Augsburger Allgemeine (Land West)
Radikalisierung im Eiltempo
InnereSicherheit Polizei und Verfassungsschutz berichten im Landtag, wie schnell aus rechtsextremistischer Hetze im Internet reale Gewalt wird – und was Bayern dagegen tut
München
So erschreckend schnell kann es gehen. Nur vier Monate, so berichtete Bayerns Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner gestern im Landtag, dauerte es bei der neonazistischen Terrorgruppe „Old School Society“von der ersten Kontaktaufnahme im Internet bis zum ersten Treffen in der Wirklichkeit, auf das dann die Entwicklung von Anschlagsplänen und die Beschaffung von Sprengstoff folgten. „Wir haben das große Problem, dass die Radikalisierung in unheimlicher Geschwindigkeit stattfindet“, sagte Körner.
Er beschrieb damit nur eine der neuartigen Herausforderungen, mit denen sich Polizei und Verfassungsschutz im Kampf gegen rechtsextremistische und rassistische Hetze im Internet konfrontiert sehen. Der Weg vom Wort zur Tat, von aggressiver Rhetorik zur Gewalt, vom virtuellen Raum in die Realität – das war das Thema, über das sich die Abgeordneten des Innenausschusses gestern von Vertretern des Innenministeriums informieren ließen.
Die Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz und Cybersicherheit, Petra Platzgummer-Martin, berichtete, dass rechtsextreme Gruppen zunehmend Internet, soziale Netzwerke und MessengerDienste als „Werbe-, Kommunikationsund Diskussionsplattform“nutzen. Seit dem Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland habe sich der Ton verschärft. „In der Anonymität des Internets verbreiten dabei nicht nur Aktivisten der rechtsextremistischen Szene ihren Hass auf Migranten. Auch Personen, die bislang keinen rechtsextremistischen Strukturen angehörten, äußern sich in Kommentarbereichen und sozialen Netzwerken fremdenfeindlich, islamfeindlich und rassistisch“, sagte die Ministerialdirigentin.
Das Netz macht die Lage nach Einschätzung der Experten unübersichtlicher. Das liege zum einen an der Anonymität und am Tempo, zum anderen aber auch daran, dass sich extremistische Ideologien und radikale Elemente mischen und nicht immer genau einer Gruppe zugeordnet werden. „Die Dynamik des Internets erlaubt es, dass sich jeder seinen Baukasten zusammensetzen kann“, sagte Körner.
Hinzu kommen auch ganz praktische und technische Probleme wie zum Beispiel die Schwierigkeit, Personen zu identifizieren und große Datenmengen zu verarbeiten. Allein bei der Facebook-Gruppe „Großdeutschland“mussten vergangenes Jahr hunderte von Profilen von Gruppenmitgliedern ausermittelt werden. Diese Arbeit sei äußerst personal- und zeitintensiv.
Politik und Sicherheitsbehörden in Bayern versuchen, darauf zu reagieren. Die Zahl der „Cybercops“soll von derzeit 45 noch einmal um 71 neue Spezialisten aufgestockt werden. Bei allen Kriminalpolizeiinspektionen sollen eigene Cybercrime-Kommissariate eingerichtet, die Zentralstelle beim Landeskriminalamt soll verstärkt werden. Zudem setzt die Polizei auf Aufklärung. Stefan Ziegler, Fachbereichsleiter für Kriminalpolizei und Verbrechensbekämpfung im Innenministerium, sagte: „Viele Leute sind sich gar nicht bewusst, was sie da treiben.“Man müsse den Usern klarmachen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist.
Ob das Personal denn ausreiche, wollten die Landtagsabgeordneten wissen. „Bei der Entwicklung, die diese Thematik im Internet nimmt, kann es nie zu viel sein“, sagte Platzgummer-Martin.
Die „Old-School-Society“, die sich in kurzer Zeit gebildet hatte, konnte, wie damals berichtet, im Mai 2015 ausgehoben werden. Die Gruppe, die Anschläge auf Asylunterkünfte plante, hatte auch Bezüge nach Augsburg.