Augsburger Allgemeine (Land West)
Lieber Baggersee als Freibad?
Ersatzbefriedigung ist kein schönes Wort. Aber zumindest beschreibt es ganz gut, wofür es steht: die zweite Wahl. Die B-Alternative. Das Wenigstens-Etwas. Nichts anderes ist das Baden im gechlorten Freibadwasser, zwischen Arschbombeneinschlagtrichtern und Wasserrutschenausgangsspritzern. Die unkordinierte Ausführung schwimmähnlicher Ausweichbewegungen auf von der Masse vorgegebenen Wassereinbahnstraßen. Es gibt Menschen, denen das gefällt. Es gibt auch Menschen, die das Rutschen auf gefrorenem Wasser in Hallen für Skifahren halten. Jeder, wie er mag. Mit Schwimmen im ursprünglichen Sinn hat das aber nichts mehr zu tun.
Das Schwimmen in einem See ist eine der letzten Möglichkeiten für den zivilisatorisch deformierten Menschen, Natur hautnah zu erleben. Eintauchen in glasklares Wasser, fühlen, wie es sich wie eine kalte Decke um den ganzen Körper schmiegt; dann mit zwei, drei schnellen Zügen die Arbeit der Muskeln spüren, merken, wie ihre Arbeit langsam wieder die Wärme in den Körper zurück pumpt. Auftauchen und mit Spritzen und Schnaufen die Stille zerreißen, die unter Wasser herrscht. Einatmen und riechen, dass Luft und Wasser ihren eigenen Duft haben, der an jedem See und zu jeder Tageszeit etwas anders ist …
Wenn man dann am Ufer liegt, die Sonne die letzten Tropfen Wasser von der Haut saugen lässt, schaut man den Libellen zu, die knapp über dem Wasser und zwischen den Stilen der Pflanzen miteinander tanzen. Wenn man Glück hat, sieht man im Wasser ein paar kleine Fische schweben, bevor man sich hinlegt und die Augen schließt. Wenn man so darüber nachdenkt, kann man es eigentlich kaum erwarten.
Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, liebe Leserin, lieber Leser, die Antwort wäre anders ausgefallen. Damals hätte ich den Baggersee immer dem Freibad vorgezogen. Totes Chlorwasser und Kindergeschrei – wer will sich so entspannen? Aber letzten Sommer ist es dann passiert: Ich habe mich wieder verliebt. In hellblau glitzerndes Wasser ohne Algen. In den Chlorgeruch, der nach Kindheitssommer duftet. In den Geräuschpegel und das freudige Kindergeschrei. In das regelmäßige Platsch, wenn mal wieder einer ins Wasser springt. In den Kiosk, der noch immer Pommes und abzählbare Süßigkeiten verkauft. So herrlich normal und unschick – zum Glück hat ihn die ModernisierungsOptimierungs-Superfood-Hugo-Welle nicht erwischt.
Wer ins Freibad geht, freut sich über eine Mischung aus Nostalgie und Pragmatismus. Man muss keine Unmengen von Essen und Getränken mitschleppen, es gibt ja den Kiosk. Man schmunzelt, wenn wie einst ein Knirps vor einem steht und mühsam die Zahl der Zehnerle mit der seiner Finger und der Gummitiere in seiner Papiertüte vergleicht. Derweil freut man sich schon auf sein Schleck-Eis. Mit kleinen Kindern sind Freibäder ohnehin praktisch: Das Baby muss nicht ganz so stark weißgecremt werden, weil das Babybecken ein Sonnendach hat. Und auf die größeren Kinder hat auch der Bademeister ein Auge.
Aber das Allerbeste am Freibad ist der bunte Menschenmix, auf den man dort trifft und den man so sonst nicht sieht. Auch wenn man von manchen Gesprächen nur Wortfetzen aufschnappen kann, so ist es mitunter spannend, Körpersprache und Körperschmuck zu analysieren. Das kann sogar so spannend sein, dass man dabei glatt das Schwimmen vergisst.