Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Brief an Zakirullah
Fast ein Jahr lang haben wir den 23-jährigen Flüchtling aus Afghanistan begleitet. Die Autorin resümiert, was geblieben ist
Lieber Zakirullah, ich erinnere mich noch gut an unsere erste Begegnung vor knapp einem Jahr: Verschüchtert saßt du auf einem Stuhl in der Küche deiner Gemeinschaftsunterkunft in Stadtbergen. Den Reißverschluss deiner Regenjacke hattest du bis obenhin geschlossen, so als könnte dich der wasserdichte Stoff vor der Welt um dich herum beschützen. Zu diesem Zeitpunkt warst du erst seit Kurzem in Deutschland, die anstrengende und gefährliche Flucht aus deinem Heimatland Afghanistan steckte dir wahrscheinlich noch in den Knochen. Ebenso die Drohungen der Taliban, die dich überhaupt erst dazu bewegt haben, dein altes Leben und deine Familie zurückzulassen und nach Deutschland zu kommen: Weil du für eine deutsche Entwicklungsorganisation gearbeitet hast, drohte die Miliz, dich umzubringen.
Hier angekommen, nach Monaten auf der Flucht, trafst du auf eine völlig andere Kultur: Die Menschen gehörten einer anderen Religion an, aßen andere Speisen, sahen anders aus und sprachen eine Sprache, von der du damals nur wenig verstanden hast. Und dann war da plötzlich ich, diese Journalistin, die dir so viele Fragen gestellt hat. Und die dir erklärt hat, dass sie dich in den folgenden Monaten begleiten wird, um zu verstehen, was es heißt, Asylbewerber in Deutschland zu sein.
Bei unserer ersten Begegnung war ein Dolmetscher dabei, der meine Fragen und deine Antworten übersetzte. Direkt mit mir gesprochen hast du damals nicht, und beim Reden fixierten deine Augen die Tischplatte.
Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen und wenn ich dich heute sehe, habe ich das Gefühl, dass ein anderer Mensch vor mir steht. Ohne zu zögern sprichst du inzwischen mit mir auf Deutsch, ganz ohne Dolmetscher. Manchmal, wenn du ein Wort nicht weißt, erklärst du mir Dinge mit Händen und Füßen. Du machst Scherze, planst deine Zukunft in Deutschland und erzählst mir selbstbewusst von deinen Aktivitäten, egal ob Hobby, Sprachkurs oder Praktikum.
Ich habe dich im vergangenen Jahr als einen fleißigen, intelligenten jungen Mann kennengelernt. Durch dich habe ich gelernt, was es heißt, Asyl zu beantragen. Jetzt erst verstehe ich, vor welche Schwierigkeiten die deutsche Bürokratie ihre neuen Bürger stellt. Seit ich dich in deinem Sprachkurs besucht habe, weiß ich, wie schwierig die deutsche Grammatik für Menschen ist, die nicht hier aufgewachsen sind. Nach den Anschlägen in Würzburg und in Ansbach im vergangenen Sommer hast du mir erzählt, wie betroffen diese Taten dich und die anderen Bewohner deiner Unterkunft machen, dass ihr sie genauso verurteilt, wie alle anderen Menschen es tun. Und dass ihr Angst habt, nun mit diesen Terroristen in eine Schublade gesteckt zu werden.
Ich habe dich in der Sporthalle getroffen, wo du die ostasiatische Kampfkunst Tang Soo Do trainierst – und dafür neben all den deutschen neuen Wörtern auch noch koreanische Vokabeln lernst. Du hast mir Einblicke in deine Kultur gewährt, mir beigebracht, ein traditionelles afghanisches Gericht zu kochen und meinen Namen auf Arabisch zu schreiben. Doch auch wenn unsere Treffen jedes Mal unter einem anderen Motto standen, war ein Theislamistische ma doch immer präsent: deine mögliche Abschiebung.
Jetzt, fast ein Jahr nach unserer ersten Begegnung, hast du dich so sehr verändert. Du sprichst nun unsere Sprache, hast unsere Kultur kennengelernt und dir ein Leben hier aufgebaut. Nur an deinem Status hat sich nichts geändert. Noch immer wartest du auf das Ergebnis deines Asylverfahrens. Du erzählst mir von deiner Angst, abgeschoben zu werden. Dass du so sehr hoffst, hierbleiben zu dürfen. Und wie jedes Mal, wenn ich dich in den vergangenen Monaten gefragt habe, ob du etwas Neues weißt, habe ich auch heute wieder dieselbe Antwort bekommen: „Nein. Ich warte noch.“