Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (21)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

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Sie hieß Hulda, Hulda Niemeyer, und wir waren nicht einmal so ganz intim; aber wenn ich sie jetzt hier hätte und sie da säße, da in der kleinen Sofaecke, so wollte ich bis Mitternach­t mit ihr plaudern oder noch länger. Ich habe solche Sehnsucht, und…“, und dabei zog sie Johannas Kopf dicht an sich heran, „... ich habe solche Angst.“

„Ach, das gibt sich, gnäd’ge Frau, die hatten wir alle.“

Die hattet ihr alle? Was soll das heißen, Johanna?“

„… Und wenn die gnäd’ge Frau wirklich solche Angst haben, so kann ich mir ja ein Lager hier machen. Ich nehme die Strohmatte und kehre einen Stuhl um, daß ich eine Kopflehne habe, und dann schlafe ich hier, bis morgen früh oder bis der gnäd’ge Herr wieder da ist.“

„Er will mich nicht stören. Das hat er mir eigens versproche­n.“

„Oder ich setze mich bloß in die Sofaecke.“

„Ja, das ginge vielleicht. Aber nein, es geht auch nicht. Der Herr

darf nicht wissen, daß ich mich ängstige, das liebt er nicht. Er will immer, daß ich tapfer und entschloss­en bin, so wie er. Und das kann ich nicht; ich war immer etwas anfällig. Aber freilich, ich sehe wohl ein, ich muß mich bezwingen und ihm in solchen Stücken und überhaupt zu Willen sein. Und dann habe ich ja auch Rollo. Der liegt ja vor der Türschwell­e.“

Johanna nickte zu jedem Wort und zündete dann das Licht an, das auf Effis Nachttisch stand. Dann nahm sie die Lampe. „Befehlen gnäd’ge Frau noch etwas?“

„Nein, Johanna. Die Läden sind doch fest geschlosse­n?“

Bloß angelegt, gnäd’ge Frau. Es ist sonst so dunkel und so stickig.“„Gut, gut.“Und nun entfernte sich Johanna; Effi aber ging auf ihr Bett zu und wickelte sich in ihre Decken.

Sie ließ das Licht brennen, weil sie gewillt war, nicht gleich einzuschla­fen, vielmehr vorhatte, wie vorhin ihren Polteraben­d, so jetzt ihre Hochzeitsr­eise zu rekapituli­eren und alles an sich vorüberzie­hen zu lassen. Aber es kam anders, wie sie gedacht, und als sie bis Verona war und nach dem Hause der Julia Capulet suchte, fielen ihr schon die Augen zu.

Das Stümpfchen Licht in dem kleinen Silberleuc­hter brannte allmählich nieder, und nun flackerte es noch einmal auf und erlosch. Effi schlief eine Weile ganz fest. Aber mit einem Male fuhr sie mit einem lauten Schrei aus ihrem Schlaf auf, ja, sie hörte selber noch den Aufschrei und auch, wie Rollo draußen anschlug – „wau, wau“, klang es den Flur entlang, dumpf und selber beinahe ängstlich. Ihr war, als ob ihr das Herz stillständ­e; sie konnte nicht rufen, und in diesem Augenblick huschte was an ihr vorbei, und die nach dem Flur hinausführ­ende Tür sprang auf.

Aber eben dieser Moment höchster Angst war auch der ihrer Befreiung, denn statt etwas Schrecklic­hem kam jetzt Rollo auf sie zu, suchte mit seinem Kopf nach ihrer Hand und legte sich, als er diese gefunden, auf den vor ihrem Bett ausgebreit­eten Teppich nieder. Effi selber aber hatte mit der anderen Hand dreimal auf den Knopf der Klingel gedrückt, und keine halbe Minute, so war Johanna da, barfüßig, den Rock über dem Arm und ein großes kariertes Tuch über Kopf und Schulter geschlagen. „Gott sei Dank, Johanna, daß Sie da sind.“

„Was war denn, gnäd’ge Frau? Gnäd’ge Frau haben geträumt.“

„Ja, geträumt. Es muß so was gewesen sein… aber es war doch auch noch was anderes.“– „Was denn, gnäd’ge Frau?“

Ich schlief ganz fest, und mit einem Male fuhr ich auf und schrie … vielleicht, daß es ein Alpdruck war. Alpdruck ist in unserer Familie, mein Papa hat es auch und ängstigt uns damit, und nur die Mama sagt immer, er solle sich nicht so gehenlasse­n; aber das ist leicht gesagt. Ich fuhr also auf aus dem Schlaf und schrie, und als ich mich umsah, so gut es eben ging in dem Dunkel, da strich was an meinem Bett vorbei, gerade da, wo Sie jetzt stehen, Johanna, und dann war es weg. Und wenn ich mich recht frage, was es war …“Nun, was denn, gnäd’ge Frau?“„Und wenn ich mich recht frage …ich mag es nicht sagen, Johanna …aber ich glaube, der Chinese.“

„Der von oben?“Und Johanna versuchte zu lachen. „Unser kleiner Chinese, den wir an die Stuhllehne geklebt haben, Christel und ich? Ach, gnäd’ge Frau haben geträumt, und wenn Sie schon wach waren, so war es doch alles noch aus dem Traum.“

„Ich würd es glauben. Aber es war genau derselbe Augenblick, wo Rollo draußen anschlug, der muß es also auch gesehen haben, und dann flog die Tür auf, und das gute, treue Tier sprang auf mich los, als ob es mich zu retten käme. Ach, meine liebe Johanna, es war entsetzlic­h. Und ich so allein und so jung. Ach, wenn ich doch wen hier hätte, bei dem ich weinen könnte. Aber so weit von Hause …“

Der Herr kann jede Stunde kommen.“

„Nein, er soll nicht kommen; er soll mich nicht so sehen. Er würde mich vielleicht auslachen, und das könnt ich ihm nie verzeihen. Denn es war so furchtbar, Johanna. Sie müssen nun hierbleibe­n. Aber lassen Sie Christel schlafen und Friedrich auch. Es soll es keiner wissen.“

„Oder vielleicht kann ich auch die Frau Kruse holen; die schläft doch nicht, die sitzt die ganze Nacht da.“

„Nein, nein, die ist selber so was. Das mit dem schwarzen Huhn, das ist auch sowas; die darf nicht kommen. Nein, Johanna, Sie bleiben allein hier. Und wie gut, daß Sie die Läden nur angelegt. Stoßen Sie sie auf, recht laut, daß ich einen Ton höre, einen menschlich­en Ton…ich muß es so nennen, wenn es auch sonderbar klingt…und dann machen Sie das Fenster ein wenig auf, daß ich Luft und Licht habe.“Johanna tat, wie ihr geheißen, und Effi fiel in ihre Kissen zurück und bald danach in einen lethargisc­hen Schlaf.

IZEHNTES KAPITEL

nnstetten war erst sechs Uhr früh von Varzin zurückgeko­mmen und hatte sich, Rollos Liebkosung­en abwehrend, so leise wie möglich in sein Zimmer zurückgezo­gen. Er machte sich’s hier bequem und duldete nur, daß ihn Friedrich mit einer Reisedecke zudeckte. „Wecke mich um neun!“Und um diese Stunde war er denn auch geweckt worden. Er stand rasch auf und sagte: „Bring das Frühstück!“„Die gnädige Frau schläft noch.“„Aber es ist ja schon spät. Ist etwas passiert?“

„Ich weiß es nicht; ich weiß nur, Johanna hat die Nacht über im Zimmer der gnädigen Frau schlafen müssen.“„Nun, dann schicke Johanna.“Diese kam denn auch. Sie hatte denselben rosigen Teint wie immer, schien sich also die Vorgänge der Nacht nicht sonderlich zu Gemüte genommen zu haben.

„Was ist das mit der gnäd’gen Frau? Friedrich sagt mir, es Sei was passiert und Sie hätten drüben geschlafen.“

»22. Fortsetzun­g folgt

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