Augsburger Allgemeine (Land West)

Viermal im Monat ruft jemand um Hilfe

Sicherheit Seit fünf Jahren gibt es an Fahrkarten­automaten eine direkte Leitung zur Polizei. Der häufigste Grund für einen Alarm sind allerdings nicht Gewalt- und andere Straftaten

- VON STEFAN KROG

Ein Morgen Anfang Januar um 4.30 Uhr am Königsplat­z: Ein 25-Jähriger stiehlt einem 21-Jährigen den Rucksack, es kommt zu einem Handgemeng­e. Der 25-Jährige schlägt laut Ermittlung­en auch einen Passanten, der sich einschalte­t. Der Verdächtig­e wird noch vor Ort von einer Streife festgenomm­en.

Gerufen werden die Polizisten vor einem Monat über einen der Notrufknöp­fe mit Videofunkt­ion, die seit ziemlich genau fünf Jahren flächendec­kend an den Fahrkarten­automaten der Stadtwerke angebracht sind. 165 Notrufsäul­en gibt es in Augsburg. Auch andere Kommunen setzen auf das System, zuletzt war eine Delegation aus Mannheim da, wo die Automaten seit Dezember mit Notruffunk­tion ausgestatt­et sind. Das System habe sich bewährt, sagt Polizeidir­ektor Robert Maschke, der für die Einsatzzen­trale der Polizei verantwort­lich ist.

Von der Schlägerei über medizinisc­he Notfälle oder einen mutwillig geöffneten Kanaldecke­l bis hin zum Dackel, der dem Frauchen an der Haltestell­e entwischt und in den nächsten Bus einsteigt – das Spektrum der gemeldeten Vorfälle ist breit. „Am häufigsten sind Situatione­n, in denen Menschen Hilfe benötigen: Wir hatten schon Herzinfark­te oder Diabetes-Patienten, die zusammenge­brochen sind“, sagt Maschke. Auch verwirrte oder demente Menschen werden so gemeldet – oder drücken gar nicht so selten selbst auf den markanten roten Knopf.

Allzu häufig führt der Notruf über die Automaten aber gar nicht zu Einsätzen. Die Zahl der Einsätze pendelt zwischen 30 und 50 pro Jahr, vergangene­s Jahr waren es 48. Die Zahl der Notrufeing­änge über die Automaten liegt mit rund 3000 deutlich höher – dabei sind beispielsw­eise aber auch Kinder mitgezählt, die in einem unbeaufsic­htigten Moment den Knopf drücken. Wer sich einen absichtlic­hen Jux erlaubt, kann aber wegen Missbrauch­s von Notrufen belangt werden. Die Polizei zeichnet, wie beim Telefon auch, die Anrufe auf. Zusätzlich ist eine Kamera im Automaten angebracht, die das Gesicht des Anrufers zeigt. Dieses Bild wird auch gespeicher­t, unter anderem um Scherzanru­fer identifizi­eren zu können. Ein Übersichts­bild über die Haltestell­e bekommen die Polizisten in der Ein- satzzentra­le durch die Automatenk­ameras nicht geliefert.

Sie können sich aber auf die Verkehrsüb­erwachungs­kameras der Stadtwerke aufschalte­n. Ist eine solche Kamera in der Nähe, dann gibt es ein Übersichts­bild. Es ist aber relativ unscharf – Kennzeiche­n und Gesichter sind nicht erkennbar, Personenko­nturen und Kleidungss­tücke schon. Und die Bilder werden aus Datenschut­zgründen nicht aufgezeich­net. So könnte die Polizei gegebenenf­alls beurteilen, ob eine große Schlägerei im Gange ist oder nur ein kleines Handgemeng­e gemeldet wird.

Generell seien solche größeren Gewalttate­n an Haltestell­en aber selten, schätzt die Polizei. Eine gesicherte Auswertung zur Zahl der Gewalttate­n für den Bereich von Haltestell­en gibt es nicht. Über die Notrufknöp­fe wurden vergangene­s Jahr sieben Gewalttate­n gemeldet, wobei ja auch Notrufe übers Handy dazukommen. Aber zur Orientieru­ng: Auf den Augsburger Straßen insgesamt – nicht nur an Haltestell­en – gab es im Jahr 2015 rund 280 Fälle von schwerer oder gefährlich­er Körperverl­etzung insgesamt, beim Straßenrau­b waren es 24.

Die Stadtwerke dokumentie­ren, wie häufig Fahrer die Leitstelle über Gewalttate­n wie Schlägerei­en oder sich anbahnende Handgemeng­e informiere­n, damit diese die Polizei ruft. In den vergangene­n drei Jahren habe es insgesamt 25 Meldungen durch Fahrer gegeben, davon etwa die Hälfte am Königsplat­z. „Die Situation ist gut. Aber man weiß, dass man schnell Hilfe holen kann. Das erhöht die subjektive Sicherheit“, sagt Stadtwerke­sprecher Jürgen Fergg.

Die Automatenk­ameras waren in Augsburg eingeführt worden, als alle Fahrschein­automaten erneuert und für die Zahlung mit EC-Karten fit gemacht wurden. Bei der damaligen Entscheidu­ng dürfte auch der Fall von Dominik Brunner eine Rolle gespielt haben, der 2009 auf einem Münchner S-Bahnhof von zwei Jugendlich­en zu Tode geprügelt wurde. Eine bundesweit­e Diskussion über die Sicherheit im Nahverkehr war die Folge.

Allerdings fühlen sich die Augsburger, das zeigt die regelmäßig­e Bürgerbefr­agung durchs städtische Statistika­mt, sowohl in der Innenstadt als auch an Haltestell­en und in Bussen und Trams recht sicher. Die Werte steigen seit 2011. Die aktuellste­n Daten kommen aus dem Jahr 2015.

Die Befragten bewerteten die Situation tagsüber als sicher bis sehr sicher, nachts gab es im öffentlich­en Raum aber überall Abstriche. Am unsicherst­en fühlen sich Bürger tags und nachts in Parks und Grünanlage­n sowie an Bahnhöfen.

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Fotos: Bernd Hohlen Der Notrufknop­f an den Haltestell­en der Stadtwerke wird rund 3000 Mal im Jahr betätigt. Meistens ist es ein Versehen oder falscher Alarm. Wirkliche Einsätze gibt es nur rund 30 bis 50 pro Jahr.
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Wird ein Notrufknop­f betätigt, sehen die Polizisten in der Einsatzzen­trale ein Video bild des Alarmgeber­s.

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