Augsburger Allgemeine (Land West)
Allergrößte Eile in eigener Sache
Baden Württemberg Erst stockten die Abgeordneten ihre Pensionen im Hauruckverfahren auf. Aber dann bekamen sie Angst
Das hat es im baden-württembergischen Landtag noch nie gegeben: Nur 70 Stunden brauchten die Abgeordneten von der ersten Vorstellung ihrer künftigen Altersversorgung bis zur endgültigen Verabschiedung des dafür erforderlichen Gesetzes. Damit nicht genug: Nach weiteren vier Tagen kassierten sie das Gesetz wieder ein, das sie am Freitag beschlossen hatten.
Ohne Vorwarnung hatten die vier Chefs der Fraktionen von Grünen, CDU, SPD und FDP am Dienstag vergangener Woche am späten Nachmittag zu einer ganz kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in eigener Sache gebeten. Die Abgeordneten sollten jetzt zwischen einer Staatspension und der erst 2008 beschlossenen privaten Vorsorge wählen können, teilten sie mit. Verbunden damit wäre eine deutliche Verbesserung der Ansprüche im Alter. Für jedes Jahr Parlamentszugehörigkeit sollten die Abgeordneten 2,5 Prozent ihrer Monatsdiäten (derzeit 7616 Euro) erwerben. Nach zehn Jahren kämen so 1900 Euro Rente zusammen. Darüber hinaus wollten sie sich die Gelder für Mitarbeiter auf 10438 Euro verdoppeln.
Von da an ging es ruckzuck. Am Mittwochabend brachten die Fraktionen die Gesetzesentwürfe im Landtag ein. Nach einer kurzen Nacht wurden sie für eilbedürftig erklärt und in erster Lesung behandelt. Der AfD-Abgeordnete Rainer Podeswa blitzte mit seinem Antrag ab, die Redezeit von fünf auf zehn Minuten je Fraktion zu erhöhen. „Fünf Minuten, entlang der Bedeutung der Initiativen, sind angemessen“, sagte Grünen-Geschäftsführer Uli Sckerl. Rund eine halbe Stunde dauerte die einzige öffentliche Beratung.
Dann vergingen keine 24 Stunden, bis beide Gesetze endgültig verabschiedet waren. Eine Aussprache fand am Freitag vor der Schlussabstimmung nicht mehr statt. Die Befürworter setzten bei der Fahrt ins Wochenende darauf, dass sich der Ärger nach einer kurzen Aufwallung schon legen würde. Einen ersten Hinweis, dass es diesmal anders laufen könnte, erhielten die Abgeordneten noch am gleichen Tag: Der Bund der Steuerzahler stellte die Verfassungsmäßigkeit der Hauruckmethode infrage. „Die Öffentlichkeit hatte keine Möglichkeit, sich mit diesen Gesetzen näher zu befassen“, erklärte er und verwies auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus den 70er Jahren.
Der Sturm der Entrüstung baute sich in der Tat langsam auf. Erst sprachen die Steuerzahler von einer „Luxus-Altersversorgung“, dann ging SPD-Landeschefin Leni Breymaier auf Distanz zu dem Konzept, das die Abgeordneten ihrer Partei mitgetragen hatten. Sie führte im Eilverfahren einen ablehnenden Beschluss des Präsidiums der SüdwestSPD herbei.
Alle Alarmglocken gingen an, als am Wochenende Überlegungen für einen Volksantrag angestellt wurden. Wenn 40000 Bürger unterschreiben, muss sich der Landtag mit dem Anliegen beschäftigen. Die Strategen der Fraktionen schreckte die Aussicht, das unpopuläre Thema könnte monatelang und sogar über die Bundestagswahl hinweg die Schlagzeilen bestimmen. Natürlich signalisierte die AfD, die beide Gesetze im Landtag abgelehnt hatte, Unterstützung. Auch der DGB sprang auf den Zug auf.
So entfaltete die Initiative ihre Wirkung, ohne überhaupt angelaufen zu sein. Die Fraktionschefs von Grünen, CDU und SPD führten schon am Sonntag am Rande der Bundespräsidentenwahl erste Krisengespräche. Die Grünen-Landeschefs Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand warnten: „Die Abgeordneten tun gewiss gut daran, die vielen kritischen Rückmeldungen wahrzunehmen und sich zu überlegen, wie sie damit umgehen“. Am Montag ließ sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu einer Bemerkung über die allgemeine Empörung hinreißen: „Natürlich kann ich das verstehen.“Und er habe das auch erwartet, nachdem es oft schon bei kleineren Anliegen Proteste gebe.
So kommt es am Dienstag, exakt zur gleichen Stunde wie eine Woche zuvor, zu einer zweiten Pressekonferenz. Da verkünden die Fraktionsvorsitzenden Schwarz, Reinhart und Stoch reumütig, sie hätten einen Fehler gemacht. Eine Expertenrunde darf sich nun Gedanken machen, wie es besser geht.