Augsburger Allgemeine (Land West)

Worte statt nackter Noten

Grundschul­e Die Lernentwic­klungsgesp­räche haben das Zwischenze­ugnis weitgehend abgelöst. Lehrer, Eltern und Schüler sehen sie als Verbesseru­ng. Die Vorteile sind vielfältig

- VON ANGELA DAVID

Landkreis Augsburg Die Smiley-Gesichter auf dem Fragebogen gibt es in vier Ausführung­en von glücklich bis zu traurig – je nachdem, wie die Einschätzu­ng ausfällt. Dabei geht es um die Leistungen und das Verhalten der Grundschül­er zum Halbjahr. Denn seit etwa drei Jahren haben die meisten Grundschul­en in Bayern die bisherigen Zwischenze­ugnisse in den ersten drei Jahrgangss­tufen durch dokumentie­rte Lernentwic­klungsgesp­räche ersetzt. Dabei kommen Lehrer und Schüler mit Begleitung ihrer Eltern außerhalb des Unterricht­s zu einem Gespräch zusammen, das mal nur 15 Minuten, mal eine halbe Stunde dauern kann.

Zuvor hat das Kind einen Fragebogen zur Selbsteins­chätzung ausgefüllt, die Lehrkraft ebenfalls. Beide haben sich also eine Meinung gebildet, beispielsw­eise zur Frage: „Ich lese fremde Texte flüssig vor.“Meistens? Häufig? Manchmal? Oder nur selten? Ein Feld ist anzukreuze­n und danach zu besprechen, wo der Leistungss­tand des Kindes liegt, wie sich das Kind in der Schule verhält, wo seine Stärken und Schwächen liegen. Noten gibt es dabei nicht – nur eben die abgestufte­n Einschätzu­ngen in den verschiede­nen Fächern sowie im Sozial- und Lernverhal­ten.

Fragebögen werden immer weiter verbessert

Die genaue Formulieru­ng in den Fragebögen ist der einzelnen Schule überlassen. „Bei uns an der Schule wurden die Fragebögen im Laufe der letzten Jahre immer weiter verbessert, damit die Kinder sie gut verstehen können“, berichtet etwa Andrea Sulzer-Mayr, Elternbeir­atsvorsitz­ende an der Grundschul­e Zusmarshau­sen. Sie hält die Lernentwic­klungsgesp­räche für eine gute Sache, „weil ein persönlich­es Gespräch mit der Lehrerin eine viel höhere Wertigkeit hat als ein Stück Papier mit Noten und Sätzen“, findet sie. Die Gespräche werden ihrer Meinung nach sehr einfühlsam ge- führt, „das nimmt dem Kind auch den Notendruck“, denn der Fragebogen ist nicht in Noten zu übersetzen und stellt einen Zwischenst­and dar. Tief beeindruck­t war SulzerMayr davon, wie treffsiche­r und reflektier­t sich ihre Tochter selbst einschätze­n konnte. „Sie stimmt in allen Punkten mit der Lehrerin überein.“

Den ausgefüllt­en Fragebogen mit den Einschätzu­ngen und einer Zielverein­barung, was das Kind noch besser machen könnte, gibt es dann zum Termin des klassische­n Zwischenze­ugnisses am kommenden Freitag, 17. Februar, wieder zurück.

„Auch die meisten Lehrer beurteilen die Lernentwic­klungsgesp­räche positiv“, berichtet Gabriele Ott. Sie ist nicht nur Konrektori­n an der Grund- und Mittelschu­le Langweid, sondern auch Kreisvorsi­tzende des (Bayerische­r Lehrer- und Lehrerinne­nverband), des mitglieder­stärksten Berufsverb­ands der Lehrer in Bayern. „Das persönlich­e Gespräch hat einen spürbaren Mehrwert für das Verhältnis zwischen Kind und Lehrer“, sagt sie. Hier kann man sicher sein, dass das Kind auch versteht, was gemeint ist – das ist beim ausführlic­hen schriftlic­hen Halbjahres­zeugnis mit Fachbegrif­fen nicht immer der Fall. „Das Ergebnis muss für Kind und Eltern verständli­ch und für Lehrer leistbar sein“, so Gabriele Ott, und beides ist bei den Lernentwic­klungsgesp­rächen gegeben. „Der Zeitaufwan­d ist ungefähr genauso groß wie früher.“Auch das Schreiben von umfangreic­hen Zwischenze­ugnissen ist äußerst aufwendig. „An keiner anderen Schulart gibt es derart aufgebläht­e Zeugnisse“, kritisiert die BLLV-Vorsitzend­e.

Ein weiterer unschätzba­rer Vorteil der Gespräche sei die direkte Begegnung mit den Eltern – auch jenen, die selten zu den Sprechstun­den kommen. „In Langweid als Migrantens­chule kommt noch hinzu, dass Eltern, die wenig Deutsch sprechen, nachfragen können, wenn sie etwas nicht verstanden haben.“Etliche bringen auch eine Person ihres Vertrauens als Dolmetsche­r mit.

„Während der Phase der Gespräche können keine zusätzlich­en Projekte von den Lehrern gestemmt werden“, so Ott. Schließlic­h stünden dann zusätzlich zur Unterricht­sverpflich­tung umfangreic­he Termine am Nachmittag an, dazu kommt die Vor- und Nachbereit­ung. Ott sagt: „Mehr ist in diesen Wochen nicht mehr leistbar.“

„Es ist zwar aufwendig, aber lohnend“, meint Gabriele Pfister, Konrektori­n an der Grund- und MittelBLLV schule Welden. Vor allem für die Kinder. Denn wann nimmt sich eine Lehrkraft sonst einmal in Ruhe eine halbe Stunde Zeit, mit dem Schüler über seine Leistungen zu sprechen? „Die Kinder finden das toll und fühlen sich ernst genommen“, so Pfister.

Gut sei auch der persönlich­e Kontakt zu den Eltern. „Man hat dann meistens noch ein paar Minuten, um mit den Eltern zu reden, das ist sehr gut.“Die Schüler, die in Welden den Fragebogen in der Schule ausfüllen, schätzen sich laut Pfister realistisc­h ein, „einige sind eher zu selbstkrit­isch und stapeln tief“, hat die Lehrerin beobachtet.

Besonders nett sei eine Erstklässl­erin beim Gespräch gewesen, erzählt Gabriele Pfister. Auf die Frage, was sie künftig noch besser machen könnte, sagte sie: „Skifahren möchte ich noch besser können!“

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Fotos: Marcus Merk; Jens Kalaene, dpa/ lhe So sehen seit rund drei Jahren die Nachfolger der früheren Zwischenze­ugnisse aus, es sind Fragebögen zur Lernentwic­klung, die Kindern dabei helfen sollen, sich zu verbes sern.
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