Er wollte nie reich oder berühmt werden.“An Motorrädern habe ihn vor allem der Spaß an der Technik gereizt, „gar nicht so sehr die Raserei“. Ja, im Laufe der Zeit habe er sogar erkannt, dass er für viele Zuschauer eine Art Vorbild sei, und habe deshalb nicht mehr so viel rasen wollen. Die im Prozess geäußerte Reue über den tödlichen Unfall hält der Gutachter für echt.
Karyofilis erklärte weiter, dass auch keine Persönlichkeitsstörung beim Angeklagten vorliege. Er trinke keinen Alkohol, sei nicht gewalttätig und nie straffällig geworden.
Schon im Dezember hatte der Angeklagte selbst erklärt, was ihn damals bewog: Das Rasen und vor allem das Beschleunigen habe ihm einfach „Spaß gemacht“.
An jenem Sommerabend Mitte des vergangenen Jahres war er kurz vor dem Unglück mit schätzungsweise 97 bis 108 Stundenkilometern unterwegs. So rekonstruierte es der Unfall-Sachverständige Thomas Oberländer vor Gericht. Da der Raser beim Erblicken des Fußgängers sofort eine Vollbremsung gemacht haben will, dürfte er mit Tempo 63 bis 68 mit ihm kollidiert sein. Bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern hätte er locker rechtzeitig stoppen können, so Oberländer. Dem Rentner war nicht mehr zu helfen.
Den Unfall selbst hat der Angeklagte nicht gefilmt; offenbar war der Akku seiner Helmkamera leer. Beim Filmen seiner Touren zog er oft über andere Verkehrsteilnehmer her („Voll der behinderte Wichser!“). Das sei nun mal so üblich unter Motorrad-Filmern, aber nicht ernst gemeint, sagte er dazu. Dass Außenstehende darüber entsetzt seien, könne er verstehen.
Mord oder fahrlässige Tötung: Darüber wird das Landgericht Bremen Ende Januar oder Anfang Februar entscheiden.