Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Wahl per Brief ging öfter schief
Warum die Verwaltung Hunderte von Stimmen nicht zählte und wie Stadträte den Ausgang bewerten
Gersthofens großer politischer Streit wurde offenbar im trauten Heim entschieden. Beim Bürgerentscheid über die Zukunft der Strasser-Villa hat die überwältigende Mehrheit der Bürger zu Hause gewählt.
Nach Angaben der Stadtverwaltung gingen 8452 Briefe mit Stimmzetteln ein, von denen allerdings 467 nicht den Voraussetzungen genügten. Sie wurden deshalb zurückgewiesen und nicht ausgezählt. Die Möglichkeit zur herkömmlichen Urnenwahl in einem der beiden Wahllokale nützten am Sonntag nur noch 590 Menschen.
Insgesamt gab es beim Bürgerentscheid 8551 gültige Stimmen, was einer Wahlbeteiligung von 51,4 Prozent entspricht. Der Briefwahlanteil lag bei weit über 90 Prozent. Bei der Abstimmung selbst setzte sich das Lager, das der Stadt einen Verkauf und Abriss der StrasserVilla erlaubt, mit 400 Stimmen Vorsprung knapp durch. Um eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, war die Briefwahl erleichtert worden, die Bürger konnten bereits seit Anfang Januar abstimmen.
Unterm Strich waren beim Bürgerentscheid mehr als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen ungültig oder kamen gar nicht erst in die Wertung, weil sie zurückgewiesen worden sind.
Anfang Januar hatten alle stimmberechtigten Gersthofer mit der Wahlbenachrichtigung bereits die Unterlagen für die Briefwahl erhalten und konnten damit sofort abstimmen. Doch für eine gültige Stimme gab es gewisse Voraussetzungen, und die waren nicht immer erfüllt. Das zeigte sich nach Angaben der Stadtverwaltung, als am Sonntag vor der eigentlichen Auszählung die roten Umschläge geöffnet wurden.
Wenn darin der Abstimmungsschein fehlte oder nicht unterschrieben war, landete der weiße Umschlag mit dem Stimmzettel erst gar nicht in der Auszählung. Damit soll sichergestellt werden, dass jeder Bürger nur einmal abstimmt. Um Manipulationen vorzubeugen, muss darüber hinaus der weiße Umschlag mit dem Stimmzettel verschlossen sein. Zusendungen, wo das nicht der Fall war, fielen ebenso aus der Wertung.
Zudem hatte die Stadtverwaltung noch eine Fleißaufgabe zu bewältigen, die der langen Dauer der Abstimmung geschuldet war: Anhand der Abstimmungsscheine überprüften Mitarbeiter, ob der Wähler inzwischen verstorben oder weggezogen war. In diesen beiden Fällen zählten die Stimmen ebenfalls nicht. Bei der Auszählung der Stimmen selbst tauchten dann noch 24 ungültige Stimmzettel auf, die gar nicht oder mit unzulässigen Zusätzen ausgefüllt waren.
Gersthofens Bürgermeister Michael Wörle zeigte sich gestern sehr zufrieden mit dem Verlauf des ersten Gersthofer Bürgerentscheids. Das Verfahren sei transparent gewesen, und die Bürger seien ausführlich im Vorfeld informiert worden, wie die Briefwahl funktioniert. Gersthofen hatte als vierte Kommune in Bayern allen Wahlberechtigten ohne gesonderten Antrag und mit einer vierwöchigen Vorlauffrist die Briefwahl ermöglicht. In Wörles Augen war dieses Vorgehen eine der Ursachen für die hohe Wahlbeteiligung. Deshalb: „Ich würde es wieder so machen.“
Auch der Ausgang der Abstimmung war im Sinne des Rathauschefs. Nun könnten Stadtverwaltung und Stadtrat sich mit dem Unternehmer Peter Pletschacher daranmachen, die nächsten Schritte für den Bau des Wohn- und Geschäftskomplexes „Goldene Mitte“zu planen. Wie berichtet, hofft Pletschacher auf Ende 2018 als Baubeginn. Der Ausgang des Entscheids war zwar knapp, so Wörle, „aber ich hoffe, dass sich alle danach richten“.
Wie unterschiedlich die Haltungen sind, zeigen die ersten Reaktionen aus den Stadtratsfraktionen. So erklärte Albert Kaps von Pro Gersthofen, das den Abriss der StrasserVilla abgelehnt hatte: „Jetzt geht es darum, dass der Stadtrat gegenüber dem Grundstückseigentümer klar Haltung zeigt und den Bebauungsplan so gestaltet, dass er nicht zu massiv in die bisherige Bebauung eingreift.“
Wie geht es nun im Stadtrat weiter?
Georg Brem (WIR) begrüßte den Ausgang der Abstimmung. Zuletzt sei es nicht mehr um den Erhalt der Villa gegangen, sondern um „Machtspielchen“des früheren Bürgermeisters Siegfried Deffner. Denen habe der Wähler eine Absage erteilt. Brem hofft jetzt auf eine konstruktive Zusammenarbeit, „damit in Gersthofen etwas Tolles entsteht“. Die Villa habe in einer modernen Mitte keinen Platz mehr.
Sandra Meitinger (CSU) hat so ihre Bedenken, ob die Zusammenarbeit im Stadtrat nun tatsächlich reibungslos über die Bühne geht. Ihre Fraktion würde es begrüßen, wenn die Bürger weiter in die Planungen für die Goldene Mitte eingebunden würden. „Das erhöht die Akzeptanz.“
Bernhard Happacher (Freie Wähler) wies darauf hin, dass die Entscheidung schon früher hätte fallen können. Doch ein Ratsbegehren scheiterte im Sommer am Widerstand von CSU und WIR. Happacher: „Jetzt sind wir froh. Wir haben eine demokratische Entscheidung.“
Peter Schönfelder (SPD/Grüne) wertete den Ausgang des Entscheids als „Arbeitsgrundlage“. Nun hoffe er auf „faire Gewinner“, die nicht alles diktieren wollten. Schönfelder könnte sich sogar vorstellen, die Strasser-Villa, um die nun so viele Jahre gerungen wurde, abzutragen und an anderer Stelle wieder zu errichten. „Das wäre ein schönes Zeichen für Gersthofen.“Rathauschef Wörle indes hält von derartigen Gedankenspielen nichts. Das Gebäude stehe nicht einmal unter Denkmalschutz. »Kommentar