Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Land der begrenzten Möglichkei­ten

Politik Die einen sitzen am Flughafen fest, die anderen haben Angst, dass sie nie mehr in die USA einreisen können. Einfach nur, weil sie Muslime sind. Und weil Donald Trump meint, seine Landsleute vor ihnen schützen zu müssen. Dabei hat sich der neue Prä

- VON JENS SCHMITZ UND JOSEF KARG

Saif Rahman ist einer, auf den sie warten. Die Demonstran­ten, die seit zwei Tagen am internatio­nalen Flughafen Dulles in Washington stehen, mit Plakaten und Spruchbänd­ern. Die Anwälte und Politiker, die in den letzten Stunden Passagiere befragt und den Grenzschut­z bestürmt haben – und doch nur spärliche Informatio­nen erhalten. Dann, endlich, kommt Rahman an den kleinen Tisch am Gepäckband 13: „Ich bin draußen“, sagt der 38-Jährige. Er wirkt erleichter­t – und zugleich erschöpft. „Aber 16 sitzen noch drin.“Die Hälfte davon sind afrikanisc­he Männer, sagt er. Und eine ältere schwarze Frau im Rollstuhl, die wohl Hilfe braucht.

Auch drei Tage, nachdem USPräsiden­t Donald Trump ein Einreiseve­rbot für Menschen aus sieben mehrheitli­ch muslimisch­en Staaten verhängt hat, geht es am größten internatio­nalen Flughafen der Hauptstadt chaotisch zu. Hunderte Demonstran­ten verstopfen den Ankunftsbe­reich und begrüßen jeden Ankömmling mit Sprechchör­en: „Kein Hass, keine Furcht, Einwandere­r sind hier willkommen!“

Es sind Szenen, wie es sie dieser Tage an vielen Flughäfen in den USA gibt. Dulles jedoch macht noch mehr Schlagzeil­en als die anderen Airports: Als ein Gericht Teile von Trumps Verordnung am Samstag kippt, weigern sich die Grenzschüt­zer hier zunächst, sie umzusetzen. Demokratis­che Kongressab­geordnete versuchen, Zugang zu Inhaftiert­en zu bekommen oder wenigstens die zuständige­n Beamten zu sprechen. „Aber wir kommen nicht durch“, sagt Donald S. Berger Jr., früherer US-Botschafte­r in der Schweiz und Liechtenst­ein, noch am Sonntag. Der Flughafen lässt die Demonstran­ten immerhin gewähren, richtet Absperrung­en ein und sorgt für einen halbwegs geregelten Betrieb. Inzwischen, heißt es, sollen am Flughafen keine Menschen mit dauerhafte­m Aufenthalt­srecht mehr festsitzen.

Rahman ist US-Bürger. Der Immobilien­berater, der im nahe gelegenen Falls Church wohnt, reist viel. Zeitweise hatte er Diplomaten­papiere aus dem Irak, weil er dort die US-Regierung unterstütz­te. Es gibt Aufnahmen von ihm mit ExPräsiden­t Barack Obama. „Ich werde trotzdem regelmäßig geprüft, weil ich als Kind mit meinen Eltern aus dem Irak eingewande­rt bin“, erzählt der Muslim. „Aber dieses Mal war es anders.“

Rahmans Flug kam aus Istanbul, führte über Frankfurt nach Washington. Schon am Ausgang des Flugzeugs seien zwei Grenzschüt­zer postiert gewesen – das war neu für Rahman. Die Smartphone­s der Pas- sagiere wurden überprüft, die Inhalte auf sozialen Netzwerken kontrollie­rt. „Ich habe einen Beamten gesehen, der 25 Minuten lang das Gerät eines Passagiers durchforst­et hat.“

Für viele fühlt es sich an, als habe eine neue Zeitrechnu­ng begonnen, seit Trump am Freitagabe­nd einen dreimonati­gen Einreisest­opp für Menschen aus Syrien, dem Iran, Irak, dem Sudan, Somalia, Libyen und dem Jemen verhängt hat. 120 Tage lang nehmen die USA außerdem keinerlei Flüchtling­e mehr auf; für solche aus Syrien gilt der Erlass unbegrenzt. Seither gibt es viele Amerikaner, die ihr Land nicht mehr verstehen. Wie der TwitterNut­zer, der schreibt: „Ich erinnere mich an die Zeit, als man ins Ausland reisen konnte, ohne sich dafür schämen zu müssen, ein Amerikaner zu sein.“Es gibt die einen, die wie Saif Rahman an einem amerikanis­chen Flughafen festsitzen. Und die anderen, die die Sorge umtreibt, dass sie künftig nicht mehr in ein Flugzeug in Richtung USA steigen können. So wie Natascha Etminan. Die Deutsch-Iranerin hat einen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass Trumps Erlass ja auch sie trifft. Dass auch sie so schnell nicht mehr in die USA einreisen kann. Die Rechtsanwä­ltin, die in München lebt, sagt: „Das ist unfassbar.“Selbst im Traum hätte ich nicht daran gedacht, dass so etwas in den Vereinigte­n Staaten möglich sein könnte.“

Wie Etminan sind nicht wenige Bundesbürg­er von Trumps Einreisest­opp betroffen. Schätzunge­n gehen von Zehntausen­den aus, die nicht nur die deutsche Staatsange­hörigkeit haben, sondern auch eine, die Trump nicht mehr in seinem Land sehen will. Etminan hat aktuell keine Reise in die USA geplant. Für ihre Großtante sind die Probleme ungleich größer. Weil diese zwar eine Greencard besitzt und mit ihrer Familie in den Vereinigte­n Staaten lebt – doch derzeit verreist ist. Sie wird nicht mehr zurück in die USA können, sagt Etminan. Und dass es sie traurig macht, dass so etwas überhaupt passieren kann.

Trump lassen solche Worte kalt, ebenso wie die Proteste an den Flughäfen, der Widerstand im Land oder die internatio­nale Kritik, die sein Erlass nach sich zieht. Kanzlerin Angela Merkel wird deutlich, als sie gestern betont, der Anti-TerrorKamp­f rechtferti­ge „in keiner Weise einen Generalver­dacht gegen Menschen bestimmten Glaubens“. Trump sagt, die USA seien zwar ein Land des Mitgefühls. „Aber wir werden zugleich unsere eigenen Bürger und Grenzen schützen.“

Am Flughafen Dulles reckt eine Anwältin ein Schild in die Höhe, das Gratisbera­tung verspricht. Manche Kollegen sitzen mit offenen Laptops auf dem Boden. Wieder andere suchen mit Postern nach Angehörige­n von Menschen, die festsitzen. Freiwillig­e bringen Kaffee. Auch Nancy Palm aus Leesburg, Virginia, will helfen. „Dieser Erlass hat mit meinem Amerika so wenig zu tun wie mit der Freiheitss­tatue“, sagt die Grafikdesi­gnerin. „Wir sind ein Einwanderu­ngsland. Wir gewähren Notleidend­en Zuflucht. Wir haben Religionsf­reiheit.“

Und der Protest formiert sich: Nicht nur, dass an Flughäfen quer durchs Land Tausende demonstrie­rt haben, dass sich Menschen in den Innenstädt­en und vor dem Weißen Haus versammeln, dass Richter in vier Bundesstaa­ten Teile der Verordnung zeitweise außer Kraft gesetzt haben. Als erster Bundesstaa­t hat Washington eine Klage gegen das Einreisede­kret angekündig­t. Wenn ein Sieg vor dem Bundesgeri­cht in Seattle gelinge, werde das Trumps Erlass in den gesamten USA ungültig werden lassen, teilte Justizmini­ster Bob Ferguson mit.

Und auch der frühere US-Präsident Barack Obama hat sich eingeschal­tet und über seinen Sprecher jede Diskrimini­erung aufgrund der Religion scharf zurückgewi­esen. Bürger, die ihr Verfassung­srecht nutzten, sich zu versammeln und sich Gehör zu verschaffe­n, seien „genau das, was wir sehen wollen, wenn amerikanis­che Werte auf dem Spiel stehen“, sagte Obama, ohne den Namen Trump zu nennen.

Washington­s Gouverneur Jay Inslee wirft Trump nicht nur Grausamkei­t und Verfassung­swidrigkei­t vor, sondern auch groben Dilettanti­smus: Weder Passagiere noch Sicherheit­skräfte hätten sich vorbereite­n können. „Dies ist wahrschein­lich die inkompeten­teste, ineffektiv­ste, gewissenlo­s provokativ­ste und gefährlich­ste Regierungs­maßnahme, die ich je erlebt habe.“

Trump selbst verwahrt sich gegen den Vorwurf. „Um es klarzumach­en, dies ist kein muslimisch­er Bann, wie die Medien es falsch berichten. Hier geht es nicht um Religion – es geht um Terror und darum, unser Land zu schützen“, erklärt er in einer Mitteilung. Es gebe weltweit über 40 mehrheitli­ch muslimisch­e Länder, die nicht von seiner Direktive betroffen seien.

Und doch wirft der Erlass Fragen nach dem sicherheit­spolitisch­en Sinn auf. Denn in den vergangene­n Jahrzehnte­n gab es in den USA keinen Fall, bei dem ein Attentäter aus einem der betroffene­n sieben Staaten einen tödlichen Anschlag verübt hätte. Die Flugzeug-Attentäter vom 11. September 2001 kamen aus Saudi-Arabien, Ägypten, dem Libanon und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Keines dieser Länder steht auf Trumps Liste; sie alle sind wichtige Verbündete der USA, vor allem Saudi-Arabien und Ägypten. Für viele US-Medien ist klar, dass Trumps Erlass nur Nationen trifft, in denen der Präsident keine Geschäftsi­nteressen habe.

Am Flughafen Dulles haben die Menschen andere Probleme. Wie der Mann aus Virginia, der völlig aufgelöst ist. „Meine Frau und mein Sohn sind im Irak“, sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Sein Sohn ist US-Bürger, sagt er, seine Frau hat eine Greencard. Wie das alles werden wird in Zukunft unter dem neuen US-Präsidente­n? Dazu will er nichts sagen. Nur so viel: „Meine Familie hat einfach nur Angst.“

25 Minuten lang wird das Smartphone kontrollie­rt Kein Attentäter kam aus einem der sieben Länder

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Foto: Joshua Lott, afp Proteste am Flughafen in Chicago, Proteste an vielen anderen Airports in den USA: Viele US Bürger wehren sich gegen das Einreiseve­rbot, das Trump für Menschen aus sieben mehrheitli­ch muslimisch­en Staaten erlassen hat.

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