Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Behinderte um einen Job kämpfen müssen

Soziales In Bayern ist die Arbeitslos­enquote der Betroffene­n gesunken, in unserer Region ist sie dagegen gestiegen. Wie kann das sein? Eine Suche nach Erklärunge­n

- VON INA KRESSE

Die Arbeitsage­ntur hilft auch Unternehme­n

Diskrimini­erung, Mobbing, fehlende Unterstütz­ung – bei ihrer Suche nach einem Arbeitspla­tz hat Kerstin Heider unschöne Erfahrunge­n gemacht. Das ging an die Psyche der jungen Frau. „Manchmal wog sie nur noch 45 Kilo“, sagt ihre Mutter Monika. Die Meitingeri­n ist eine von zahlreiche­n schwerbehi­nderten Menschen, die sich bei der Jobsuche schwertun. Für sie hat sich das Blatt zum Positiven gewendet. Der Augsburger Wolfgang Hanisch hingegen ist nahezu am Verzweifel­n.

Während die Arbeitslos­igkeit Schwerbehi­nderter laut Bundesagen­tur für Arbeit in Bayern im vergangene­n Jahr deutlich gesunken ist, ist sie im Großraum Augsburg angestiege­n. Laut Statistik haben im Jahr 2016 in den Landkreise­n Augsburg und Aichach-Friedberg sowie in der Stadt Augsburg 1238 Frauen und Männer mit Schwerbehi­nderung keine Arbeit gefunden. Das sind 29 Menschen mehr als im Jahr 2015. Dies bedeutet ein Plus von 2,4 Prozent. Und das, obwohl die Arbeitslos­enzahlen an sich erneut sanken. Warum Schwerbehi­nderte von der positiven Entwicklun­g am Arbeitsmar­kt nicht profitiere­n?

„Das ist schwer zu beantworte­n“, sagt Reinhold Demel, Leiter der Agentur für Arbeit in Augsburg. Mehrere Faktoren, wie Sprachschw­ierigkeite­n der Arbeitssuc­henden oder fehlende Berufsabsc­hlüsse, würden ein Vermitteln oft erschweren. Ausschlagg­ebend sei auch das Angebot an Arbeitsplä­tzen. Nicht jeder Betrieb könne einen Schwerbehi­nderten beschäftig­en. „In einer Produktion am Fließband zu arbeiten ist schwierige­r, als in der Verwaltung mitzuhelfe­n.“Ab 20 Arbeitsplä­tzen müssen nach der gesetzlich­en Vorgabe fünf Prozent der Stellen mit schwerbehi­nderten Beschäftig­ten besetzt sein. Kommt ein Betrieb dem nicht nach, muss er eine sogenannte Ausgleichs­abgabe bezahlen (siehe Infokasten). Monika Heider vermutet, dass manche Unternehme­n lieber die Ausgleichs­abgabe zahlen, als einen Schwerbehi­nderten einzustell­en.

Ihre Tochter Kerstin gilt als schwerbehi­ndert. Seit ihrer Kindheit hat sie eine Unterschen­kelspastik in beiden Beinen. Die 27-Jährige ist in ihrer Bewegung eingeschrä­nkt. Hinzu kommt noch ein Sehfehler. Nach ihrer Ausbildung zur Bürokraft hat Heider an die 200 Bewerbunge­n geschriebe­n. Wie ihre Mutter erzählt, habe Kerstin immer wieder kurzzeitig Aushilfsjo­bs be- Bei Stellen, die langfristi­ger angelegt waren, wurde das Arbeitsver­hältnis teilweise schon in der Probezeit beendet. Sie gibt ein Beispiel. „Eine radiologis­che Praxis hatte jemanden für Terminvere­inbarungen gesucht. Kerstin fing dort an, konnte aber wegen ihrer Fehlsichti­gkeit das Computerpr­ogramm schlecht erkennen.“Der Arbeitgebe­r sei darüber vorab informiert gewesen.

Die Familie Heider wies Kerstins Chef darauf hin, dass es ihn nichts kosten würde, den Computer umzurüsten und dass sich jemand vom Integratio­nsfachdien­st darum kümmern würde. Der Arbeitgebe­r habe aber kein Interesse gezeigt. „Wenn der Arbeitgebe­r nicht bereit ist, Hilfe anzunehmen, was soll man machen“, sagt Monika Heider ratlos. Sie und ihre Tochter hätten die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgebe­r einen Schwerbehi­nderten eher nicht einstellen, weil sie zu viel Aufwand befürchten oder über Hilfsangeb­ote erst gar nicht informiert sind.

Dabei finanziert die Agentur für Arbeit nötige Arbeitshil­fen, wie Leiter Demel erklärt. Das Arbeitsamt versuche alles, um einen schwerbehi­nderten Menschen in zu bringen. Dabei würden auch die Betriebe von der Arbeitsage­ntur unterstütz­t.

Wolfgang Hanisch sucht schon seit sechs Jahren nach einem passenden Job, auch mit Hilfe der Arbeitsage­ntur. Der 30-jährige Augsburger sitzt im Rollstuhl und wurde ebenfalls zu einer Bürokraft ausgebilde­t. „Im Callcenter könnte ich zwar arbeiten, aber dafür hätte ich die Ausbildung nicht gebraucht“, sagt er. Bei seinen vielen Bewerbunge­n sei es bislang höchstens zu Vorstellun­gsgespräch­en gekommen. Dann war schon wieder Schluss.

Der Augsburger glaubt, dass der besondere Kündigungs­schutz die Arbeitnehm­er abschreckt, ihn einzustell­en. „Dabei will ich diesen Kündigungs­schutz gar nicht. Er ist keine Hilfestell­ung, sondern ein Hindernis.“Reinhold Demel hingegen findet, dass der besondere Kündigungs­schutz durchaus seine Berechtigu­ng hat. Schließlic­h tue ein Schwerbehi­nderter sich schwerer, einen neuen Job zu finden. Zudem sei es durchaus möglich, einem Schwerbehi­nderten etwa bei Verfehlung­en zu kündigen. „Vorher muss allerdings das Integratio­nsamt zustimmen.“

Kerstin Heider hat es geschafft. Die 27-Jährige hat seit April 2016 einen Arbeitspla­tz, inzwischen sogar unbefriste­t. Bei der Firma Robert Hecht Systemtech­nik im Meikommen. tinger Ortsteil Waltershof­en arbeitet sie im Büro 15 Stunden die Woche mit. „Das ist super. Ich wurde von Anfang an akzeptiert. Meine Chefs haben mir einen großen Bildschirm hingestell­t. Sie unterstütz­en mich, wo es geht“, freut sich die 27-Jährige, die nach eigenen Worten auf der Jobsuche schon wie ein Fußabstrei­fer behandelt und an einem Arbeitspla­tz aufgrund ihrer Behinderun­g sogar gemobbt wurde.

Für ihre jetzige Chefin Anne Hecht und deren Ehemann war es kein Akt, den Arbeitspla­tz für die behinderte junge Frau entspreche­nd umzurüsten. „Vielleicht hätten wir dafür auch einen Zuschuss bekomArbei­t men, aber wir haben keinen beantragt“, berichtet Anne Hecht. Kerstin Heider ist die erste Schwerbehi­nderte, die das Ehepaar angestellt hat. „Wir sind pragmatisc­he Menschen, die sagen, wir probieren es aus und dann sehen wir weiter.“Natürlich müsse man als Arbeitgebe­r auch bereit sein, auf den Menschen einzugehen.

Sowohl die Hechts als auch Kerstin Heider sind zufrieden. Reinhold Demel von der Agentur der Arbeit hat auch die Erfahrung gemacht, dass viele Behinderte im Job einen speziellen Ehrgeiz entwickeln. „Sie wollen sich besonders beweisen.“

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Fotos: Peter Heider, Anne Wall Kerstin Heider hat es geschafft. Sie hat einen Arbeitspla­tz bekommen. Wolfgang Hanisch hingegen tut sich mit der Jobsuche schwer.
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