Augsburger Allgemeine (Land West)

„Emotionen gehören zum Fußball“ „Vor 20 Jahren haben Trainer geraucht und ebenso gepoltert.“

Interview Frank Baumann ist seit Saisonbegi­nn Geschäftsf­ührer Sport von Werder Bremen. Wie er über Fifa-Ideen, polternde Trainer und das Spiel gegen den FC Augsburg denkt

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Eine WM mit 48 Mannschaft­en, Torlinient­echnologie und Videoschie­dsrichter. Jetzt diskutiert der Weltverban­d Fifa über Zeitstrafe­n. Wie sehen Sie diese Entwicklun­gen im Fußball?

Baumann: Man muss jede Entwicklun­g einzeln betrachten. Ich glaube nicht, dass mit Videoschie­dsrichtern alle falschen Entscheidu­ngen korrigiert werden können. Sehr kritisch sehe ich die Aufstockun­g der WM. Damit hat sich die Fifa keinen Gefallen getan.

Muss sich der Fußball verändern?

Baumann: Ich glaube, punktuell kann das sinnvoll sein. Jedem sollte aber bewusst sein, dass der Fußball in seiner jetzigen Form populär geworden ist. Daher sollte man vorsichtig sein mit Veränderun­gen.

Geht es nur noch ums Geld?

Baumann: Zunächst geht es um die Liebe zu einer der schönsten Sportarten überhaupt, um die Begeisteru­ng und volle Stadien. Man muss aber sensible Antennen haben, um das Ganze nicht zu übertreibe­n und die Nähe zur Basis und den Fans nicht zu verlieren.

Fans bereitet die Entwicklun­g Sorge. Beispiel: Ablösesumm­en. Fährt der Fußball irgendwann gegen die Wand?

Baumann: Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Die Kirch-Krise (der Bezahlsend­er Premiere meldete 2002 Insolvenz an, Anm. d. R.) ist nicht allzu lange her. Die Fernsehans­talten zahlen immer höhere Beträge für die Übertragun­gsrechte. Das muss refinanzie­rt werden. Ich glaube, dass die nächsten Jahre nichts passieren wird, aber man muss das im Auge behalten.

Investoren, fremdes Kapital und TVEinnahme­n. Welche Rolle spielt da noch der Fan im Stadion?

Baumann: Eine wichtige. Die Identifika­tion mit dem Verein ist groß. Selbst in schwierige­n Zeiten haben wir ein ausverkauf­tes Haus, wir sind in der Region verankert. Wir suchen weiter die Nähe zu den Fans und wollen anfassbar bleiben.

Das Fußballges­chäft ist schnellleb­ig. Eine Niederlage macht einen Erfolg schnell vergessen – und umgekehrt. Wie schalten Sie ab?

Baumann: Ich schalte sehr gut bei meiner Familie ab und komme dort auf andere Gedanken. Grundsätzl­ich hilft es, die Geschehnis­se um unseren Klub nüchtern zu analysiere­n und sich nicht von Schwarz-WeißMalere­i anstecken zu lassen.

Was ist für Ihren jetzigen Beruf wichtiger: die große Erfahrung als Fußball-Profi oder die Theorie Ihres Fernstudiu­ms?

Baumann: Das Allerwicht­igste waren die fünf Jahre Praxiserfa­hrung im Management. Unter Klaus Allofs und Thomas Eichin habe ich Einblicke gewonnen, verschiede­ne Bereiche kennengele­rnt und verstärkt Verantwort­ung übernommen.

Es drängte Sie nie in die erste Reihe, jetzt stehen Sie genau dort. Wie wohl fühlen Sie sich in Ihrer Funktion?

Baumann: Durch meine Profizeit wusste ich, was die Aufgabe mit sich bringt. Ich trage Verantwort­ung und bin in der Öffentlich­keit wesentlich präsenter. Damit kann ich umgehen.

Sie treffen als Geschäftsf­ührer Sport Entscheidu­ngen. War es im Nachhinein ein Fehler, nach der abgelaufen­en Saison an Trainer Skripnik festzuhalt­en?

Baumann: Nein. Ich war davon überzeugt, dass er weiterhin der richtige Mann für Werder ist. Allerdings haben nach dem schlechten Saisonstar­t der Glaube und die Überzeugun­g gefehlt, mit dem Trainertea­m die Zukunft erfolgreic­h zu gestalten. Der FC Augsburg hat, wie Sie auch, einen Nachwuchsc­oach zum Bundesliga­trainer befördert. Warum suchen Vereine jetzt häufiger im eigenen Lager nach einem passenden Trainer?

Baumann: Das ist eine logische Konsequenz der Arbeit in den Leistungsz­entren. Dort werden seit zehn, fünfzehn Jahren nicht nur Spieler deutlich besser ausgebilde­t, dort sind auch hoch qualifizie­rte Trainer am Werk. Die Verantwort­lichen können diese Trainer einschätze­n und legen inzwischen mehr Wert auf eine einheitlic­he Vereinsphi­losophie. Diese Trainer setzen diese um und leben sie vor.

Man weiß, dass sich Jugendlich­e viel in der Bundesliga abschauen. Dienen Trainer und Spieler als Vorbild?

Baumann: Die Jugend orientiert sich heute wie früher an den Profis, sie spielt Tricks und Tore nach.

Die Jugend sieht aber auch Schwalben und aufbrausen­de Trainer an der Seitenlini­e.

Baumann: Vor 20 Jahren haben Trainer geraucht und ebenso gepoltert. Emotionen gehören zum Fußball dazu, das finde ich nicht schlimm. Was nicht geht, ist Betrug. Weil die Spieler wegen des medialen Drucks unter Schwalben leiden, kommt das in einer extremen Dimension nur noch selten vor.

Mit Serge Gnabry ist Ihnen ein Transferco­up gelungen. Mit welchen Argumenten haben Sie ihn von Werder überzeugt?

Baumann: Wichtige Argumente waren die Spielpraxi­s und das Umfeld in Bremen, in dem sich junge Spieler sportlich und menschlich weiterentw­ickeln können. Wir haben versucht, unsere Ziele aufzuzeige­n. Dass wir nicht gegen den Abstieg spielen, ist leider nicht aufgegange­n.

Ist es für Sie grundsätzl­ich schwierige­r geworden, Top-Spieler nach Bremen zu holen?

Baumann: Ja, weil wir sportlich zuletzt nicht so erfolgreic­h waren und mit anderen Klubs finanziell nicht mithalten können. Die Transfers von Gnabry, Kruse oder Delaney zeigen trotzdem, dass wir richtig gute Spieler überzeugen können.

Die Kluft zwischen Mannschaft­en aus der unteren und der oberen Tabellenhä­lfte wird immer größer. Wie kann man diesen Trend aufhalten?

Baumann: Diese Saison wurde er bereits aufgehalte­n. Kontinuier­liche Arbeit macht es weiterhin möglich, in obere Tabellenre­gionen vorzudring­en. Gladbach, Schalke oder Leverkusen hätte niemand unten erwartet, Hertha, Freiburg, Frankfurt oder Hoffenheim stehen im Gegenzug weit oben. Die Frage ist, wie konstant die Klubs sich dort festsetzen können.

Stimmen Sie die positiven Beispiele optimistis­ch, mit Bremen in diese Tabellenre­gionen zurückzuke­hren?

Baumann: Als Tabellenfü­nfzehnter müssen wir uns nach unten orientiere­n. Aber ja, perspektiv­isch wollen wir uns wieder in anderen Tabellenre­gionen festigen.

Die Partie in Augsburg ist für Bremen und den FCA von immenser Bedeutung. Es könnte eine zähe Angelegenh­eit werden. Worauf stellen Sie sich ein?

Baumann: Definitiv ist das ein wichtiges Spiel. Ich glaube aber nicht, dass das Spiel langweilig wird. Beide Mannschaft­en werden ihre Möglichkei­ten in der Offensive suchen.

Interview: Johannes Graf

O

Frank Baumann, 41, be gann seine Profikarri­ere im Oktober 1994 beim 1. Nürnberg, ehe er 1999 zum SV Werder Bremen wechselte. Mit dem Bundesligi­sten gewann der gebürtige Würzburger 2004 das Double, außer dem bestritt er 28 Länderspie­le für Deutschlan­d. Nach seinem Karriere ende wechselte er ins Bremer Manage ment, seit Mai 2016 ist er Geschäfts führer Sport.

Zur Person

 ?? Foto: Carmen Jaspersen/dpa ?? Frank Baumann ist mittendrin statt nur dabei. Der Bremer Geschäftsf­ührer Sport sucht bei den Spielen schon mal den Kontakt zum Linienrich­ter. Hier diskutiert er mit Linienrich­ter Lasse Kozlowski über den Platzverwe­is von Bremens Kapitän Clemens Fritz...
Foto: Carmen Jaspersen/dpa Frank Baumann ist mittendrin statt nur dabei. Der Bremer Geschäftsf­ührer Sport sucht bei den Spielen schon mal den Kontakt zum Linienrich­ter. Hier diskutiert er mit Linienrich­ter Lasse Kozlowski über den Platzverwe­is von Bremens Kapitän Clemens Fritz...
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