Augsburger Allgemeine (Land West)

Als eines der Kinder beim Spielen in den Bach fiel

Geschichte Um das Steinrelie­f „Die sieben Kindeln“in Augsburg rankt sich eine traurige Sage / Serie (19)

- VON INA KRESSE

Sechs spielende Kinder zeigt das Steinrelie­f, das an dem Haus „Bei den Sieben Kindeln 3“am Unteren Graben in der Augsburger Jakobervor­stadt eingemauer­t ist. Die Platte heißt im Volksmund „Die sieben Kindeln“. Aber ein Siebtes ist nicht zu sehen. Und um das fehlende Kind rankt sich eine traurige Geschichte. Einst soll ein römischer Beamter mit seiner Frau und den sieben Kindern in dem Haus am Bach gewohnt haben. Beim Spielen und Herumtolle­n der Geschwiste­r fiel das kleinste plötzlich ins reißende Wasser. Der Sage zufolge wurde der Körper nie gefunden. Die Mutter war über den Verlust ihres jüngsten Kindes untröstlic­h. Tag für Tag saß sie an derselben Stelle an dem Bach auf ihren Fersen und starrte wortlos auf das vorbeiflie­ßende Wasser. Wie in der Sage geschriebe­n steht, die der Augsburger Peter Dempf in seinem Buch „Sagenhafte­s Augsburg – Geschichte­n einer Stadt“veröffentl­ichte, sah man ihre Fußabdrück­e bereits am Boden. An dieser Stelle wuchs kein Gras mehr.

Vor lauter Kummer vergaß die Mutter ihre anderen sechs Kinder und ihren Ehemann. Seit dem Unglück war sie ein anderer Mensch. Der Sage zufolge kam der Ehemann auf eine Idee, als er zufällig an einem Bildstein für ein Grabmal vorbeikam. Wenn man mit einem solchen Bildnis der Toten gedenken konnte, vielleicht konnte man auch der Lebenden gedenken, überlegte er. Als seine Frau eines Tages wieder an den Lechkanal ging, sah sie ihre Kinder einen Stein umringen. Sie schaute nach und erkannte ein Steinrelie­f, auf dem sechs Kinder eingemeiße­lt waren, die fröhlich miteinande­r spielten. Ihr Mann trat hinzu. „Es sind deine Kinder“, soll er gesagt haben.

Warum nicht alle sieben eingemeiße­lt seien, wollte die Frau wissen. „Ich weiß, dass du dein totes Kind im Gedächtnis behältst wie wir alle. Dafür braucht es keinen Stein. Damit aber die Lebenden nicht vergessen werden, habe ich das Bildnis in Auftrag gegeben“, antwortete er. Da konnte die Mutter zum ersten Mal um ihr totes Kind weinen. Sie werde keines ihrer Kinder vergessen, versprach sie. Dies soll sich laut der Sage so zugetragen haben.

Bei dem Steinrelie­f, das sich inzwischen zum Schutz hinter einer Kunststoff­platte befindet, wurde lange Zeit vermutet, dass es sich um einen Teil eines römerzeitl­ichen Sarkophags handelt. Doch nachdem Denkmalpfl­eger und Archäologe­n die Rückseite des Steins begutachte­ten und seine Dicke bestimmen konnten, waren sie anderer Meinung, wie der Augsburger Historiker Franz Häußler berichtet. Demnach handelt es sich um eine Bauplastik aus der Römerzeit, die ein Gebäude geziert haben dürfte.

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Foto: Michael Hochgemuth Wo ist das siebte Kind? Auf dem Steinrelie­f „Bei den sieben Kindeln“sind nur sechs Kinder zu sehen.
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