Augsburger Allgemeine (Land West)
Steck die Sorgen an den Hut...
Varietétheater Zwei Travestiekünstlerinnen in Stadtbergen lassen die Besucher für mehrere Stunden den Alltag vergessen
Die Stimmung der Gäste war von Spannung geprägt, der Saal in ein verruchtes Schummerlicht getaucht, goldene Kerzenleuchter versprühten das glamouröse Ambiente eines großen Varietétheaters. Das Stadtberger Restaurant am Hopfengarten hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen und im Bürgersaal ein fünfstündiges Galadinner mit kulinarischen Köstlichkeiten sowie eine schillernde Travestieshow präsentiert, die durch ihre Präsentation weit jenseits der gängigen Veranstaltungen dieser Art gelegen war.
Madame Divot und Miss Daisy nennen sich die beiden Bühnenkünstlerinnen, die sogleich nach dem Sektempfang mit schwarzen Spitzenfächern und eleganten Glitzerkostümen für atmosphärische Stimmung unter den Gästen sorgten: Nach einem Auftaktschlager von Peter Alexander entführten die beiden vermeintlichen Damen mit Biss sogleich in das verruchte Gruselgemäuer aus „Tanz der Vampire“, um kurz darauf mit deutschen Chansons aus der goldenen Federboazeit wieder unverfälschte Cabaret-Kunst zu versprühen.
In zahlreichen Auftritten öffneten sie nach und nach die Tore zu einer funkelnden Welt, die irgendwo zwischen neckischen Frivolitäten, klassischen Musikarrangements und leicht pikanter Hinterzimmerromantik ihren Platz gefunden hatte. Dass sich die Damen immer wieder in ihren gekonnt präsentierten Solobeiträgen abwechselten, hatte zudem einen sinnlich-schönen Grund, der keineswegs nur die Herren der Schöpfung in ein euphorisches Gemüt versetzte. Denn diese Galashow offenbarte sich zugleich als einzigartige Modenschau mit farbenprächtigen Gewändern, wie man sie üblicherweise nur in großen Fernsehformaten zu sehen bekommt: futuristische Lady-Gaga-Kostüme, funkelnde Glitzerroben, ästhetisch in Szene gesetzte Negligés.
Doch auch der Humor kam nicht zu kurz: Die klassischen Travestienummern wurden angereichert durch überzogene Persiflagen und schlüpfrige Interaktionen mit dem Publikum – zum Brüllen komisch etwa die Darbietungen, als Miss Daisy in guter alter Helga-Feddersen-Manier mit Kittelschürze und Nudelholz durch die Reihen stapfte oder sich die beiden Damen als Rentnerinnen profilierten, welche im Publikum nach neuen Herausforderungen für ihr leidiges Liebes- leben suchten. Doch bei all den visuellen Sinnlichkeiten kam vor allem eines wunderschön zur Geltung: die hochkarätigen Stimmen von Madame Divot und Miss Daisy, die oft genug vergessen ließen, dass sich hinter dem glitzernden Duo im Grunde genommen zwei Männer mit einzigartigen Talenten verbergen. Ob „Que Sera, Sera“von Doris Day, poppige Trancerhythmen der Sängerin Loreen oder der schwedische Discohit „Money, Money, Money“von Abba – die beiden Interpreten beherrschten schlichtweg ihre Songs und erweckten diese durch Gestikulier- und Schauspielkunst zu ganz neuem Leben.
Ein Highlight war die Verköstigung des Publikums vom Hopfengarten. Eine sehr schöne Idee war auch das Motto „Einfach mal abschalten“, unter welches die Travestiekünstlerinnen den Abend inoffiziell gestellt hatten: Was sie mit ihrem ersten Gesangsbeitrag „Steck die Sorgen an den Hut“begonnen hatten, beendeten die Damen mehr als fünf Stunden später mit dem Mutmachsong „Wir leben“von Sängerin Wencke Myhre. Fazit: ein ungewöhnlich atmosphärischer Bürgersaal – kulinarisch wie auch künstlerisch ein Genuss für alle Sinne.