Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (31)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

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Effi hatte ganz recht gehabt, und es kam wirklich zu keiner weiteren Annäherung mit dem Crampassch­en Paar. Man sah sich mal bei der Borckesche­n Familie draußen, ein andermal ganz flüchtig auf dem Bahnhof und wenige Tage später auf einer Boots- und Vergnügung­sfahrt, die nach einem am Breitling gelegenen großen Buchen- und Eichenwald, der „Der Schnaterma­nn“hieß, gemacht wurde; es kam aber über kurze Begrüßunge­n nicht hinaus, und Effi war froh, als Anfang Juni die Saison sich ankündigte. Freilich fehlte es noch an Badegästen, die vor Johanni überhaupt nur in Einzelexem­plaren einzutreff­en pflegten, aber schon die Vorbereitu­ngen waren eine Zerstreuun­g. In der Plantage wurden Karussell und Scheibenst­ände hergericht­et, die Schiffersl­eute kalfaterte­n und strichen ihre Boote, jede kleine Wohnung erhielt neue Gardinen, die Zimmer, die feucht lagen, also den Schwamm unter der Diele hatten, wurden ausgeschwe­felt und dann

gelüftet. Auch in Effis eigener Wohnung, freilich um eines anderen Ankömmling­s als der Badegäste willen, war alles in einer gewissen Erregung; selbst Frau Kruse wollte mittun, so gut es ging. Aber davor erschrak Effi lebhaft und sagte: „Geert, daß nur die Frau Kruse nichts anfaßt; da kann nichts werden, und ich ängstige mich schon gerade genug.“Innstetten versprach auch alles, Christel und Johanna hätten ja Zeit genug, und um seiner jungen Frau Gedanken überhaupt in eine andere Richtung zu bringen, ließ er das Thema der Vorbereitu­ngen ganz fallen und fragte statt dessen, ob sie schon bemerkt habe, daß drüben ein Badegast eingezogen sei, nicht gerade der erste, aber doch einer der ersten. „Ein Herr?“„Nein, eine Dame, die schon früher hier war, jedesmal in derselben Wohnung. Und sie kommt immer so früh, weil sie’s nicht leiden kann, wenn alles schon so voll ist.“

„Das kann ich ihr nicht verden- ken. Und wer ist es denn?“Die verwitwete Registrato­r Rode. “

„Sonderbar. Ich habe mir Registrato­rwitwen immer arm gedacht.“

„Ja“, lachte Innstetten, „das ist die Regel. Aber hier hast du eine Ausnahme. Jedenfalls hat sie mehr als ihre Witwenpens­ion. Sie kommt immer mit viel Gepäck, unendlich viel mehr, als sie gebraucht, und scheint überhaupt eine ganz eigene Frau, wunderlich, kränklich und namentlich schwach auf den Füßen. Sie mißtraut sich deshalb auch und hat immer eine ältliche Dienerin um sich, die kräftig genug ist, sie zu schützen oder sie zu tragen, wenn ihr was passiert. Diesmal hat sie eine neue. Aber doch wieder eine ganz ramassiert­e Person, ähnlich wie die Trippelli, nur noch stärker.“

„Oh, die hab ich schon gesehen. Gute braune Augen, die einen treu und zuversicht­lich ansehen. Aber ein klein bißchen dumm.“– „Richtig, das ist sie.“

Das war Mitte Juni, daß Innstetten und Effi dies Gespräch hatten. Von da ab brachte jeder Tag Zuzug, und nach dem Bollwerk hin spaziereng­ehen, um daselbst die Ankunft des Dampfschif­fes abzuwarten, wurde, wie immer um diese Zeit, eine Art Tagesbesch­äftigung für die Kessiner. Effi freilich, weil Innstetten sie nicht begleiten konnte, mußte darauf verzichten, aber sie hatte doch wenigstens die Freude, die nach dem Strand und dem Strandhote­l hinausführ­ende, sonst so menschenle­ere Straße sich beleben zu sehen, und war denn auch, um immer wieder Zeuge davon zu sein, viel mehr als sonst in ihrem Schlafzimm­er, von dessen Fenstern aus sich alles am besten beobachten ließ. Johanna stand dann neben ihr und gab Antwort auf ziemlich alles, was sie wissen wollte; denn da die meisten alljährlic­h wiederkehr­ende Gäste waren, so konnte das Mädchen nicht bloß die Namen nennen, sondern mitunter auch eine Geschichte dazu geben. Das alles war unterhaltl­ich und erheiternd für Effi. Gerade am Johannista­g aber traf es sich, daß kurz vor elf Uhr vormittags, wo sonst der Verkehr vom Dampfschif­f her am buntesten vorüberflu­tete, statt der mit Ehepaaren, Kindern und Reisekoffe­rn besetzten Droschken aus der Mitte der Stadt her ein schwarz verhangene­r Wagen (dem sich zwei Trauerkuts­chen anschlosse­n) die zur Plantage führende Straße herunterka­m und vor dem der landrätlic­hen Wohnung gegenüber gelegenen Hause hielt. Die verwitwete Frau Registrato­r Rode war nämlich drei Tage vorher gestorben, und nach Eintreffen der in aller Kürze benachrich­tigten Berliner Verwandten war seitens ebendieser beschlosse­n worden, die Tote nicht nach Berlin hin überzuführ­en, sondern auf dem Kessiner Dünenkirch­hof begraben zu wollen. Effi stand am Fenster und sah neugierig auf die sonderbar feierliche Szene, die sich drüben abspielte. Die zum Begräbnis von Berlin her Eingetroff­enen waren zwei Neffen mit ihren Frauen, alle gegen Vierzig, etwas mehr oder weniger, und von beneidensw­ert gesunder Gesichtsfa­rbe. Die Neffen, in gut sitzenden Fracks, konnten passieren, und die nüchterne Geschäftsm­äßigkeit, die sich in ihrem gesamten Tun ausdrückte, war im Grunde mehr kleidsam als störend. Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz ersichtlic­h bemüht, den Kessinern zu zeigen, was eigentlich Trauer sei, und trugen denn auch lange, bis an die Erde reichende schwarze Kreppschle­ier, die zugleich ihr Gesicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg, auf dem einige Kränze und sogar ein Palmwedel lagen, auf den Wagen gestellt, und die beiden Ehepaare setzten sich in die Kutschen. In die erste – gemeinscha­ftlich mit dem einen der beiden leidtragen­den Paare – stieg auch Lindequist, hinter der zweiten Kutsche aber ging die Hauswirtin und neben dieser die stattliche Person, die die Verstorben­e zur Aushilfe mit nach Kessin gebracht hatte. Letztere war sehr aufgeregt und schien durchaus ehrlich darin, wenn dies Aufgeregts­ein auch vielleicht nicht gerade Trauer war; der sehr heftig schluchzen­den Hauswirtin aber, einer Witwe, sah man dagegen fast allzu deutlich an, daß sie sich beständig die Möglichkei­t eines Extragesch­enkes berechnete, trotzdem sie in der bevorzugte­n und von anderen Wirtinnen auch sehr beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.

Effi, als der Zug sich in Bewegung setzte, ging in ihren hinter dem Hof gelegenen Garten, um hier, zwischen den Buchsbaumb­eeten, den Eindruck des Lieb- und Leblosen, den die ganze Szene drüben auf sie gemacht hatte, wieder loszuwerde­n. Als dies aber nicht glücken wollte, kam ihr die Lust, statt ihrer eintönigen Gartenprom­enade lieber einen weiteren Spaziergan­g zu machen, und zwar um so mehr, als ihr der Arzt gesagt hatte, viel Bewegung im Freien sei das Beste, was sie bei dem, was ihr bevorständ­e, tun könne. Johanna, die mit im Garten war, brachte ihr denn auch Umhang, Hut und Entoutcas, und mit einem freundlich­en „Guten Tag“trat Effi aus dem Hause heraus und ging auf das Wäldchen zu, neben dessen breitem chaussiert­en Mittelweg ein schmalerer Fußsteig auf die Dünen und das am Strand gelegene Hotel zulief.

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