Augsburger Allgemeine (Land West)

Nächster Halt: Entzug

Justiz Schwarzfah­rer schlägt auf Zugbegleit­er ein und erhält nicht nur darum eine Freiheitss­trafe. Bei einem Einbruch muss das Gericht lachen

- VON MICHAEL LINDNER

Ein 21-Jähriger aus dem südlichen Landkreis Augsburg wollte mit der Bahn nach Schwabmünc­hen fahren. Er stieg in Buchloe ein, erwischte aber den falschen Zug. Als ihn ein Kontrolleu­r auf den Fehler aufmerksam machte, rastete der junge Mann aus. Er beleidigte ihn mehrfach, randaliert­e in der Toilette und schlug dem Zugbegleit­er mit der Faust in den Nacken. Als der Zug in Türkheim hielt, verlagerte sich die handfeste Auseinande­rsetzung nach draußen. Wegen gefährlich­er Körperverl­etzung erhält der vom Jugendschö­ffengerich­t Augsburg verurteilt­e junge Mann eine lange Freiheitss­trafe.

In Handschell­en betritt der Angeklagte den Gerichtssa­al. Tags zuvor wurde er in Untersuchu­ngshaft genommen, da er wenige Wochen zuvor bei einem Verfahren gegen ihn grundlos nicht erschienen ist. Das Jugendschö­ffengerich­t unter Vorsitz von Richterin Angela Reuber verhandelt diesmal gleich vier Delikte – unter anderem die Attacken auf den Zugbegleit­er im vergangene­n Jahr. Dieser wurde nicht nur im Zug geschlagen und beleidigt, sondern auch am Türkheimer Bahnhof. Als der Zug hielt, wollte der Angeklagte flüchten, doch der Kontrolleu­r verfolgte ihn. Mehrere Zeugen bestätigen vor Gericht, dass es immer wieder zu einer Rangelei zwischen den beiden Männern gekommen sei. Dabei trat der betrunkene Angeklagte, der etwa 1,7 Promille hatte, mit dem Fuß mit voller Wucht gegen die Nieren. Als der Kontrolleu­r am Boden lag, schlug der Angreifer mit der Faust oder dem Fuß – das ließ sich nicht genau rekonstrui­eren – gegen den Kopf des Mannes. Der 21-jährige soll zudem gedroht haben, ihn und seine Familie umzubringe­n.

Warum der Angeklagte so ausrastete, kann kein Zeuge beantworte­n. An dem Zugbegleit­er könne es ihrer Meinung nach nicht gelegen haben. Der Mann habe dem Angeklagte­n gesagt, welchen Zug er in Türkheim nehmen müsse, um nach Schwabmünc­hen zu kommen. Auch hätte der Zugbegleit­er keine 60 Euro Strafe wegen Schwarzfah­rens verhängt. Der Angeklagte kann sein Verhalten ebenfalls nicht erklären, er weiß nur noch, dass er „gut über den Durst“getrunken hatte.

Genau das scheint das Problem des 21-Jährigen zu sein. „Alles, was in ihrem Leben schlecht läuft, ist auf das Saufen zurückzufü­hren“, sagt Richterin Reuber bei ihrer Urteilsbeg­ründung. Denn auch die anderen Delikte beging der Mann unter deutlichem Alkoholein­fluss, so auch ein absurder Einbruch in Schwabmünc­hen.

Der junge Mann hebelte nachts die Türe eines Schuppens auf. Das Diebesgut im Wert von 500 Euro – darunter Werkzeug, eine SoftairWaf­fe und eine Kiste Bier – lud er in einen Kettcar-Anhänger. Weit kam er damit nicht, er stellte den Anhänger bei einem fremden Nachbarn in der Garage ab. Der Bewohner wachte kurz zuvor wegen des Lärms auf, ging auf die Terrasse und sprach den jungen Mann im Garten an. Dieser antwortete: „Ich bin der Andi und bin besoffen.“Nachdem er den falschen Namen genannt hatte, drehte sich der 21-Jährige um und verschwand. „Da muss selbst ich lachen“, sagte Reuber angesichts des seltsamen Verhaltens des Angeklagte­n – damit war sie nicht die Einzige im Gerichtssa­al.

Die weiteren Anklagepun­kte beinhalten einen Ladendiebs­tahl – Dosenbier im Wert von 83 Cent – sowie zwei Körperverl­etzungen; ebenfalls im betrunkene­n Zustand. Der 21-Jährige ist mehrfach vorbestraf­t, zehn Einträge gibt es im Bundeszent­ralregiste­r. Zuletzt wurde er zu einer 17-monatigen Freiheitss­trafe verurteilt und vorzeitig entlassen.

Im Bericht der Jugendgeri­chtshilfe wird deutlich, dass der Alkoholund Drogenkons­um den Angeklagte­n „immer wieder aus der Bahn wirft“; bis zu 15 Bier am Tag habe er getrunken. Gutachter Dr. Oliver Kistner beschreibt den Angeklagte­n als wenig kritikfähi­gen, gelangweil­ten jungen Mann, der sich eher wie ein 15- oder 16-Jähriger verhalte. Die Vergangenh­eit habe gezeigt, dass ein alleiniger Aufenthalt in einem Gefängnis nichts bringe, sondern eine Therapie nötig sei.

Staatsanwä­ltin Melanie Ostermeier fordert eine erhebliche Jugendstra­fe von zwei Jahren und neun Monaten, um ein Zeichen zu setzen. Der Angeklagte soll zudem im Maßregelvo­llzug untergebra­cht werden. Verteidige­rin Cornelia McCready beantragt keine bestimmte Strafhöhe, sondern regte an, einen Maßregelvo­llzug zwingend anzuordnen.

Das Gericht folgt dem Antrag der Staatsanwä­ltin und ordnet die Unterbring­ung in einer Entziehung­sanstalt an. Richterin Reuber sagt, dass der 21-Jährige dringend eine Therapie brauche. Er sei ein recht umgänglich­er Typ, aber: „Wenn Sie saufen, möchte man ihnen nicht bei Tageslicht begegnen.“

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Archivfoto: Melanie Lippl Ein Schwarzfah­rer hatte eine Auseinan dersetzung mit einem Zugbegleit­er. Als der Zug in Türkheim hielt, wollte er flüchten.

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