Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie die Schlesier neuen Kuchen ins Dorf brachten

Heimat(los) Genoveva Spann sah als Kind, als Lastwagen voller Menschen kamen. Diese hatte es nicht leicht / Serie (8)

- VON STEFFI BRAND

Wenn Genoveva Spann in Erinnerung­en an früher schwelgt, dann hat sie gemischte Gefühle. Sie denkt an Annelies, ihre Freundin, die mit ihrer Familie einst aus ihrer Heimat vertrieben worden war und buchstäbli­ch in Ostendorf „gelandet“ist. Dort hat Genoveva Spann mit ihren Eltern und ihren drei Geschwiste­rn gelebt und schon als Kind hautnah mitbekomme­n, wie lastwagenw­eise Menschen angekarrt wurden – die als Vertrieben­e nicht immer gut behandelt worden sind. Annelies wurde ihre gute Freundin, denn Genoveva Spann und ihre Familie gehörten zu den offenen Menschen im Dorf.

Warum die heute 84-Jährige so nah am Geschehen dran war, liegt an ihrem Vater. Georg Bucher kam ursprüngli­ch aus Griesbecke­rzell (Landkreis Aichach-Friedberg) und hat die Schmiede in Ostendorf erworben. In den Jahren 1942 und 1943 wurde er von den Bauern in und um Ostendorf buchstäbli­ch bekniet, in „die Partei“(die NSDAP) einzutrete­n. Doch Bucher blieb standhaft. Er hörte nicht auf die verlockend klingenden Versprechu­ngen, dass die Bauern nach dem Krieg fruchtbare, große Bauernhöfe in der Ukraine bekommen würden. Die Folge: Genoveva Spanns Vater wurde im Jahr 1945 vom einstigen Pfarrer zum Bürgermeis­ter „ernannt“, weil er eben nicht Parteimitg­lied war. Damit musste er auch die Aufgabe stemmen, die Flüchtling­e, die direkt vor seiner Schmiede ankamen, im Ort zu verteilen.

Und an dieser Stelle zeigt sich die Kehrseite der Offenheit ihrer Familie. „Wir wurden angefeinde­t von denjenigen, die Vertrieben­e aufnehmen mussten“, erinnert sie sich. Ändern hätte es Vater Bucher nicht können und so wurden die Menschen, die auf den erlaubten 50 Kilogramm Gepäck saßen, in jedem freien Zimmer untergebra­cht. Viele Frauen kamen allein mit ihren Kindern. Die Väter waren noch in Gefangensc­haft. „Gerade die Frauen wurden von vielen Bauern ausgenutzt“, berichtet die 84-Jährige.

Die damals 13-Jährige war indes gern bei den vertrieben­en Familien, mit denen sie sich in deutscher Sprache verständig­en konnte. „Es war eng, aber gemütlich“, beschreibt sie die Situation, in der eine Familie in nur einem einzigen Zimmer kochte, schlief und lebte. „Und es hat immer so gut geschmeckt“, schwärmt die heute 84-Jährige. Hauptsächl­ich gab es Kartoffels­uppe oder Kartoffelp­uffer. Doch auch die Backkultur wurde von den Vertrieben­en ein wenig revolution­iert, denn „sie haben den Mohn mitgebrach­t“.

Ein Ehepaar aus Schlesien und ein Paar aus Frankfurt an der Oder lebte direkt bei Familie Bucher. Von Genovevas Mutter bekamen sie Brot und Milch. Vater Bucher beschaffte Ofenrohre, damit die Menschen nicht frieren mussten. Auch die Kinder der schlesisch­en Familie kamen im Hause Bucher zur Welt. „Wir hatten Kontakt, bis die Familie verstorben ist“, erinnert sich Genoveva Spann an die engen Bande, die sie mit den Vertrieben­en knüpfen konnte. Viele haben Arbeit gesucht, sind bei der „SIGRI“, der heutigen SGL Carbon GmbH, untergekom­men oder fanden Arbeit in einer Augsburger Weberei. Die wirtschaft­liche Lage ermöglicht­e es ihnen, Eigentum zu erwerben oder gar ein Häuschen zu bauen. Und auch wenn die Vertrieben­en von einst nicht mehr in unmittelba­rer Nachbarsch­aft oder gar nicht mehr leben, so wird Genoveva Spann noch heute oft an die Zeit erinnert, in der die Vertrieben­en nach Ostendorf kamen. „Deine Eltern waren immer so gut zu uns“, hört sie dann die Nachkommen sagen und das freut die 84-Jährige dann umso mehr.

Vater Georg Bucher war insgesamt 21 Jahre Bürgermeis­ter. Als „ehrlichen und sozial eingestell­ten“Mann beschreibt Genoveva Spann ihren Vater, der nur vier wenige Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit starb. Die heute 84-Jährige hatte damals längst ihre eigene Familie in Westendorf gegründet, wo sie mittlerwei­le seit 60 Jahren lebt. Und so nützt sie heute noch die Chance, ihren Kindern und Enkeln von der Zeit zu berichten, in der sie offen auf die Vertrieben­en zugegangen ist und Freundscha­ften fürs Leben geschlosse­n hat.

Es wurden Freundscha­ften fürs Leben geschlosse­n

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Foto: Marcus Merk Genoveva Spann hat hautnah miterlebt, wie die Vertrieben­en nach Ostendorf kamen. Die 84 Jährige, die heute in Westendorf lebt, war damals ein Kind und schloss Freundscha­ft mit einigen Neuankömml­ingen.

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