Augsburger Allgemeine (Land West)
Im Land der begrenzten Möglichkeiten
Politik Die einen sitzen am Flughafen fest, die anderen haben Angst, dass sie nie mehr in die USA einreisen können. Einfach nur, weil sie Muslime sind. Und weil Donald Trump meint, seine Landsleute vor ihnen schützen zu müssen. Dabei hat sich der neue Prä
Saif Rahman ist einer, auf den sie warten. Die Demonstranten, die seit zwei Tagen am internationalen Flughafen Dulles in Washington stehen, mit Plakaten und Spruchbändern. Die Anwälte und Politiker, die in den letzten Stunden Passagiere befragt und den Grenzschutz bestürmt haben – und doch nur spärliche Informationen erhalten. Dann, endlich, kommt Rahman an den kleinen Tisch am Gepäckband 13: „Ich bin draußen“, sagt der 38-Jährige. Er wirkt erleichtert – und zugleich erschöpft. „Aber 16 sitzen noch drin.“Die Hälfte davon sind afrikanische Männer, sagt er. Und eine ältere schwarze Frau im Rollstuhl, die wohl Hilfe braucht.
Auch drei Tage, nachdem USPräsident Donald Trump ein Einreiseverbot für Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Staaten verhängt hat, geht es am größten internationalen Flughafen der Hauptstadt chaotisch zu. Hunderte Demonstranten verstopfen den Ankunftsbereich und begrüßen jeden Ankömmling mit Sprechchören: „Kein Hass, keine Furcht, Einwanderer sind hier willkommen!“
Es sind Szenen, wie es sie dieser Tage an vielen Flughäfen in den USA gibt. Dulles jedoch macht noch mehr Schlagzeilen als die anderen Airports: Als ein Gericht Teile von Trumps Verordnung am Samstag kippt, weigern sich die Grenzschützer hier zunächst, sie umzusetzen. Demokratische Kongressabgeordnete versuchen, Zugang zu Inhaftierten zu bekommen oder wenigstens die zuständigen Beamten zu sprechen. „Aber wir kommen nicht durch“, sagt Donald S. Berger Jr., früherer US-Botschafter in der Schweiz und Liechtenstein, noch am Sonntag. Der Flughafen lässt die Demonstranten immerhin gewähren, richtet Absperrungen ein und sorgt für einen halbwegs geregelten Betrieb. Inzwischen, heißt es, sollen am Flughafen keine Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht mehr festsitzen.
Rahman ist US-Bürger. Der Immobilienberater, der im nahe gelegenen Falls Church wohnt, reist viel. Zeitweise hatte er Diplomatenpapiere aus dem Irak, weil er dort die US-Regierung unterstützte. Es gibt Aufnahmen von ihm mit ExPräsident Barack Obama. „Ich werde trotzdem regelmäßig geprüft, weil ich als Kind mit meinen Eltern aus dem Irak eingewandert bin“, erzählt der Muslim. „Aber dieses Mal war es anders.“
Rahmans Flug kam aus Istanbul, führte über Frankfurt nach Washington. Schon am Ausgang des Flugzeugs seien zwei Grenzschützer postiert gewesen – das war neu für Rahman. Die Smartphones der Pas- sagiere wurden überprüft, die Inhalte auf sozialen Netzwerken kontrolliert. „Ich habe einen Beamten gesehen, der 25 Minuten lang das Gerät eines Passagiers durchforstet hat.“
Für viele fühlt es sich an, als habe eine neue Zeitrechnung begonnen, seit Trump am Freitagabend einen dreimonatigen Einreisestopp für Menschen aus Syrien, dem Iran, Irak, dem Sudan, Somalia, Libyen und dem Jemen verhängt hat. 120 Tage lang nehmen die USA außerdem keinerlei Flüchtlinge mehr auf; für solche aus Syrien gilt der Erlass unbegrenzt. Seither gibt es viele Amerikaner, die ihr Land nicht mehr verstehen. Wie der TwitterNutzer, der schreibt: „Ich erinnere mich an die Zeit, als man ins Ausland reisen konnte, ohne sich dafür schämen zu müssen, ein Amerikaner zu sein.“Es gibt die einen, die wie Saif Rahman an einem amerikanischen Flughafen festsitzen. Und die anderen, die die Sorge umtreibt, dass sie künftig nicht mehr in ein Flugzeug in Richtung USA steigen können. So wie Natascha Etminan. Die Deutsch-Iranerin hat einen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass Trumps Erlass ja auch sie trifft. Dass auch sie so schnell nicht mehr in die USA einreisen kann. Die Rechtsanwältin, die in München lebt, sagt: „Das ist unfassbar.“Selbst im Traum hätte ich nicht daran gedacht, dass so etwas in den Vereinigten Staaten möglich sein könnte.“
Wie Etminan sind nicht wenige Bundesbürger von Trumps Einreisestopp betroffen. Schätzungen gehen von Zehntausenden aus, die nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit haben, sondern auch eine, die Trump nicht mehr in seinem Land sehen will. Etminan hat aktuell keine Reise in die USA geplant. Für ihre Großtante sind die Probleme ungleich größer. Weil diese zwar eine Greencard besitzt und mit ihrer Familie in den Vereinigten Staaten lebt – doch derzeit verreist ist. Sie wird nicht mehr zurück in die USA können, sagt Etminan. Und dass es sie traurig macht, dass so etwas überhaupt passieren kann.
Trump lassen solche Worte kalt, ebenso wie die Proteste an den Flughäfen, der Widerstand im Land oder die internationale Kritik, die sein Erlass nach sich zieht. Kanzlerin Angela Merkel wird deutlich, als sie gestern betont, der Anti-TerrorKampf rechtfertige „in keiner Weise einen Generalverdacht gegen Menschen bestimmten Glaubens“. Trump sagt, die USA seien zwar ein Land des Mitgefühls. „Aber wir werden zugleich unsere eigenen Bürger und Grenzen schützen.“
Am Flughafen Dulles reckt eine Anwältin ein Schild in die Höhe, das Gratisberatung verspricht. Manche Kollegen sitzen mit offenen Laptops auf dem Boden. Wieder andere suchen mit Postern nach Angehörigen von Menschen, die festsitzen. Freiwillige bringen Kaffee. Auch Nancy Palm aus Leesburg, Virginia, will helfen. „Dieser Erlass hat mit meinem Amerika so wenig zu tun wie mit der Freiheitsstatue“, sagt die Grafikdesignerin. „Wir sind ein Einwanderungsland. Wir gewähren Notleidenden Zuflucht. Wir haben Religionsfreiheit.“
Und der Protest formiert sich: Nicht nur, dass an Flughäfen quer durchs Land Tausende demonstriert haben, dass sich Menschen in den Innenstädten und vor dem Weißen Haus versammeln, dass Richter in vier Bundesstaaten Teile der Verordnung zeitweise außer Kraft gesetzt haben. Als erster Bundesstaat hat Washington eine Klage gegen das Einreisedekret angekündigt. Wenn ein Sieg vor dem Bundesgericht in Seattle gelinge, werde das Trumps Erlass in den gesamten USA ungültig werden lassen, teilte Justizminister Bob Ferguson mit.
Und auch der frühere US-Präsident Barack Obama hat sich eingeschaltet und über seinen Sprecher jede Diskriminierung aufgrund der Religion scharf zurückgewiesen. Bürger, die ihr Verfassungsrecht nutzten, sich zu versammeln und sich Gehör zu verschaffen, seien „genau das, was wir sehen wollen, wenn amerikanische Werte auf dem Spiel stehen“, sagte Obama, ohne den Namen Trump zu nennen.
Washingtons Gouverneur Jay Inslee wirft Trump nicht nur Grausamkeit und Verfassungswidrigkeit vor, sondern auch groben Dilettantismus: Weder Passagiere noch Sicherheitskräfte hätten sich vorbereiten können. „Dies ist wahrscheinlich die inkompetenteste, ineffektivste, gewissenlos provokativste und gefährlichste Regierungsmaßnahme, die ich je erlebt habe.“
Trump selbst verwahrt sich gegen den Vorwurf. „Um es klarzumachen, dies ist kein muslimischer Bann, wie die Medien es falsch berichten. Hier geht es nicht um Religion – es geht um Terror und darum, unser Land zu schützen“, erklärt er in einer Mitteilung. Es gebe weltweit über 40 mehrheitlich muslimische Länder, die nicht von seiner Direktive betroffen seien.
Und doch wirft der Erlass Fragen nach dem sicherheitspolitischen Sinn auf. Denn in den vergangenen Jahrzehnten gab es in den USA keinen Fall, bei dem ein Attentäter aus einem der betroffenen sieben Staaten einen tödlichen Anschlag verübt hätte. Die Flugzeug-Attentäter vom 11. September 2001 kamen aus Saudi-Arabien, Ägypten, dem Libanon und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Keines dieser Länder steht auf Trumps Liste; sie alle sind wichtige Verbündete der USA, vor allem Saudi-Arabien und Ägypten. Für viele US-Medien ist klar, dass Trumps Erlass nur Nationen trifft, in denen der Präsident keine Geschäftsinteressen habe.
Am Flughafen Dulles haben die Menschen andere Probleme. Wie der Mann aus Virginia, der völlig aufgelöst ist. „Meine Frau und mein Sohn sind im Irak“, sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Sein Sohn ist US-Bürger, sagt er, seine Frau hat eine Greencard. Wie das alles werden wird in Zukunft unter dem neuen US-Präsidenten? Dazu will er nichts sagen. Nur so viel: „Meine Familie hat einfach nur Angst.“
25 Minuten lang wird das Smartphone kontrolliert Kein Attentäter kam aus einem der sieben Länder