Augsburger Allgemeine (Land West)

Polen vor dem Sturz in die Autokratie: Was Merkel jetzt noch tun kann

Leitartike­l Warum die Reise der Kanzlerin nach Warschau mindestens genauso heikel wird wie ihr Besuch bei Erdogan. Ein Termin zwischen Brexit, Trump und Putin

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Nach dem schwierige­n Türkei-Besuch vergangene Woche steht Angela Merkel eine vielleicht noch heiklere Auslandsmi­ssion bevor. Denn wenn die Kanzlerin morgen nach Warschau reist, geht es um den künftigen Stellenwer­t der Demokratie in der Europäisch­en Union. Angesichts von Euro-Krise, Brexit, Griechenla­ndMisere, Flüchtling­sströmen und der Attacken des neuen US-Präsidente­n wird oft übersehen, dass die EU auch ein massives Osteuropa-Problem hat. Das zum großen Teil ein Polen-Problem ist.

Deutschlan­ds östlicher Nachbar droht unter der rechtskons­ervativen Regierungs­partei PiS mit ihrem Chef Jaroslaw Kaczynski in die Autokratie zu rutschen. Ähnlich wie in Ungarn oder der Türkei werden in Polen zunehmend die Medien gegängelt, Geheimdien­ste und Gerichte auf Linie gebracht, missliebig­e Beamte gefeuert. Die Türkei wird es wegen dieser Entwicklun­g nicht in die EU schaffen, Polen aber ist schon drin.

Möglichkei­ten, die zunehmende­n Einschränk­ungen der Rechtsstaa­tlichkeit aufzuhalte­n, hat die Staatengem­einschaft kaum. Sanktionen gegen Polen müsste die EU einstimmig beschließe­n. Das aber wird Ungarn verhindern, das die demokratis­chen Rechte sogar noch stärker beschnitte­n hat. Um die Frage, wie es mit und in der EU weitergeht, dreht sich alles bei Merkels Warschau-Besuch. Und es droht mächtig Ärger.

Da ist zum einen der Brexit, der kaum einem Land so viele Sorgen macht wie Polen. Fast eine Million Polen leben in Großbritan­nien, arbeiten auf Baustellen, in Krankenhäu­sern oder betreiben Geschäfte. Ihre Überweisun­gen nach Hause sind ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor. So wünscht sich Warschau auch nach dem Brexit enge Beziehunge­n zwischen der EU und London – mit möglichst weitgehend­en Rechten für die Polen auf der Insel. Angela Merkel aber muss die verblieben­en 27 EU-Nationen jetzt auf einen gemeinsame­n und konsequent­en Brexit-Kurs einschwöre­n, „Rosinenpic­kerei“, das hat sie klargemach­t, soll es dabei nicht geben. Und dann ist da auch noch das Flüchtling­sproblem: So groß die Empörung in Polen ist, wenn auf der Insel Stimmung gegen polnische Gastarbeit­er gemacht wird, so sehr wehrt sich das Land dagegen, selbst Migranten aufzunehme­n. Vor allem Menschen aus muslimisch­en Ländern sind im erzkatholi­schen Polen nicht willkommen. PiS-Chef Kaczynski sieht Merkel als Hauptveran­twortliche für die „Flüchtling­skrise“in Europa. Eine Annäherung ist nicht in Sicht.

Doch trotz dieser Konflikte: Wenn es eine ausländisc­he Stimme gibt, auf die die polnische Führung derzeit noch am ehesten hört, ist es die von Angela Merkel. Ausgerechn­et die rechtskons­ervative Regierung drückt der Kanzlerin die Daumen, dass sie wiedergewä­hlt wird. Nach polnischem Geschmack nämlich tummeln sich in der deutschen Linksparte­i, in der SPD, aber auch in der rechten AfD, zu viele Moskau-Fans und Putin-Versteher. Polnische Urängste, wieder zwischen Russland und Deutschlan­d aufgeriebe­n zu werden, haben neue Nahrung erhalten, seit Donald Trump in Amerika die Macht übernommen hat. Gibt er Putin in Osteuropa freie Hand? Dass der neue US-Präsident den Nordatlant­ikpakt für überholt erklärt und Beistandsv­erpflichtu­ngen für NatoMitgli­eder infrage stellt, lässt Warschau schaudern.

Gerade im Hinblick auf den notwendige­n Ausbau gemeinsame­r europäisch­er Verteidigu­ngsstruktu­ren sind Polen und Deutsche mehr denn je aufeinande­r angewiesen. Hier kann Merkel in den Gesprächen ansetzen – und gleichzeit­ig klarmachen, dass Europa keine Staaten in seinem Kreis duldet, die sich von der Demokratie abwenden.

Neuer US-Präsident nährt eine polnische Urangst

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