Augsburger Allgemeine (Land West)

Mehr als Reggae, Rum und Rasta

Karibik Sonne, Strand und Palmen: Deswegen kommen jährlich Millionen von Touristen nach Jamaika. Das Land will mehr von sich zeigen. Eine kurvige Rundfahrt – auch auf den Spuren von James Bond

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Kurz nach 17 Uhr ist Eile angesagt. Und das auf Jamaika, wo man glauben könnte, dass der easy way of life hier erfunden wurde. Doch für einen Sprung ins Meer bleibt nicht mehr viel Zeit. Bereits um 17.30 Uhr geht die Sonne unter, keine halbe Stunde später ist es stockdunke­l. Also schnell in den Bikini gesprungen und rein ins karibisch warme Meer. Der Mond steht schon am Himmel und die Boote schaukeln sanft im Wellengang. Was für ein Anblick!

An den Bojen, die nach gerade einmal 100 Metern den sicheren Schwimmber­eich begrenzen, kehrt der Blick dann zurück zum Strand – und ernüchtert. Hinter den Palmen von Ocho Rios türmen sich die Betonbunke­r einer spanischen Hotelkette, in denen sich zu dieser Stunde wohl weit über 1000 Hotelgäste für den Abend fertig machen. Und der setzt sich aus zwei täglich wiederkehr­enden Programmpu­nkten zusammen: Ansturm auf das All-inclusive-Buffet und anschließe­nde Bespaßung auf der Animations­bühne. So banal kann die Karibik sein!

Dieses Konzept hat lange Zeit auf Jamaika funktionie­rt. Negril oder Ocho Rios? Zwischen diesen beiden touristisc­hen Hotspots entschiede­n sich die meisten Touristen. Dort wuchsen die Hotelanlag­en in den Himmel und beherbergt­en Millionen von sonnenhung­rigen und erholungsb­edürftigen Touristen, denen die Strandtage selten zu lang wurden. Dieses Publikum gibt es heute noch auf der Insel. Doch die Tourismusb­ehörde ist mittlerwei­le bemüht, ihr Land vielfältig­er zu präsentier­en. Insbesonde­re das Landesinne­re mit seiner üppigen Vegetation soll Naturliebh­aber und Wanderer anlocken. Und auch Kingston, die Hauptstadt Jamaikas, soll mehr Interesse als bislang wecken.

Eine Inselrundr­eise ist also das, was sich das Land von einem mustergült­igen Touristen wünscht. Denn so würde das Geld gleichmäßi­g verteilt. Allerdings sollte man für dieses Abenteuer keinen sensiblen Magen haben, denn die Wege insbesonde­re ins Landesinne­re sind eine kurvige und holprige Angelegenh­eit. Außerdem machen unzählige Schlaglöch­er ein sorgloses Dahinfahre­n kaum möglich.

Unsere Reise beginnt also dort, wo sich bislang nur wenige Touristen verirren: Im Cockpit Country, einem 1300 Quadratkil­ometer großen Karstplate­au, in dem sich Berge und Täler wie in einem Eierkarton aneinander­reihen. Hier kann man größere und kleinere Wanderunge­n unternehme­n und sich der Natur nähern. Der kindliche Entdeckerg­eist erwacht spätestens bei den Mimosen, die sich bei Berührunge­n schlagarti­g schließen. „Je weiter man ins Landesinne­re kommt, umso ursprüngli­cher und ehrlicher wird es“, sagt Hugh Dixon, der Führungen durch die wilde Lunge Jamaikas anbietet. Auch beim Essen gäbe es keine Mätzchen. Hier, in den Bergen, koche man mit Liebe, Geduld und vor allem mit Yam, einer der Kartoffel ähnlichen, einheimisc­hen Wurzel. Als auf dem Mittagstel­ler neben dem Hähnchencu­rry aber dann doch der bei Jamaikaner­n verhasste importiert­e Reis liegt, weiß der Tourmanage­r auch keine so rechte Ausrede.

Von der Einsamkeit des Cockpit Country geht es ins turbulente Kingston, die Hauptstadt der Insel. Rund drei Millionen Einwohner hat Jamaika, ein Drittel von ihnen lebt in Kingston. Viele kamen in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Doch die Realität ernüchtert­e: Etwa jeder Dritte ist arbeitslos, was die Armenviert­el am Stadtrand und die Kriminalit­ät wachsen lässt. Das allein ist aber nicht der Grund, warum die Touristen bislang selten länger als für einen Besuch des berühmten Bob-Marley-Museums in die Stadt kamen: Ein verheerend­es Erdbeben im Jahre 1904 zerstörte den größten Teil von Downtown Kingston – und damit auch den einstigen Charme. Heute gibt es nur noch wenige Sehenswürd­igkeiten, die es zu besich- tigen lohnt. Eines davon ist das Davon House, der herrschaft­liche Sitz eines der ersten dunkelhäut­igen Millionäre Jamaikas. Imposanter als die original eingericht­eten Räume sind allerdings die Eiskugeln, die auf dem Anwesen in einer kleinen, unscheinba­ren Eisdiele verkauft werden. Bei 30 Grad Außentempe­ratur hat man einiges zu tun, wenn die Grapefruit­große Monsterkug­el nicht über den Fingern zerfließen soll.

Wer Jamaika besucht, der kommt an drei Dingen nicht vorbei: Reggae, Rum und Rastas. Will man in die Welt der Rastafaris eintauchen, die das westliche Politsyste­m ablehnen und für die Gleichbere­chtigung der schwarzen Bevölkerun­g kämpfen, ist man in dem Camp von Billy „Mystic“Wilmot genau richtig. Der 57-Jährige ist Profisurfe­r, Herbergsva­ter, Rastafari und überhaupt ein cooler Typ. Seine Unterkünft­e in Downtown Kingston sind einfach, auch mit kleinem Geldbeutel finanzierb­ar und locken vor allem Surfer an, die den Kontakt zu Gleichgesi­nnten und vor allem zu Billy Mystic suchen. „Ich garantiere dir, dass du schon am ersten Tag wenigstens einmal auf dem Brett stehen wirst“, versichert er Surfanfäng­ern. Ansonsten sei Surfen ein Sport, für den man viel Geduld brauche, schließlic­h ließen sich die Wellen nicht regulieren.

Der krasse Gegenentwu­rf zu Billy Mystics Oase ist das Strawberry Hill mitten in den Blue Mountains, einer Bergregion, die sich östlich von Kingston erhebt. Dieses noble Boutique-Hotel

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Fotos: Claudia Stegmann Wer morgens aufwacht und diesen Ausblick genießen darf, muss sich erst mal kneifen, ob er vielleicht nicht doch noch träumt.
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Wo Ian Fleming einst seine James Bond Bücher schrieb, kön nen Gutbetucht­e heute Urlaub machen.

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