Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Kellner mit den kräftigen Armen

Porträt Antonio Perri bedient in einem italienisc­hen Lokal in der Altstadt. Was wenige wissen: Als Gewichtheb­er war er auf dem Weg zu Olympia. Bis er einen Unfall hatte

- VON INA KRESSE

Antonio Perri ist eine treue Seele. Seit ungefähr zehn Jahren arbeitet er als Kellner für die Gastronome­n-Familie Dragone. Seit kurzer Zeit bedient der 51-Jährige in der unlängst eröffneten Trattoria „Da Enzo Dragone“am Judenberg. Wer seine Bestellung bei Perri aufgibt, ahnt nicht, welche Sportlerka­rriere der kleine, kräftige Italiener hinter sich hat.

Es ist elf Uhr am Vormittag. Noch herrscht Ruhe in der Trattoria, bevor die ersten Gäste kommen. Antonio, wie der Kellner von den meisten nur genannt wird, bringt einen Espresso und setzt sich mit an den Tisch. Mit einem gewissen Stolz breitet er alte italienisc­he Zeitschrif­ten auf der karierten Tischdecke aus. Die Sport Salute etwa aus dem Jahr 1986, die er aufschlägt. Er zeigt mit dem Finger auf ein Bild, auf dem drei muskelbepa­ckte Männer mit nackten Oberkörper­n zu sehen sind: „Das da bin ich.“

Der Mann, der aus Calabrien stammt, war früher in Italien ein erfolgreic­her Gewichtheb­er. 1991 gewann Perri, wie er erzählt, in Italien sogar die Europameis­terschaft. Zu gerne hätte er die Zeitungsau­sgabe mit ihm als Europameis­ter hergezeigt. „Aber als die Maler damals bei mir daheim in Calabrien gestrichen haben, verwendete­n sie die Zeitung zum Abdecken“, erzählt er. Hinterher sei sie voller Farbe gewesen. Er zuckt mit den Achseln. „Da kann man nichts machen.“

Mit 19 Jahren begann Perri mit dem Gewichtheb­en. Zu seiner eher kleineren Körpergröß­e sagt er trocken: „Kurze Hebel sind immer gut.“Außerdem sei er von Natur aus kräftig. Der Italiener hat, sagt er, immer viel trainiert. Ihm sei zu der Zeit oftmals Anabolika angeboten worden. Perri lehnte stets ab. „Das hatte ich nicht nötig.“Das meiste Gewicht, das er in die Höhe gestemmt hatte, waren 220 Kilogramm. Er sei stolz auf sich gewesen. „Und die Frauen fanden es auch toll. Ich hatte schon einige Verehrerin­nen“, berichtet er mit einem verschmitz­ten Lächeln. Der Höhepunkt seiner Sportler-Karriere sollte seine Teilnahme bei den Olympische­n Sommerspie­len 1992 in Barcelona werden. Drei Jahre hatte er sich auf den internatio­nalen Wettkampf vorbereite­t. Doch Perri kam nicht in Barcelona an.

„Wir waren zu fünft in einem Renault auf dem Weg zum Flughafen Rom-Fiumicino“, erinnert er sich. Sie waren alle italienisc­he Sportler, die sich für Olympia qualifizie­rt hatten, und nach Spanien fliegen wollten. Perri saß auf der Rückbank. „Plötzlich tauchte auf der Autobahn ein Geisterfah­rer auf und krachte frontal in unser Auto.“Bei dem Aufprall riss Perris Gurt. Er flog nach vorne. Der Italiener hatte einen Schutzenge­l. Er wurde am Arm verletzt. „Das war nicht schlimm. Aber der Schock ...“Zwei Sportkolle­gen hatten den schweren Zusammenst­oß nicht überlebt. Nach dem tragischen Unfall beendete Perri seine Gewichtheb­er-Karriere. Ein Jahr später wollten ein Freund und er nach Verona, um dort den Sommer über in einem Restaurant zu arbeiten. Kurzentsch­lossen entschiede­n sie sich auf der Reise um und fuhren mit dem Zug nach Deutschlan­d. Während der Freund es nur eine Nacht aushielt, blieb Antonio Perri in Deutschlan­d. „Meine erste Stelle war in einem italienisc­hen Restaurant in Wertingen.“Bald kam er nach Augsburg. „Ich bin nun seit 24 Jahren hier. Das ist mein Zuhause“, sagt der Kellner, der in Lechhausen lebt und immer noch viel Fitness betreibt. Perri ist Kellner mit Leidenscha­ft.

Der Umgang mit den Gästen macht dem 51-Jährigen viel Spaß. „Das muss man mit Lust machen, man muss gut drauf sein.“Hin und wieder besucht er seinen Bruder in Rom. Aber ganz zurück nach Italien zieht es den einstigen Gewichtheb­er nicht. „Ich fühle mich wohl hier.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Ein Bierfass ist für Antonio Perri ein Leichtgewi­cht. Der 51 Jährige stemmte in seinen besten Zeiten 220 Kilogramm in die Höhe.
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Antonio Perri präsentier­t als junger Mann seine Muskeln am Strand. Das Foto hat er in seinem Geldbeutel bei sich und zeigt es auch mal guten Gästen.

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