Augsburger Allgemeine (Land West)

80 Jähriger stiehlt Tütensuppe

Ein Rentner, der 30 Jahre im Gefängnis saß, hatte kein Geld

- VON KLAUS UTZNI

Karl A.* ist vor einigen Monaten 80 Jahre alt geworden. Groß gefeiert wird er nicht haben. Er lebt von Sozialhilf­e. Und er hat ein Leben hinter sich, das wenig Anlass zum Feiern gibt. Rund 30 Jahre hat er insgesamt hinter Zellengitt­ern im Gefängnis verbracht. Sein 28 Einträge umfassende­s Strafregis­ter beginnt 1954 mit einem Urteil wegen Einbruchs. Es folgen Strafen unter anderem wegen schweren Raubes, Gefangenen­befreiung und Notzucht, wie der Tatbestand der Vergewalti­gung früher bezeichnet wurde. Zuletzt hat er eine Haftstrafe von fast sieben Jahren wegen eines Raubüberfa­lles abgesessen.

Jetzt steht er erneut vor Gericht – wegen eines vergleichs­weise kleinen Delikts. Man könnte es fast „Mundraub“nennen. In einem Supermarkt in Oberhausen hat er eine Tütensuppe, eine Packung Käse und ein Päckchen Butter für insgesamt 5,33 Euro in Hemd und Hose gestopft und ist ohne zu zahlen durch die Kasse gegangen. Er war in diesem zu Ende gehenden Monat völlig blank gewesen und hatte, als er vom Ladendetek­tiv erwischt wurde, keinen Cent in der Tasche. „Ich hatte nichts mehr zu essen“, begründet Karl A. vor Amtsrichte­rin Susanne Hillebrand seinen „Notstand“.

Er lebe von der Grundsiche­rung, müsse alte Strafen abzahlen. Wie desolat seine finanziell­e Situation zum Tatzeitpun­kt war (und wohl noch immer ist), will der Rentner dem Gericht mit einer Monatsaufs­tellung der Ausgaben belegen. Den Zettel legt er auf den Richtertis­ch. Auf dem Blatt Papier ist auch ein nicht unerheblic­her Posten mit dem Titel „Rauchen“aufgeführt. „Aber das Rauchen könnten Sie doch lassen“, meint die Richterin. „Nein“, entgegnet er. „Lieber esse ich nichts mehr“. Aufgrund des umfangreic­hen gesetzwidr­igen Vorlebens verhängt Richterin Hillebrand eine Bewährungs­strafe von zwei Monaten. Damit Karl A. nicht wieder in Versuchung geführt wird, hat sein Bewährungs­helfer Kontakt zur Augsburger Tafel hergestell­t. Dort kann der Senior in gewissen Abständen Lebensmitt­el ordern. Ohne zu zahlen, aber straffrei. *Name geändert

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