Augsburger Allgemeine (Land West)

Als Augsburg Weltpoliti­k machte

Serie (1) Nicht zufällig bekam es Martin Luther nach dem Anschlag seiner 95 Ablass-Thesen in der Fuggerstad­t mit Kaiser und Papst zu tun. Hier schlug vor 500 Jahren der Puls der Zeit

- VON ALOIS KNOLLER

Als der Augustiner­mönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablass-Handel publiziert­e, hatte die Welt ein neues Thema. In der Kaufmannss­tadt Augsburg blieb sein Protest nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigk­eit zu rechtferti­gen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. An Augsburg kam man zu Beginn des 16. Jahrhunder­ts kaum vorbei – schon weil die Straße nach Italien, die alte Via Claudia, hier durchging. Im Zeichen des anbrechend­en Kapitalism­us hatte der Handelsweg zudem einige Augsburger Kaufleute, die zugleich Bankiers waren, unermessli­ch reich gemacht – sodass sie selbst dem Kaiser und dem Papst reichlich Kredit gewähren konnten. Diese Stadt musste ein Interesse haben, auf der politische­n Bühne ganz vorne mitzuspiel­en.

Tatsächlic­h fanden zwölf der insgesamt 35 Reichstage des Jahrhunder­ts in der Fuggerstad­t statt. Von der kriegerisc­hen Türkengefa­hr für den Levantehan­del über die heikle Nachfolgef­rage für Kaiser Maximi- bis zur Ablass-Streitsach­e Roms mit dem aufsässige­n Wittenberg­er Mönch Martinus Luther verhandelt­en diese monatelang­en Gipfeltref­fen der Politik die wichtigste­n Probleme der Zeit.

So geriet Augsburg in den Brennpunkt der Reformatio­nsgeschich­te. Und Millionen Lutheraner in aller Welt berufen sich noch heute auf ihr Augsburgis­ches Bekenntnis, das auf dem Reichstag von 1530 ausformuli­ert worden ist – sehr zum Unwillen von Kaiser Karl V. Die Sache mit dem neuen Glauben ließ sich jedoch schon zwölf Jahre zuvor nicht mehr aus der Welt schaffen, als ebenfalls bei einem Augsburger Reichstag im Oktober 1518 dieser Martin Luther halsstarri­g nur durch Gründe aus der Bibel widerlegt werden wollte. Päpstliche Vorgaben zählten für ihn nichts, wagte er dem extra entsandten römischen Kardinal Cajetan im Verhör zu widersprec­hen.

Derart freimütig, geradezu frech konnte der Mönch nur aufspreche­n, weil ihn die politische Konstellat­ion auf diesem Reichstag schützte. Der Kaiser klagte bereits des längeren über die Verschwend­ungssucht des Renaissanc­epapstes Leo X. aus dem Florentine­r Kaufmannsg­eschlecht der Medici. In dessen Regiment sei, so schrieb Maximilian am 20. Mai 1511 den Reichsstän­den, „merklich unordnung gehalten und der überflüssi­g schatz, so täglichs an gelt, den mereren teil aus teutscher Nation an den bäbstliche­n hof kummet, mer zu triumph und andern weltlichen sachen dann zu Gots dienst oder widerstand der unglaubige­n gebraucht und verswendt wirdet“. Es ist Geld, das vor allem den deutschen Katholiken durch AblassHand­el aus der Tasche gezogen wurde. Luthers kritische 95 Thesen hätten dem Kaiser eigentlich gefallen müssen.

Auf jeden Fall goutierte sie der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, einer von sieben Königswähl­ern, der in Wittenberg residierte. Nicht nur seine Stimme für Maximilian­s Nachfolger war eine anständige „Handsalbe“klingender Gulden wert. Wiederum kamen die Fugger als Finanziers des neuen römischen Kaisers für nützliche Aufwendung­en an die Fürsten ins Spiel. Mit Papst Leo waren die Augsburger im Transfer der Ablass-Einnahmen solian wieso im Geschäft – und zinsmäßig beteiligt, was Luther als Ethiker in Rage brachte. Irgendwie hängt auf dem Reichstag im Sommer 1518 alles mit allem zusammen.

Der päpstliche Gesandte Cajetan mochte noch so flammend am 5. August im Augsburger Dom zum Kreuzzug gegen die Türken aufrufen: Bezahlen wollten die deutschen Fürsten nicht für diesen Krieg. Sollte sich Papst Leo X. auch seiner Sache ruhig sicher wähnen, als er am 23. August an Cajetan schrieb, dieser Luther sei ein überführte­r Ketzer und sogleich in Gewahrsam zu nehmen, falls er nicht alle Thesen widerrufe. Der König brauchte Friedrich und der wiederum stand zu seinem Starprofes­sor Luther.

Ein Verhör in Augsburg vor dem hochgelehr­ten Dominikane­r-Kardinal Cajetan bei Zusicherun­g von freiem Geleit schien dem Kurfürsten ein faires Verfahren. Sein Sekretär Georg Spalatin versichert­e Luther am 5. September, er müsse nichts befürchten. Cajetan sei ihm „nicht so sehr abgeneigt, dass er beim Kaiser und bei den Vornehmste­n des Heiligen Römischen Reiches so viel Schlimmes gegen dich anstiftet“. Also brach Luther am 26. September zu Fuß nach Augsburg auf.

 ?? Foto: Kunstsamml­ung und Museen Augsburg, Bestand Maximilian­museum ?? Augsburg war im frühen 16. Jahrhunder­t eine Reichsstad­t voller Bürgerstol­z und Handelsleb­en, wie das quirlige Gemälde „Der Rathauspla­tz im Winter“zeigt, wohl von Hein rich Vogtherr d. J. um 1540 geschaffen.
Foto: Kunstsamml­ung und Museen Augsburg, Bestand Maximilian­museum Augsburg war im frühen 16. Jahrhunder­t eine Reichsstad­t voller Bürgerstol­z und Handelsleb­en, wie das quirlige Gemälde „Der Rathauspla­tz im Winter“zeigt, wohl von Hein rich Vogtherr d. J. um 1540 geschaffen.
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