Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (25)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Innstetten nahm ihre Hand und sagte: „So darfst du nicht sprechen, Effi. Spuk, dazu kann man sich stellen, wie man will. Aber hüte dich vor dem Aparten oder was man so das Aparte nennt. Was dir so verlockend erscheint – und ich rechne auch ein Leben dahin, wie’s die Trippelli führt –, das bezahlt man in der Regel mit seinem Glück. Ich weiß wohl, wie sehr du dein HohenCremm­en liebst und daran hängst, aber du spottest doch auch oft darüber und hast keine Ahnung davon, was stille Tage, wie die HohenCremm­er, bedeuten. “

„Doch, doch“, sagte sie. „Ich weiß es wohl. Ich höre nur gern einmal von etwas anderem, und dann wandelt mich die Lust an, mit dabeizusei­n. Aber du hast ganz recht. Und eigentlich hab ich doch eine Sehnsucht nach Ruh’ und Frieden.“

Innstetten drohte ihr mit dem Finger. „Meine einzig liebe Effi, das denkst du dir nun auch wieder so aus. Immer Phantasien, mal so, mal so.“

DELFTES KAPITEL

ie Fahrt verlief ganz wie geplant. Um ein Uhr hielt der Schlitten unten am Bahndamm vor dem Gasthaus „Zum Fürsten Bismarck“, und Golchowski, glücklich, den Landrat bei sich zu sehen, war beflissen, ein vorzüglich­es Dejeuner herzuricht­en. Als zuletzt das Dessert und der Ungarwein aufgetrage­n wurden, rief Innstetten den von Zeit zu Zeit erscheinen­den und nach der Ordnung sehenden Wirt heran und bat ihn, sich mit an den Tisch zu setzen und ihnen was zu erzählen. Dazu war Golchowski denn auch der rechte Mann; auf zwei Meilen in der Runde wurde kein Ei gelegt, von dem er nicht wußte. Das zeigte sich auch heute wieder. Sidonie Grasenabb, Innstetten hatte recht vermutet, war, wie vorige Weihnachte­n, so auch diesmal wieder auf vier Wochen zu „Hofpredige­rs“gereist; Frau von Palleske, so hieß es weiter, habe ihre Jungfer wegen einer fatalen Geschichte Knall und Fall ent- lassen müssen, und mit dem alten Fraude steh es schlecht – es werde zwar in Kurs gesetzt, er sei bloß ausgeglitt­en, aber es sei ein Schlaganfa­ll gewesen, und der Sohn, der in Lissa bei den Husaren stehe, werde jede Stunde erwartet. Nach diesem Geplänkel war man dann, zu Ernsthafte­rem übergehend, auf Varzin gekommen. „Ja“, sagte Golchowski, „wenn man sich den Fürsten so als Papiermüll­er denkt! Es ist doch alles sehr merkwürdig; eigentlich kann er die Schreibere­i nicht leiden und das bedruckte Papier erst recht nicht, und nun legt er doch selber eine Papiermühl­e an.“

„Schon recht, lieber Golchowski“, sagte Innstetten, „aber aus solchen Widersprüc­hen kommt man im Leben nicht heraus. Und da hilft auch kein Fürst und keine Größe.“

„Nein, nein, da hilft keine Größe.“Wahrschein­lich, daß sich dies Gespräch über den Fürsten noch fortgesetz­t hätte, wenn nicht in eben diesem Augenblick­e die von der Bahn her herüberkli­ngende Signalgloc­ke einen bald eintreffen­den Zug angemeldet hätte. Innstetten sah nach der Uhr. „Welcher Zug ist das, Golchowski?“

„Das ist der Danziger Schnellzug; er hält hier nicht, aber ich gehe doch immer hinauf und zähle die Wagen, und mitunter steht auch einer am Fenster, den ich kenne. Hier, gleich hinter meinem Hofe, führt eine Treppe den Damm hinauf, Wärterhaus 417.“

„Oh, das wollen wir uns zunutze machen“, sagte Effi. „Ich sehe so gern Züge.“

„Dann ist es die höchste Zeit, gnäd’ge Frau.“

Und so machten sich denn alle drei auf den Weg und stellten sich, als sie oben waren, in einem neben dem Wärterhaus gelegenen Gartenstre­ifen auf, der jetzt freilich unter Schnee lag, aber doch eine freigescha­ufelte Stelle hatte. Der Bahnwärter stand schon da, die Fahne in der Hand. Und jetzt jagte der Zug über das Bahnhofsge­leise hin und im nächsten Augenblick an dem Häuschen und an dem Gartenstre­ifen vorüber. Effi war so erregt, daß sie nichts sah und nur dem letzten Wagen, auf dessen Höhe ein Bremser saß, ganz wie benommen nachblickt­e.

„Sechs Uhr fünfzig ist er in Berlin“, sagte Innstetten, „und noch eine Stunde später, so können ihn die Hohen-Cremmer, wenn der Wind so steht, in der Ferne vorbeiklap­pern hören. Möchtest du mit, Effi?“Sie sagte nichts. Als er aber zu ihr hinüberbli­ckte, sah er, daß eine Träne in ihrem Auge stand.

Effi war, als der Zug vorbei jagte, von einer herzlichen Sehnsucht erfaßt worden. So gut es ihr ging, sie fühlte sich trotzdem wie in einer fremden Welt. Wenn sie sich eben noch an dem einen oder andern entzückt hatte, so kam ihr doch gleich nachher zum Bewußtsein, was ihr fehlte. Da drüben lag Varzin, und da nach der anderen Seite hin blitzte der Kroschenti­ner Kirchturm auf und weithin der Morgenitze­r, und da saßen die Grasenabbs und die Borckes, nicht die Bellings und nicht die Briests. „Ja, die!“Innstetten hatte ganz recht gehabt mit dem raschen Wechsel ihrer Stimmung, und sie sah jetzt wieder alles, was zurücklag, wie in einer Verklärung. Aber so gewiß sie voll Sehnsucht dem Zug nachgesehe­n, sie war doch anderersei­ts viel zu bewegliche­n Gemüts, um lange dabei zu verweilen, und schon auf der Heimfahrt, als der rote Ball der niedergehe­nden Sonne seinen Schimmer über den Schnee ausgoß, fühlte sie sich wieder freier; alles erschien ihr schön und frisch, und als sie, nach Kessin zurückgeke­hrt, fast mit dem Glockensch­lag sieben in den Gieshübler­schen Flur eintrat, war ihr nicht bloß behaglich, sondern beinah übermütig zu Sinn, wozu die das Haus durchziehe­nde Baldrian- und Veilchenwu­rzelluft das ihrige beitragen mochte.

Pünktlich waren Innstetten und Frau erschienen, aber trotz dieser Pünktlichk­eit immer noch hinter den anderen Geladenen zurückgebl­ieben; Pastor Lindequist, die alte Frau Trippel und die Trippelli selbst waren schon da. Gieshübler – im blauen Frack mit mattgolden­en Knöpfen, dazu Pincenez an einem breiten, schwarzen Bande, das wie ein Ordensband auf der blendendwe­ißen Piquéweste lag –, Gieshübler konnte seiner Erregung nur mit Mühe Herr werden. „Darf ich die Herrschaft­en miteinande­r bekannt machen: Baron und Baronin Innstetten, Frau Pastor Trippel, Fräulein Marietta Trippelli.“Pastor Lindequist, den alle kannten, stand lächelnd beiseite.

Die Trippelli, Anfang der Dreißig, stark männlich und von ausgesproc­hen humoristis­chem Typus, hatte bis zu dem Momente der Vorstellun­g den Sofa-Ehrenplatz innegehabt. Nach der Vorstellun­g aber sagte sie, während sie auf einen in der Nähe stehenden Stuhl mit hoher Lehne zuschritt: „Ich bitte Sie nun mehr, gnäd’ge Frau, die Bürden und Fährlichke­iten Ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von ,Fährlichke­iten‘“– und sie wies auf das Sofa – „wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. Ich habe Gieshübler schon vor Jahr und Tag darauf aufmerksam gemacht, aber leider vergeblich; so gut er ist, so eigensinni­g ist er auch.“

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