Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Haus der Sultane versinkt im Meer
Der Topkapi-Palast in Istanbul bröckelt und wird zur Gefahr für Besucher
Sie genossen eine der schönsten Aussichten der Welt im Teegarten neben dem Topkapi-Palast von Istanbul. Plötzlich brach die Erde unter den Gästen weg und riss sie in den Abgrund. Das war im Frühjahr 2016. Zwei Menschen starben unter den Trümmern der Stützmauer, die den alten Palastgarten über dem Bosporus 150 Jahre lang getragen hatte.
Im Palast selbst entdeckten Experten wenig später Risse in den Kuppeln eines Pavillons; kurz darauf brach über Nacht ein zwei Meter tiefer Graben im Innenhof auf. Mit einer Bodenuntersuchung wollen die Behörden nun die Ursache dafür finden.
Den 600 Jahre alten Sultanspalast besichtigen jährlich mehr als drei Millionen Touristen. Kostbare und heilige Reliquien werden in seinen Mauern ausgestellt, darunter ein Schwert, das der Überlieferung zufolge vom Propheten Mohammed stammt.
Doch die ganze Pracht rutsche langsam ins Marmara-Meer hinein, warnen Forscher nach einem Bericht der Zeitung Hürriyet. So stellte sich nach dem Absturz des Teegartens heraus, dass schon im Vorjahr eine Mauer in dem Restaurant eingestürzt war, das sich innerhalb der Palastmauern auf dem Museumsgelände befindet. Und schon vor einigen Jahren fiel ein Wächter beim nächtlichen Rundgang in einen Graben, der sich im zweiten Innenhof plötzlich unter ihm auftat.
Verursacht werden die Schäden nach Ansicht der Experten durch Bewegungen im Untergrund der historischen Halbinsel. So ist der Boden unter dem Palast offenbar aufgeweicht wie ein Pudding, weil das veraltete Entwässerungssystem überlastet und verstopft ist. Die 25 Meter hohen Stützmauern, die Topkapi in luftiger Höhe über dem Ufer halten, sind nur aus Schutt aufgeschichtet und werden von Pinienwurzeln auseinandergetrieben. Dazu kommt die Gefahr von Erdbeben – die nordanatolische Verwerfungslinie verläuft nahe am Palast im Marmara-Meer vorbei. Um die Bodenbewegungen zu messen, trieben Geologen 26 seismische Sonden in den Palasthügel hinein.
Dabei stellte sich laut Hürriyet heraus, dass auch die beim Bau zweier Tunnel unter dem Bosporus verursachten Erschütterungen den Palast destabilisiert haben dürften. Der Marmaray-Tunnel für den Schienenverkehr war nach mehrjähriger Bauzeit 2013 eröffnet worden, der Eurasien-Tunnel für den AutoSchätze verkehr im vergangenen Dezember. Beide Tunnel zählen zu den großen Prestigeprojekten der türkischen Regierung, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan noch als Ministerpräsident eingeleitet und persönlich eröffnet hatte. Dass ausgerechnet sie das osmanische Erbe der Türkei zum Einsturz bringen könnten, kommt in Ankara nicht gut an. Kulturminister Nabi Avci dementierte die These: Es gebe keinerlei wissenschaftliche Belege. Der Untersuchungsbericht werde erst Ende Februar fertig; entsprechend werde dann gehandelt.
Daran glaubt der emeritierte Professor Ilber Ortayli nicht, der als langjähriger Direktor des TopkapiMuseums als Koryphäe anerkannt ist. Der ganze Palasthügel müsse grundsaniert werden, sagte Ortayli in einem Zeitungsinterview. Doch dazu fehle das Geld.