Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Unglück der mittleren Jahre

Literatur Die Ehe am Kriseln, die Karriere am Stocken, und dann auch noch Ärger mit den Kindern und dem Hund – der neue Roman des Amerikaner­s Jonathan Safran Foer

- VON STEFANIE WIRSCHING

Wenn der Ehemann jeden Abend noch einmal im Bad verschwind­et mit einer dämlichen Ausrede, weil er noch heimlich seine Pille gegen Haarverlus­t schlucken möchte, was läuft dann eigentlich schief? Zumal, wenn die Pille auch noch eine echte Gefährdung fürs Sexleben darstellt? Eben! Dann steckt man vermutlich mittendrin in einer schwer kriselnden Ehe. Jacob und Julia heißen in diesem Fall die beiden einst sich Liebenden. Wenn der Roman von Jonathan Safran Foer beginnt, sind sie noch als Paar und Familie vereint. Nach außen hin ist also alles noch hui: schicke Jobs, er Autor, sie Innenarchi­tektin, drei schlaue Söhne, schickes Haus, zwei Autos und ein Hund. Mittelschi­chten-Idyll. Innen aber ist längst alles pfui. Wozu auch der Hund sein Teil beiträgt. Er verteilt seine riechende Hinterlass­enschaft im ganzen Haus! Es stinkt also gewaltig im schicken Domizil der Familie Bloch in Washington D.C.

Jonathan Safran Foer galt einst mit Mitte zwanzig nach seinem Debütroman „Alles ist erleuchtet“als große Hoffnung der amerikanis­chen Gegenwarts­literatur. Damals schrieb er über einen jungen Amerikaner, der auf der Suche nach seinen jüdischen Vorfahren durch die Ukraine reist. Ein Mittzwanzi­ger auf Identitäts­suche. Nun ist er 39 Jahre alt und damit in jenem mittleren Alter angelangt, in dem die eigene Familie nicht mehr nur Zukunftsvi­sion ist, sondern Gegenwart. Oder auch, wie bei Jonathan Safran Foer, bereits wieder Vergangenh­eit. Seine Ehe mit der Schriftste­llerin Nicole Krauss scheiterte vor zwei Jahren.

Wie viel von seinem eigenen Erleben im neuen Roman steckt, erklärt Foer im Buch selbst. „Das ist nicht mein Leben, aber das bin ich“, lässt er Jacob, ebenfalls Autor, über die von ihm geschriebe­ne Fernsehser­ie sagen. „Hier bin ich“, so lautet auch der Titel seines nun dritten Romans, in dem Foer das private Debakel der Blochs in all seinen Verästelun­gen und genau beobachtet­en Alltagssze­nen beschreibt. „Jacob und Julia hatten es geschafft, getrennt zusammenzu­arbeiten: Du drehst eine Runde mit Argus, während ich Max bei den Mathehausa­ufgaben helfe, während du die Wäsche zusammenle­gst, während ich den entscheide­nden Legostein suche …“

Ein weiterer großer amerikanis­cher Ehe- und Familienro­man also? jeden Fall ein gewaltiger, fast 700 Seiten dick. Aber so, wie man mit Jacob und Julia beim Scheitern dieser Ehe leidet, so schmerzt es zugleich, dass dieser Roman nicht so großartig geworden ist, wie er hätte sein können, dass Foer sein fein gezeichnet­es Sittenbild einer amerikanis­ch-jüdischen Familie mit Dialogen überlädt. So, als seien Teile dieses Romans einst als Vorlage für eben jene Fernsehser­ie geschriebe­n worden, an die Jacob seit Jahren sein Talent verschenkt. Selbst Grundschul­kinder wie das Jüngste der Blochs, der fremdwortv­erliebte Benny, sprechen so, als hätten sie das Skript eines profession­ellen Gagschreib­ers vor sich liegen, hantieren da im Übrigen schon lässig mit Worten wie „zölibatär“und stellen Fragen wie diese: „Warum ist Fallen das Epitom des Lebens?“Oder: „Der Klang der Zeit? Was ist damit passiert?“

Anderersei­ts: Das, woran der Roman leidet, seine Dialoglast­igkeit, macht wiederum seine Stärke aus, sein Dialogreic­htum. Und zwar immer dann, wenn Foer zu einem authentisc­hen Ton findet, zwischen Frau und Mann, zwischen Vater und Großvater, zwischen Cousin und Cousin. Dann ist es ein Genuss, all diesen irrsinnig schlagfert­igen und geistreich­en Blochs zuzuhören. Und sei es auch nur einem kleinen Geplänkel wie dem zwischen Jacob und seinem Vater Irv. „Nichts schafft sich von selbst aus der Welt“, erklärt Irv – „Fürze schon“, antwortet der erwachsene Sohn. Und der Vater erwidert: „Dein Haus stinkt, Jacob. Du riechst es nur nicht, weil es deines ist.“

Hochkomisc­h, tieftrauri­g, unglaublic­h berührend, extrem persönlich ... So liest sich dieser Roman auf weiter Strecke, sodass einem die Unzulängli­chkeiten, die Übersetzun­gsfehler, von denen etliche seit dem Erscheinen bereits aufgespürt wurden, und manch offensicht­liches Bemühen um Gewichtigk­eit umso mehr ins Auge fallen. Wie zum Beispiel die fast hölzern wirkende ReAuf miniszenz an Leo Tolstois berühmtest­en ersten Satz: „Alle glückliche­n Morgen gleichen einander, wie auch alle unglücklic­hen Morgen, und dass sie so furchtbar unglücklic­h sind, hat folgende Ursache: Das Gefühl, dass man ein solches Unglück schon einmal erlebt hat…“

Das kleine private Unglück, Jonathan Safran Foer bettet es in ein viel größeres. Und erweitert mit einem gewagten Kunstgriff seinen Ehe- und Familienro­man hin zur Dystopie. Just als die Ehe der Blochs ins Wanken gerät, ausgelöst im Übrigen durch anzügliche SMS, die das liebes- und lebenshung­rige Weichei Jacob an eine Kollegin verschickt, bebt im Nahen Osten die Erde. Die muslimisch­en Staaten nutzen die Situation und lassen ihre Armeen gegen das durch Zerstörung geschwächt­e Israel aufmarschi­eren. Der israelisch­e Ministerpr­äsident ruft alle Juden, auch in der Diaspora, zum Dienst an der Waffe auf. Auch der Cousin Tamir, der zur Bar-Mizwa von Blochs ältestem Sohn aus Israel angeflogen ist, fordert Jacob auf, mit ihm zurückzuke­hren und zu kämpfen. Jacob willigt tatsächlic­h ein – was Julia mit der hämischen Bemerkung quittiert: „Sie brauchen Männer.“

Und so ist „Hier bin ich“weit mehr als nur ein Roman übers Unglücklic­hsein in den mittleren Jahren. Jonathan Safran Foer beschreibt auch das Ringen um den eigenen Glauben, um die – wie im Falle Jacobs – jüdische Identität. „Hier bin ich“: Den Satz, mit dem Abraham im 1. Buch Mose seinem Gott antwortet, macht er zum Titel und Leitmotiv des Romans. Wenn schon nicht als Ehemann, dann zumindest als Vater wird Jacob dem Anspruch gerecht. Und auch als Hundeherrc­hen. Argus, sein alter Hund, kann bis zuletzt auf dieses sympathisc­he Weichei zählen. Hier ist er, Jacob Bloch, nicht mehr und nicht weniger.

„Hier bin ich“, dieser vielschich­tige Roman hätte also ein großes Glück sein können. Ein kleines aber ist er allemal.

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Foto: imago/Leeemage „Das bin ich“– der Schriftste­ller Jonathan Safran Foer.
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» Jonathan Safran Foer: Hier bin ich. A. d. Amerikanis­chen von Henning Ahrens. Kiepenheue­r & Witsch, 688 S., 26 ¤. Am Sonntag, 29. Ja nuar, liest Foer im Münchner Litera turhaus ab 17 Uhr.

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