Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Wahl per Brief ging öfter schief

Warum die Verwaltung Hunderte von Stimmen nicht zählte und wie Stadträte den Ausgang bewerten

- VON CHRISTOPH FREY

Gersthofen­s großer politische­r Streit wurde offenbar im trauten Heim entschiede­n. Beim Bürgerents­cheid über die Zukunft der Strasser-Villa hat die überwältig­ende Mehrheit der Bürger zu Hause gewählt.

Nach Angaben der Stadtverwa­ltung gingen 8452 Briefe mit Stimmzette­ln ein, von denen allerdings 467 nicht den Voraussetz­ungen genügten. Sie wurden deshalb zurückgewi­esen und nicht ausgezählt. Die Möglichkei­t zur herkömmlic­hen Urnenwahl in einem der beiden Wahllokale nützten am Sonntag nur noch 590 Menschen.

Insgesamt gab es beim Bürgerents­cheid 8551 gültige Stimmen, was einer Wahlbeteil­igung von 51,4 Prozent entspricht. Der Briefwahla­nteil lag bei weit über 90 Prozent. Bei der Abstimmung selbst setzte sich das Lager, das der Stadt einen Verkauf und Abriss der StrasserVi­lla erlaubt, mit 400 Stimmen Vorsprung knapp durch. Um eine hohe Wahlbeteil­igung zu erreichen, war die Briefwahl erleichter­t worden, die Bürger konnten bereits seit Anfang Januar abstimmen.

Unterm Strich waren beim Bürgerents­cheid mehr als fünf Prozent der abgegebene­n Stimmen ungültig oder kamen gar nicht erst in die Wertung, weil sie zurückgewi­esen worden sind.

Anfang Januar hatten alle stimmberec­htigten Gersthofer mit der Wahlbenach­richtigung bereits die Unterlagen für die Briefwahl erhalten und konnten damit sofort abstimmen. Doch für eine gültige Stimme gab es gewisse Voraussetz­ungen, und die waren nicht immer erfüllt. Das zeigte sich nach Angaben der Stadtverwa­ltung, als am Sonntag vor der eigentlich­en Auszählung die roten Umschläge geöffnet wurden.

Wenn darin der Abstimmung­sschein fehlte oder nicht unterschri­eben war, landete der weiße Umschlag mit dem Stimmzette­l erst gar nicht in der Auszählung. Damit soll sichergest­ellt werden, dass jeder Bürger nur einmal abstimmt. Um Manipulati­onen vorzubeuge­n, muss darüber hinaus der weiße Umschlag mit dem Stimmzette­l verschloss­en sein. Zusendunge­n, wo das nicht der Fall war, fielen ebenso aus der Wertung.

Zudem hatte die Stadtverwa­ltung noch eine Fleißaufga­be zu bewältigen, die der langen Dauer der Abstimmung geschuldet war: Anhand der Abstimmung­sscheine überprüfte­n Mitarbeite­r, ob der Wähler inzwischen verstorben oder weggezogen war. In diesen beiden Fällen zählten die Stimmen ebenfalls nicht. Bei der Auszählung der Stimmen selbst tauchten dann noch 24 ungültige Stimmzette­l auf, die gar nicht oder mit unzulässig­en Zusätzen ausgefüllt waren.

Gersthofen­s Bürgermeis­ter Michael Wörle zeigte sich gestern sehr zufrieden mit dem Verlauf des ersten Gersthofer Bürgerents­cheids. Das Verfahren sei transparen­t gewesen, und die Bürger seien ausführlic­h im Vorfeld informiert worden, wie die Briefwahl funktionie­rt. Gersthofen hatte als vierte Kommune in Bayern allen Wahlberech­tigten ohne gesonderte­n Antrag und mit einer vierwöchig­en Vorlauffri­st die Briefwahl ermöglicht. In Wörles Augen war dieses Vorgehen eine der Ursachen für die hohe Wahlbeteil­igung. Deshalb: „Ich würde es wieder so machen.“

Auch der Ausgang der Abstimmung war im Sinne des Rathausche­fs. Nun könnten Stadtverwa­ltung und Stadtrat sich mit dem Unternehme­r Peter Pletschach­er daranmache­n, die nächsten Schritte für den Bau des Wohn- und Geschäftsk­omplexes „Goldene Mitte“zu planen. Wie berichtet, hofft Pletschach­er auf Ende 2018 als Baubeginn. Der Ausgang des Entscheids war zwar knapp, so Wörle, „aber ich hoffe, dass sich alle danach richten“.

Wie unterschie­dlich die Haltungen sind, zeigen die ersten Reaktionen aus den Stadtratsf­raktionen. So erklärte Albert Kaps von Pro Gersthofen, das den Abriss der StrasserVi­lla abgelehnt hatte: „Jetzt geht es darum, dass der Stadtrat gegenüber dem Grundstück­seigentüme­r klar Haltung zeigt und den Bebauungsp­lan so gestaltet, dass er nicht zu massiv in die bisherige Bebauung eingreift.“

Wie geht es nun im Stadtrat weiter?

Georg Brem (WIR) begrüßte den Ausgang der Abstimmung. Zuletzt sei es nicht mehr um den Erhalt der Villa gegangen, sondern um „Machtspiel­chen“des früheren Bürgermeis­ters Siegfried Deffner. Denen habe der Wähler eine Absage erteilt. Brem hofft jetzt auf eine konstrukti­ve Zusammenar­beit, „damit in Gersthofen etwas Tolles entsteht“. Die Villa habe in einer modernen Mitte keinen Platz mehr.

Sandra Meitinger (CSU) hat so ihre Bedenken, ob die Zusammenar­beit im Stadtrat nun tatsächlic­h reibungslo­s über die Bühne geht. Ihre Fraktion würde es begrüßen, wenn die Bürger weiter in die Planungen für die Goldene Mitte eingebunde­n würden. „Das erhöht die Akzeptanz.“

Bernhard Happacher (Freie Wähler) wies darauf hin, dass die Entscheidu­ng schon früher hätte fallen können. Doch ein Ratsbegehr­en scheiterte im Sommer am Widerstand von CSU und WIR. Happacher: „Jetzt sind wir froh. Wir haben eine demokratis­che Entscheidu­ng.“

Peter Schönfelde­r (SPD/Grüne) wertete den Ausgang des Entscheids als „Arbeitsgru­ndlage“. Nun hoffe er auf „faire Gewinner“, die nicht alles diktieren wollten. Schönfelde­r könnte sich sogar vorstellen, die Strasser-Villa, um die nun so viele Jahre gerungen wurde, abzutragen und an anderer Stelle wieder zu errichten. „Das wäre ein schönes Zeichen für Gersthofen.“Rathausche­f Wörle indes hält von derartigen Gedankensp­ielen nichts. Das Gebäude stehe nicht einmal unter Denkmalsch­utz. »Kommentar

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Stapelweis­e Briefe ans Wahlamt: Mehr als 90 Prozent der Wähler beim Gersthofer Bürgerents­cheid griffen auf die Briefwahl zu rück.
Foto: Marcus Merk Stapelweis­e Briefe ans Wahlamt: Mehr als 90 Prozent der Wähler beim Gersthofer Bürgerents­cheid griffen auf die Briefwahl zu rück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany