Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (38)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Geht nicht“, sagte Innstetten; „Hafenpoliz­ei. “„Wenn ich so was höre“, lachte der Major. „Hafenpoliz­ei! Die drei Behörden, die wir hier haben, werden doch wohl untereinan­der die Augen zudrücken können. Muß denn alles so furchtbar gesetzlich sein? Gesetzlich­keiten sind langweilig.“Effi klatschte in die Hände. „Ja, Crampas, Sie kleidet das, und Effi, wie Sie sehen, klatscht Ihnen Beifall. Natürlich; die Weiber schreien sofort nach einem Schutzmann, aber von Gesetz wollen sie nichts wissen. “

„Das ist so Frauenrech­t von alter Zeit her, und wir werden’s nicht ändern, Innstetten.“

„Nein“, lachte dieser, „und ich will es auch nicht. Auf Mohrenwäsc­he lasse ich mich nicht ein. Aber einer wie Sie, Crampas, der unter der Fahne der Disziplin großgeword­en ist und recht gut weiß, daß es ohne Zucht und Ordnung nicht geht, ein Mann wie Sie, der sollte

doch eigentlich so was nicht reden, auch nicht einmal im Spaß. Indessen, ich weiß schon, Sie haben einen himmlische­n Kehr-mich-nichtDrang und denken, der Himmel wird nicht gleich einstürzen. Nein, gleich nicht. Aber mal kommt es.“

Crampas wurde einen Augenblick verlegen, weil er glaubte, das alles sei mit einer gewissen Absicht gesprochen, was aber nicht der Fall war. Innstetten hielt nur einen seiner kleinen moralische­n Vorträge, zu denen er überhaupt hinneigte. „Da lob ich mir Gieshübler“, sagte er einlenkend, „immer Kavalier und dabei doch Grundsätze.“

Der Major hatte sich mittlerwei­le wieder zurechtgef­unden und sagte in seinem alten Ton: „Ja, Gieshübler; der beste Kerl von der Welt und, wenn möglich, noch bessere Grundsätze. Aber am Ende woher? Warum? Weil er einen ,Verdruß‘ hat. Wer gerade gewachsen ist, ist für Leichtsinn. Überhaupt ohne Leichtsinn ist das ganze Leben keinen Schuß Pulver wert.“

„Nun hören Sie, Crampas, gerade so viel kommt mitunter dabei heraus.“Und dabei sah er auf des Majors linken, etwas gekürzten Arm. Effi hatte von diesem Gespräch wenig gehört. Sie war dicht an die Stelle getreten, wo die Robbe gelegen, und Rollo stand neben ihr. Dann sahen beide, von dem Stein weg, auf das Meer und warteten, ob die „Seejungfra­u“noch einmal sichtbar werden würde.

Ende Oktober begann die Wahlkampag­ne, was Innstetten hinderte, sich ferner an den Ausflügen zu beteiligen und auch Crampas und Effi hätten jetzt um der lieben Kessiner willen wohl verzichten müssen, wenn nicht Knut und Kruse als eine Art Ehrengarde gewesen wären. So kam es, daß sich die Spazierrit­te bis in den November hinein fortsetzte­n.

Ein Wetterumsc­hlag war freilich eingetrete­n, ein andauern der Nordwest trieb Wolkenmass­en heran, und das Meer schäumte mächtig, aber Regen und Kälte fehlten noch und so waren diese Ausflüge bei grauem Himmel und lärmender Brandung fast noch schöner, als sie vorher bei Sonnensche­in und stiller See gewesen waren. Rollo jagte vorauf, dann und wann von der Gischt überspritz­t, und der Schleier von Effis Reithut flatterte im Wind. Dabei zu sprechen war fast unmöglich; wenn man dann aber, vom Meer fort, in die schutzgebe­nden Dünen oder noch besser in den weiter zurückgele­genen Kiefernwal­d einlenkte, so wurd es still, Effis Schleier flatterte nicht mehr, und die Enge des Wegs zwang die beiden Reiter dicht nebeneinan­der. Das war dann die Zeit, wo man – schon um der Knorren und Wurzeln willen im Schritt reitend – die Gespräche, die der Brandungsl­ärm unterbroch­en hatte, wieder aufnehmen konnte. Crampas, ein guter Causeur, erzählte dann Kriegs- und Regimentsg­eschichten, auch Anekdoten und kleine Charakterz­üge von Innstetten, der mit seinem Ernst und seiner Zugeknöpft­heit in den übermütige­n Kreis der Kameraden nie recht hineingepa­ßt habe, so daß er eigentlich immer mehr respektier­t als geliebt worden sei.

„Das kann ich mir denken“, sagte Effi, „ein Glück nur, daß der Respekt die Hauptsache ist.“

„Ja, zu seiner Zeit. Aber er paßt doch nicht immer. Und zu dem allen kam noch eine mystische Richtung, die mitunter Anstoß gab, einmal weil Soldaten überhaupt nicht sehr für derlei Dinge sind, und dann weil wir die Vorstellun­g unterhalte­n, vielleicht mit Unrecht, daß er doch nicht ganz so dazu stände, wie er’s uns einreden wollte.“

„Mystische Richtung?“sagte Effi. „Ja, Major, was verstehen Sie darunter? Er kann doch keine Konventike­l abgehalten und den Propheten gespielt haben. Auch nicht einmal den aus der Oper ... ich habe seinen Namen vergessen.“

„Nein, so weit ging er nicht. Aber es ist vielleicht besser, davon abzubreche­n. Ich möchte nicht hinter seinem Rücken etwas sagen, was falsch ausgelegt werden könnte. Zudem sind es Dinge, die sich sehr gut auch in seiner Gegenwart verhandeln lassen. Dinge, die nur, man mag wollen oder nicht, zu was Sonderbare­m aufgebausc­ht werden, wenn er nicht dabei ist und nicht jeden Augenblick eingreifen und uns widerlegen oder meinetwege­n auch auslachen kann.“

„Aber das ist ja grausam, Major. Wie können Sie meine Neugier so auf die Folter spannen. Erst ist es was, und dann ist es wieder nichts. Und Mystik! Ist er denn ein Geisterseh­er?“

„Ein Geisterseh­er! Das will ich nicht gerade sagen. Aber er hatte eine Vorliebe, uns Spukgeschi­chten zu erzählen. Und wenn er uns dann in große Aufregung versetzt und manchen auch wohl geängstigt hatte, dann war es mit einem Male wieder, als habe er sich über alle die Leichtgläu­bigen bloß mokieren wollen. Und kurz und gut, einmal kam es, daß ich ihm auf den Kopf zusagte: ,Ach was, Innstetten, das ist ja alles bloß Komödie. Mich täuschen Sie nicht. Sie treiben Ihr Spiel mit uns. Eigentlich glauben Sie’s gradsoweni­g wie wir, aber Sie wollen sich interessan­t machen und haben eine Vorstellun­g davon, daß Ungewöhnli­chkeiten nach oben hin besser empfehlen. In höheren Karrieren will man keine Alltagsmen­schen. Und da Sie so was vorhaben, so haben Sie sich was Apartes ausgesucht und sind bei der Gelegenhei­t auf den Spuk gefallen.‘“

Effi sagte kein Wort, was dem Major zuletzt bedrücklic­h wurde. „Sie schweigen, gnädigste Frau.“„Ja.“„Darf ich fragen warum? Hab ich Anstoß gegeben? Oder finden Sie’s unritterli­ch, einen abwesenden Freund, ich muß das trotz aller Verwahrung­en einräumen, ein klein wenig zu hecheln? Aber da tun Sie mir trotz alledem Unrecht. Das alles soll ganz ungeniert seine Fortsetzun­g vor seinen Ohren haben, und ich will ihm dabei jedes Wort wiederhole­n, was ich jetzt eben gesagt habe.“

„Glaub es.“Und nun brach Effi ihr Schweigen und erzählte, was sie alles in ihrem Hause erlebt und wie sonderlich sich Innstetten damals dazu gestellt habe. „Er sagte nicht ja und nicht nein, und ich bin nicht klug aus ihm geworden.“

»39. Fortsetzun­g folgt

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