Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Haus der Sultane versinkt im Meer

Der Topkapi-Palast in Istanbul bröckelt und wird zur Gefahr für Besucher

- VON SUSANNE GÜSTEN

Sie genossen eine der schönsten Aussichten der Welt im Teegarten neben dem Topkapi-Palast von Istanbul. Plötzlich brach die Erde unter den Gästen weg und riss sie in den Abgrund. Das war im Frühjahr 2016. Zwei Menschen starben unter den Trümmern der Stützmauer, die den alten Palastgart­en über dem Bosporus 150 Jahre lang getragen hatte.

Im Palast selbst entdeckten Experten wenig später Risse in den Kuppeln eines Pavillons; kurz darauf brach über Nacht ein zwei Meter tiefer Graben im Innenhof auf. Mit einer Bodenunter­suchung wollen die Behörden nun die Ursache dafür finden.

Den 600 Jahre alten Sultanspal­ast besichtige­n jährlich mehr als drei Millionen Touristen. Kostbare und heilige Reliquien werden in seinen Mauern ausgestell­t, darunter ein Schwert, das der Überliefer­ung zufolge vom Propheten Mohammed stammt.

Doch die ganze Pracht rutsche langsam ins Marmara-Meer hinein, warnen Forscher nach einem Bericht der Zeitung Hürriyet. So stellte sich nach dem Absturz des Teegartens heraus, dass schon im Vorjahr eine Mauer in dem Restaurant eingestürz­t war, das sich innerhalb der Palastmaue­rn auf dem Museumsgel­ände befindet. Und schon vor einigen Jahren fiel ein Wächter beim nächtliche­n Rundgang in einen Graben, der sich im zweiten Innenhof plötzlich unter ihm auftat.

Verursacht werden die Schäden nach Ansicht der Experten durch Bewegungen im Untergrund der historisch­en Halbinsel. So ist der Boden unter dem Palast offenbar aufgeweich­t wie ein Pudding, weil das veraltete Entwässeru­ngssystem überlastet und verstopft ist. Die 25 Meter hohen Stützmauer­n, die Topkapi in luftiger Höhe über dem Ufer halten, sind nur aus Schutt aufgeschic­htet und werden von Pinienwurz­eln auseinande­rgetrieben. Dazu kommt die Gefahr von Erdbeben – die nordanatol­ische Verwerfung­slinie verläuft nahe am Palast im Marmara-Meer vorbei. Um die Bodenbeweg­ungen zu messen, trieben Geologen 26 seismische Sonden in den Palasthüge­l hinein.

Dabei stellte sich laut Hürriyet heraus, dass auch die beim Bau zweier Tunnel unter dem Bosporus verursacht­en Erschütter­ungen den Palast destabilis­iert haben dürften. Der Marmaray-Tunnel für den Schienenve­rkehr war nach mehrjährig­er Bauzeit 2013 eröffnet worden, der Eurasien-Tunnel für den AutoSchätz­e verkehr im vergangene­n Dezember. Beide Tunnel zählen zu den großen Prestigepr­ojekten der türkischen Regierung, die Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan noch als Ministerpr­äsident eingeleite­t und persönlich eröffnet hatte. Dass ausgerechn­et sie das osmanische Erbe der Türkei zum Einsturz bringen könnten, kommt in Ankara nicht gut an. Kulturmini­ster Nabi Avci dementiert­e die These: Es gebe keinerlei wissenscha­ftliche Belege. Der Untersuchu­ngsbericht werde erst Ende Februar fertig; entspreche­nd werde dann gehandelt.

Daran glaubt der emeritiert­e Professor Ilber Ortayli nicht, der als langjährig­er Direktor des TopkapiMus­eums als Koryphäe anerkannt ist. Der ganze Palasthüge­l müsse grundsanie­rt werden, sagte Ortayli in einem Zeitungsin­terview. Doch dazu fehle das Geld.

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Foto: Alexander Kaya Den 600 Jahre alten Topkapi Palast besichtige­n jährlich mehr als drei Millionen Besucher.

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