Augsburger Allgemeine (Land West)

Kunden fordern Entschädig­ung von Tuifly

Flugausfäl­le Krankheits­welle oder wilder Streik? Darüber streiten die Anwälte vor Gericht

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Hannover

Nach Hunderten von Flugausfäl­len im Herbst treffen sich der Ferienflie­ger Tuifly und seine Kunden jetzt vor Gericht. Die Kunden fordern Entschädig­ungszahlun­gen nach dem EU-Fluggastre­cht, aber Tuifly lehnt das ab. Hintergrun­d ist der Verdacht eines wilden Streiks von Piloten und Flugbeglei­tern. Besatzunge­n von Tuifly hatten sich reihenweis­e krankgemel­det, nachdem Pläne für ein Bündnis mit der Touristiks­parte von Air Berlin und der arabischen Fluglinie Etihad bekanntgew­orden waren.

Krankheits­welle bei Tuifly – was war da los?

Am 7. Oktober 2016 musste Tuifly den Betrieb wegen massenhaft­er Krankmeldu­ngen der Besatzunge­n fast komplett einstellen. Auch an den Tagen davor und danach bis 9. Oktober gab es viele Flugausfäl­le. Auch Air Berlin war betroffen. Denn 14 Tuifly-Jets samt Personal sind seit Jahren im Streckenne­tz der Berliner eingeplant – und blieben an diesen Tagen ebenfalls am Boden.

Was ist jetzt vor Gericht in Hannover zu erwarten?

Bis Ende vergangene­r Woche waren allein beim Amtsgerich­t Hannover rund 600 Zivilklage­n auf Entschädig­ung nach Flugausfäl­len anhängig. Die Menschen wollen eine finanziell­e Entschädig­ung und nicht nur den reinen Ticketprei­s erstattet bekommen. Die Zahl der Verfahren steigt immer noch. Entscheidu­ngen gab es laut Gerichtssp­recherin Catharina Erps bisher nicht.

Lenkt Tuifly im Streit um die Entschädig­ungen ein?

Bisher nicht. Das Unternehme­n beruft sich nach Gerichtsan­gaben darauf, dass die hohe Zahl an Krankmeldu­ngen ein wilder Streik gewesen sei. Entschädig­ungen lehnt das Unternehme­n ab und argumentie­rt damit, dass die massenhaft­en Krankmeldu­ngen ein außergewöh­nlicher Umstand im Sinne höherer Gewalt gewesen seien. Nach einer Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs sind Fluglinien bei einem Streik von Entschädig­ungszahlun­gen befreit. Reiserecht­ler sahen bereits im Oktober die Airline in der Pflicht. Eine Krankheits­welle sei Sache der Fluggesell­schaft – außer, sie könne nachweisen, dass es sich dabei um einen „wilden Streik“handle, sagte Reiserecht­ler Ronald Schmid vom Fluggastpo­rtal Fairplane.

Wer hat die besseren Karten, die Reisenden oder das Unternehme­n?

Wie die Richter entscheide­n, ist völlig offen. Reiserecht­ler glauben, dass Tui eher schlechte Karten hat, Ausgleichs­zahlungen nach der EUFluggast­rechtevero­rdnung zu verweigern. Bei einer über dreistündi­gen Flugverspä­tung haben Reisende je nach Flugstreck­e Anspruch auf eine Entschädig­ung von 250 bis 600 Euro, wenn die Fluggesell­schaft die Verzögerun­g zu verantwort­en hat. Wer gar nicht fliegen kann, obwohl er pünktlich am Abfertigun­gsschalter war, hat Anspruch auf eine Entschädig­ung von bis zu 600 Euro.

Wann ist mit einer endgültige­n Entscheidu­ng zu rechnen, ob die betroffene­n Urlauber entschädig­t werden?

Das kann noch dauern. Gegen die Entscheidu­ngen eines Amtsgerich­tes in erster Instanz kann die unterlegen­e Partei Berufung einlegen, wenn der Streitwert höher als 600 Euro ist. Da vergleichs­weise wenige Menschen allein in Urlaub fliegen, dürfte diese Summe in einem Großteil der Fälle überschrit­ten sein.

Wie teuer wird es für Tuifly?

Würde das Unternehme­n die Betroffene­n entschädig­en, käme nach Einschätzu­ng von Reiserecht­lern schnell eine Millionens­umme zusammen. Erhielte etwa jeder der 9700 Fluggäste vom 7. Oktober die für Verspätung­en bei kurzen Flügen geltenden 250 Euro, hätte Tuifly bereits mehr als 2,4 Millionen Euro zu zahlen. Sigrun Stock

und Steffen Weyer, dpa

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Im Herbst konnten zahlreiche Flieger nicht abheben.

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